Die Ringparabel bei Boccaccio, gelesen als Niederschlag von Renaissanceideen
Mit einem Ausblick auf die Adaption Lessings

! Dies ist ein alter Text! Was heißt das?

Die 100 Erzählungen in Giovanni Boccaccios Il Decamerone gehören zur Weltliteratur. Eine der bekanntesten, die Ringparabel, wird hier unter Berücksichtigung von in der Renaissance verbreitetem Gedankengut analysiert. Abschließend folgt ein kurzer Ausblick auf die Weiterbearbeitung der Parabel in Lessings Nathan der Weise.

Von


Als Boccaccio seine Novellensammlung von weltliterarischem Rang, Das Dekameron, im Alter ob ihrer vermeintlichen Unmoral so stark bedrückte, dass er sie als Jugendsünden1 zu verklären suchte, war es schon zu spät. Die Geschichten waren massenhaft abgeschrieben und vervielfältigt, sie waren mit Begierde gelesen und mit Eifer verdammt worden.2 Jetzt standen sie im Raum und sollten nachfolgenden Literatengenerationen als Grundlagenwerk dienen, das ihnen eine neue literarische Gattung bereitstellte und zugleich – so zumindest einige Ausleger – jedwedes formale Rüstzeug bereithielt, dessen man für das Verfertigen von Novellen bedarf3. Doch beschränkte sich die Aufnahme der Geschichten Boccaccios nicht auf literaturtheoretische Aspekte, auch ihr inhaltlicher Gehalt sollte in späteren sprachlichen Kunstwerken immer wieder aufgegriffen und modifiziert werden. Eine dieser wiederholt verarbeiteten Geschichten ist die Ringparabel. Dass die Gründe dafür, dass gerade diese schmale Novelle eine derartige Berühmtheit erlangte, auf das Denken des 14. Jahrhunderts, also der Zeit ihrer Niederschrift bei Boccaccio, zurückzuführen ist, wird diese kleine Arbeit zu zeigen versuchen. Darüber hinaus soll ein Streiflicht auf die prominenteste Erweiterung ihres Gehaltes – gemeint ist ihre Verarbeitung in Nathan der Weise von Lessing4 – zeigen, wie die Philosophie der Renaissance, die den Menschen von der sakralen Sphäre zu trennen und vornehmlich in der profanen zu betrachten begann, dem Aufklärer Lessing Vorarbeit für seine Adaption der Ringparabel war.

Herkunft und Inhalt der Parabel

Zunächst sei der Inhalt der Parabel ins Gedächtnis gerufen: Der aufgrund liederlicher Finanzführung geldnötige Sultan von Babylon, Saladin, sah als einzigen Ausweg, seine Bedürfnisse zu stillen, den reichen, als Geldverleiher bekannten Juden Melchisedech um finanzielle Mittel anzugehen. Da er allerdings von dessen Geiz wusste, versuchte er, Melchisedech durch eine ihm gestellte, doppelbödige Frage in Erklärungsnöte zu bringen. Diese Frage lautete, welches von den drei Gesetzen, gemeint sind natürlich die drei monotheistischen Religionen, er, der Jude Melchisedech, für das wahre halte, das jüdische oder das sarazenische oder das christliche.5 Saladin erwartete natürlich, dass ihm Melchisedech antworte, er halte seine, die jüdische Religion, für die wahre, was er dann als Affront gegenüber seiner Person werten und Melchisedech ihm infolgedessen das erheischte Geld nicht mehr vorenthalten könne. Die Erwiderung des gewieften Geldverleihers war jedoch nicht wie gedacht (eindeutig), sondern die Ringparabel (mehrdeutig).

Die Parabel: Ein Mann habe einen besonders kostbaren Ring besessen, den er dem Sohn vererbte, welchen er für den würdigsten unter seinen Nachkommen hielt. Dieser sollte sodann, durch den Besitz des Rings bestätigt, das Oberhaupt der Familie sein. Die Tradition der Ringweitergabe setzte sich über mehrere Generationen fort und so kam das symbolträchtige Schmuckstück in den Besitz eines Mannes, der drei treffliche Söhne hatte, unter denen er sich nicht getraute, den würdigsten zu bestimmen. Darum ließ er von einem Künstler zwei Kopien des Ringes anfertigen. Diese Kopien aber erwiesen sich als Meisterstücke, als täuschend echt, sodass nicht einmal der Auftraggeber und Besitzer selbst das Original unter den dreien herausfinden konnte. Als nach des Vaters Tod jeder der drei Söhne in seinem Legat einen der Ringe entdeckte, rechteten sie miteinander um den Vorsitz in der Familie. Indes die falschen Ringe, wie schon erwähnt, vollendete Kopien des echten waren, ließ sich nicht mehr feststellen, wer denn nun von Rechts wegen das Oberhaupt sei. Der Erzähler Melchisedech schließt mit der Bemerkung, dass es sich ebenso mit den drei Religionen verhalte – sie seien einander so ähnlich, dass sich nicht feststellen lasse, welche unter ihnen die wahre ist. Die Frage nach der Authentizität sei, in beiden Streitfragen, der der Religionen und der der Ringe, jedoch bis auf den heutigen Tag in der Schwebe.

Als Saladin durch diese elaborierte Antwort erkannte, dass er es mit einem Gegner zu tun hatte, mit dessen geistiger Beweglichkeit er es nicht aufnehmen konnte, ließ er seine Maske fallen und gestand die hinterlistige Absicht, mit der er Melchisedech angegangen war. Melchisedech gewährte Saladin trotzdem das gewünschte Geld und beide wurden Freunde. Eine Freundschaft, von der jeder profitierte.


Boccaccio hat die Ringparabel nicht erfunden. Die Geschichte des religiös toleranten Sultans Saladin und des gewieften Juden Melchisedech findet sich en détail wohl noch verschieden, aber in den wesentlichen Zügen doch schon voll ausgeformt bereits in einigen literarischen Werken des Mittelalters. Die Ringparabel, die uns heute vor allem als Dokument der Aufklärung, als Zeichen eines toleranten Geistes in der Form bekannt ist, die ihr Lessing in seinem Drama Nathan der Weise gab, wurde ferner vor Boccaccio durchaus in, man geht wohl nicht fehl es so zu nennen, eigenwilligen Auslegungen zur Apologie von Kreuzzugsvorhaben6 herangezogen. Bei Boccaccio finden sich solche Gedanken indes nicht mehr.7

Eine Quelle Giovanni di Boccaccios waren die Gesta Romanorum, eine Sammlung von 220 kurzen Erzählungen, die um 1300 in England oder Süddeutschland entstanden sind. Die Parabel, welche wir hier finden, unterscheidet sich noch von der Bearbeitung Boccaccios dahingehend, dass die Tradition der Vererbung des Rings noch nicht eingeführt wurde und das einzig wahre Geschmeide sich schließlich durch heilsame Kräfte als solches erweist. Ferner fehlt die Einbettung in eine Rahmenerzählung, wie sie bei Boccaccio bekanntermaßen gleich zweifach gegeben ist. Die äußerste Schale seiner literarischen Bearbeitung (die extradiegetische, um einen Begriff von Gérard Genette zu verwenden) konstituiert sich aus der Erzählung der zehn aus Florenz vor der Pest geflohenen Menschen, die sich im Zuge der zehn im Dekameron geschilderten Tage einhundert Geschichten erzählen. Die zweite (intradiegetische) Schale ist der von Filomena erzählte Vorfall um Saladin und Melchisedech. Und die dritte (metadiegetische) Schale entsteht durch die Erzählung Melchisedechs, ist eo ipso die Ringparabel. In den Cento Novelle Antiche, die zwischen 1281 und 1300 entstanden, ist die Ringparabel schon schützende List für den Erzähler vor dem Ansinnen des geldnötigen Sultan. Die Kontrahenten freunden sich hier am Ende der Erzählung allerdings nicht miteinander an.

Anhand dieser beiden Beispiele dürfte klar geworden sein, dass Boccaccio auf eine bereits bestehend Tradition zurückgriff, als er seine Ringparabel verfasste. Dabei reproduzierte er jedoch nicht nur das, was er vorfand, sondern gab der Erzählung ein eigenes Gepräge.

Renaissance und Humanismus

Im Italien des 14. Jahrhunderts begann das Ende des Mittelalters. Manifest wurde der langsame Übergang in die Neuzeit durch eine sich herausbildende Kultur, die sich zum einen allmählich von einer Sicht der Welt unter rein christlichen Aspekten zu lösen begann und zum anderen wieder in verstärktem Maße auf antike Vorbilder rekurrierte. Datiert wird diese Epoche oftmals von 1350 bis 1600. Doch erwies sich bei näherem Hinsehen noch jede Epocheneinteilung der Geschichte aufgrund der oftmals feststellbaren Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, also des zeitlichen Nebeneinanderbestehens grundverschiedener Geistes- und Lebenswelten, als zweifelhaft. Es fällt dessen ungeachtet auf, dass Boccaccios Novellensammlung just an der Scheide zur Renaissance entstand. Tatsächlich lassen sich, wie ich weiter unten noch genauer zeigen werde, Renaissanceideen im Dekameron nachweisen. Des besseren Verständnisses sei jedoch zunächst kurz erläutert, was die Zeit der Renaissance und des Humanismus eigentlich auszeichnete.8

Bei der Bestimmung dieser Epoche handelt es sich nicht wie bei anderen zeitlichen Einordnungen (wie z. B. dem Mittelalter) um reine Konstruktion unserer Zeit. Die die Renaissance tragenden Menschen haben durchaus selbst das Gefühl gehegt, einer neuen, einer von der unmittelbar zurückliegenden Vergangenheit geschiedenen Ära anzugehören. Mit dem Begriff Humanismus wird versucht, den geistigen Ausdruck dieser Zeit zu fassen.

Als wesentliche Merkmale lassen sich eine verstärkte Wertschätzung der Einzelpersönlichkeit, also ein zunehmender Individualismus, und im Zuge dieser Aufwertung des Menschen eine neue Geltung seiner Eigenschaften beobachten. Besonders sinnfällig wird diese Feier des Menschen, seiner Fähig- und Fertigkeiten in der Kunst. Ein literarisches Beispiel ist die 1513 entstandene Fabula de homine von Juan Luis Vives. In ihr wird beschrieben, wie sich die (antiken) Götter nach einem Festschmaus zu ihrem Vergnügen ein Amphitheater erschufen. Dessen Spielplatz aber war die Erde. Die Schauspieler, gemeint sind wohl die verschiedenen irdischen Lebewesen, führten sodann ein Stück auf, das die Götter über die Maßen ergötzlich fanden, insbesondere Juno, die, kindlich vergnügt unter ihren Mitgöttern umherspringend, allen gegenüber ihre Freude emphatisch mitzuteilen suchte. So fragte sie jeden, welcher der Schauspieler denn als bester angesehen werde. Die weisesten Götter […] gaben die Antwort, daß nichts bewundernswerter sei als der Mensch.; Noch deutlicher wird die Verherrlichung des Menschen in einer folgenden Passage, in der die Herkunft seiner Eigenschaften selbst auf Jupiter zurückgeführt wird:

Der Mensch selber, der sich hinter der Maske verbirgt, aber dann und wann hervorleuchtet und fast aus ihr herausspringt und der sich in vielen Dingen deutlich offenbart, ist ganz göttlich und von der Art Jupiters, ja seiner Unsterblichkeit teilhaftig und so an Weisheit, Klugheit, seinem Gedächtnis und seinen Vorzügen beteiligt, daß man leicht erkennt, daß Jupiter ihm diese größten Gaben aus seiner Schatzkammer, ja sogar aus sich selbst verliehen hat.

Aufkommt in der Renaissance also auch eine freie Auseinandersetzung mit der Antike (vgl. die Fabula de homine), wobei die Freiheit darin besteht, sich auch von theologisch obligatem Denken zu distanzieren. Die Sicht auf die Welt wird zunehmend eine säkularisierte, nicht geistliche. Nicht zu vergessen ist, dass sich im Laufe der Renaissance sukzessive eine Wissenschaft herausbildete, die auf Vernunft und Erfahrung, Ratio und Empirie fußt. Als Wegbereiter des rationalen Denkens kann durchaus die mittelalterliche Scholastik gesehen werden – denn schon hier kam es zu einer Auseinandersetzung mit nicht-christlichem Gedankengut und rational gesteuerten Versuchen, antikes Erbe in das System der christlichen Heilslehre einzubinden.

Beschäftigt man sich auch auf einer rein geisteswissenschaftlichen Ebene mit der Renaissance, so tut man meines Erachtens doch gut daran, die Entwicklungen im wissenschaftlich-technischen Bereich auch im Hinterkopf zu haben, welche sich in dieser Zeit vollzogen. Zu nennen sind beispielsweise die verstärkte Anwendung des Schießpulvers, die Verwendung hochseetauglicher Kompasse (Schießpulver und Kompass waren bereits seit dem 13. Jahrhundert in Europa bekannt) und das von Johannes Gutenberg (1397/1400–1468) erfundene Buchdruckverfahren mit beweglichen Metalllettern (um 1450). Die berühmte Entdeckung des Nikolaus Kopernikus (1473–1543), die Erde drehe sich um die Sonne wie auch um sich selbst, ist an sich typischer Ausdruck der Renaissance – denn Kopernikus’ Idee baut auf der bereits von einem antiken Autor geäußerten Vermutung auf. Auch im Bereich der bildenden Kunst kommt es zu einer zunehmenden Individualisierung der dargestellten Gegenstände. Das Verfahren der perspektivischen Malerei, das sich in dieser Zeit durchsetzte, kann auch als Anzeichen für eine Rationalisierung der Zeit angesehen werden, da hiermit der Kunst ein mathematisch ableitbares Verfahren an die Hand gegeben war.

Ferner soll noch einmal betont werden, was oben schon anklang: Religiöse und profane Lebenswelt begannen sich in der Renaissance voneinander zu scheiden. Tenenti spricht davon, dass das Zerbrechen des inneren Gleichgewichts zwischen Dogma und Empfinden, Lehre und Glauben, geistiger Ausarbeitung und unmittelbarem Glaubensausdruck9 für diese Zeit bezeichnend war.

Die Ideen der Renaissance in der Parabel

Kehren wir zurück zur Ringparabel und lassen die Parabel an sich dennoch zunächst einmal beiseite. Widmet man sich allein dem Drumherum, will sagen: der Einleitung Filomenas, der Erzählerin der Novelle bei Boccaccio, fällt einem die Bemerkung dieser auf, man wolle nunmehr zu den Erlebnissen und Handlungen der Menschen herabsteigen. Alle diejenige, die eventuell erwarteten, eine rein religiöse Betrachtung des Verhältnisses der drei monotheistischen Religionen zueinander vorzufinden, werden hier somit enttäuscht. Denn aus diesen Worten spricht, dass sich die Fabel nicht eigentlich um die Frage windet, wie die Religionen zu beurteilen seien, sondern vielmehr darum, wie die Klugheit den Weisen aus den größten Gefahren reißt und ihn in völlige, geruhige Sicherheit bringt. Ferner sei sie, die Fabel, dazu angetan, den Zuhörer in den Antworten auf die Fragen, die ihm gestellt werden, vorsichtiger zu machen.

Diese erläuternde Einleitung enthält eine Programmatik, die den meisten der Boccaccio’schen Geschichten im Dekameron zugrunde liegt. Der Schelm, der sich durch Klugheit einen Vorteil verschafft, und der Abwägende, der Denkende, der die ihm von wem auch immer gesteckten Grenzen nicht als zwingend, dafür revidierbar beurteilt, steht im Mittelpunkt der Betrachtung, wird gelobt und infolge seines Handelns belohnt. Melchisedechs Lohn ist die erlangte Freundschaft des mächtigen Fürsten Saladin; seine spezifisch geistige Leistung, sich einem ihm gestellten Problem vorurteilsfrei zu nähern. So lässt sich bei Melchisedech keine Befangenheit in Sachen der Beurteilung der Religionen beobachten. Für seine Religion einzustehen ist ihm offenbar keine Gewissensfrage; praktisches, ihm persönlich nutzendes Agieren steht im Vordergrund.

Blickt man auf die vor der Ringparabel erzählten Geschichten, bestätigen sich diese Gedanken. Die zweite Geschichte des ersten Tages handelt von einem weisen Juden (es findet sich hier demnach schon das Motiv der Weisheit, Klugheit, das dann auch in der Ringparabel wieder auftaucht), der nach gutem Zureden eines christlichen Freundes und trotz des Betrachtens des Molochs Rom – sowohl Papst als auch Bischöfe leben hier ein ruchloses Lotterleben – zum Christentum konvertiert. Die erste Geschichte desselben Tages wiederum stellt eine derbe Satire auf den Betrug in der Beichte dar. Ein Mensch, der sich sein ganzes Leben über wissentlich und vorsätzlich gegen die Gesetze der allgemeinen Sittlichkeit und des religiösen Anstandes vergangen hat, legt auf seinem Sterbebett die Beichte ab und beschönigt sein gottfernes Leben, um seinen Gastgebern, in dessen Haus er von einer Krankheit zum Tode befallen wurde, keine Schande zu bereiten. Niemand soll denken, diese hätten sich mit würdelosem Abschaum abgegeben. Die Lebenslüge des Verruchten führt schließlich dazu, dass er dem Beichtvater als nachgerade heilige Person erscheint und nach seinem Tode auch als solcher von der lokalen Bevölkerung verehrt wird. Besonders auffallend ist, dass Boccaccio seinen Erzähler Panfilo frank und frei ein veritables Sakrileg berichten lässt und dieses hernach von den Zuhörern mit herzlichem Amüsement goutiert wird. Der Genuss wiegt in der Dekameron-Gesellschaft demnach stärker als die Gottesfurcht.10

Diesen beiden Geschichten ist ergo gemein, dass sie geistige Offenheit propagieren: die Geschichte der Lügenbeichte, weil über sie freimütig und vorurteilsfrei gelacht werden kann und darf; die Geschichte des bekehrten Juden, weil ihm als noch nicht Bekehrtem zwar die Seligkeit im Tode abgesprochen, er aber dennoch als überaus weiser und rechtmäßig lebender Mensch beschrieben wird. Die Gräuelgeschichte vom zu verachtenden Christusmörder wiegt im geistigen Umfeld der Novellen Boccaccios offenbar nicht mehr viel.

Dehnt man die Beobachtung, dass der Mensch und sein Handeln im Fokus der Geschichten des Dekameron stehen, so wie sie im Fokus der Ringparabel stehen, aus, kann man sagen, dass das eigentlich Neue in Boccaccios Geschichten die Tatsache ist, dass die göttliche Instanz explizit beiseite geschoben wird. Nicht mehr Gott ist es, der über Wohl oder Wehe des Menschen richtet, sondern die exzeptionelle Eigenschaft des homo sapiens, des weisen Menschen, selbständig zu reflektieren. Diese Geschichte markiert also eine Hinwendung zur Ratio und, was nicht übersehen werden darf, zum Substantiellen, Greifbaren im Leben – denn Melchisedech gewinnt nicht nur Ideelles in Form der Freundschaft Saladins. Saladin begabte ihn überdies mit ansehnlichen Geschenken.

Boccaccio darf deswegen, das sollte, um Missverständnissen vorzubeugen, erwähnt werden, noch lange nicht atheistischer, deistischer oder dergleichen ketzerischer Ansichten verdächtigt werden.11 Seine Geschichten sind vielmehr ein Tanz auf der Trennlinie zwischen Sakralem und Profanem, wobei jede Seite in ihrem je spezifischen Zuständigkeitsbereich die Oberhand behalten darf, wenngleich das Profane im Dekameron zumeist überwiegt. Filomena, die Erzählerin der Ringparabel, vertritt diese, aus heutiger Sicht für manch einen ambivalent anmutende Geisteshaltung dadurch, dass sie neben der Betonung des Menschen die Tatsache stellt, dass in vorhergehenden Novellen von der Wahrheit unseres Glaubens schon viel Gutes gesagt worden ist. Nicht Spott, Aufrichtigkeit der erzählenden Person schwingt in diesen Worten mit.

Man mag einwenden, die Figuren des Novellenzyklus repräsentierten nicht die Weltanschauung des Autors. Entgegengehalten werden kann dem, das Boccaccio eine edel-gehobene Gesellschaft seiner Zeit auftreten lässt, er den Geschichten ergo den Ideenhorizont des beginnenden 14. Jahrhunderts unterlegt, wie er ihn wahrnahm. Bei Boccaccio erscheint ein gleichberechtigtes Nebeneinander des heute tendenziell Widersprüchlichen somit noch möglich.

In die Parabel an sich einsteigend fällt zunächst auf, dass ein christlicher Autor einen Mohammedaner und einen Juden über die drei aus der Sicht des 14. Jahrhunderts einzigen Religionen debattieren lässt. Das Christentum ist hier neben Judentum und Islam nur gleichberechtigt. Diese Gleichberechtigung wird im Anschluss an die Erzählung nicht reflektiert. Um es noch ein wenig zuzuspitzen: Die Verhältnisse werden aus Sicht des Christentums nicht gerade gerückt. Eine Diskussion über die just erzählte Novelle, wie sie sich nach vielen Novellen im Dekameron-Zyklus entspann, bleibt nach der Ringparabel aus.

Dass die Ringparabel im Orient lokalisiert wird, muss indessen auch nicht allzu sehr verwundern. Tatsächlich findet sich im Islam eine alte Tradition, mit den beiden anderen Eingottreligionen offen über das Verhältnis der Bekenntnisse zueinander zu reden. Schließlich haben sie einen Teil ihrer Offenbarung gemeinsam; Leute des Buches sind sie nämlich alle12; wenngleich die Christen auch mitunter wegen ihrer Trinitätsvorstellung der Vielgötterei verdächtigt werden. Dennoch möchte ich noch einmal betonen, dass die egalitäre Idee, welche hinter Melchisedechs Worten schimmert, von der Gemeinschaft, die sich im Dekameron Geschichten erzählt, nicht zugunsten des Christentums korrigiert wird. Die Welt der Erzählungen Boccaccios ist hienieden. Oder, in Francesco de Sanctis Worten: Diese neue Komödie ist nicht mehr die göttliche, sondern die irdische Komödie.13


Ein in einer Diskussion durchaus angezweifelter und ein wenig verschrobener Einfall von mir soll hier auch noch Erwähnung finden. Eine Parabel ist literaturtheoretisch betrachtet ein verselbständigter Vergleich. In der Ringparabel wird sogar eindeutig, wie ich finde ein wenig plump, betont, dass die Ringe mit den drei Religionen verglichen werden sollten. Was aber ist ein Vergleich? Zu einem Vergleich gehören zwei Gegenstände: das Verglichene und das Vergleichende, Bild und Gegenbild. Beiden Phänomenen gemeinsam ist ein Berührungspunkt, eine beiden anhängende Eigenschaft, Eigenart: das Tertium comparationis, das Dritte des Vergleichs. Im geflügelten Vergleich sie hat Haar wie Gold wäre dem Verglichenen (Haar) und dem Vergleichenden (Gold) zum Beispiel die Eigenschaft zu strahlen gemein.

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen ergeben sich unter Beachtung der in der Ringparabel auftretenden Phänomene folgende Schlüsse. Die drei Ringe entsprechen den drei Religionen. Gemeinsam ist beiden Ebenen dieses Vergleichs, dass sie für die Menschen, die sie besitzen, Zugehörigkeit symbolisieren, ihre Stellung im Gefüge der Welt beschreiben. So hat der Besitzer des wahren Ringes die Position des Familienoberhaupts inne. Teilhaber an der wahren Religion sind dementgegen mit der Führung in der Welt begabt, da sie ihren Machtanspruch von Gott selbst herleiten können. Vergleichsmoment zum Vater in der Parabel aber ist Gott. Denn so wie der Vater entscheidet, welcher der würdigste seiner Söhne ist, und ihm die Führung der Familiengeschicke anvertraut, entscheidet die göttliche Instanz über die Stellung der Religionen zueinander. Sie legt darüber hinaus fest, welche Religion die einzig gültige sei. Die Menschen nun, die sich zu einer Religion bekennen, werden zu den Söhnen der Parabel in Beziehung gesetzt. Das Tertium comparationis wäre hier der beiden gemeinsame Führungsanspruch in der jeweiligen Lebenswelt.

Interessant wird diese Überlegung genau dann, wenn man beginnt, ein Vergleichsmoment für eine weitere in der Parabel auftretende Person zu suchen: den Meister, der die Kopien der Ringe herstellte. Wer könnte das in der Welt, auf die die Parabel referiert, sein? Ist es auch Gott, so wie der Vater? Oder ist es gar der Mensch? Der schaffende Mensch? Und was wäre denn die Konsequenz, wenn hier der Mensch gemeint wäre? Der Mensch als homo faber, der Mensch als Verfertiger? Kämen ihm dann die selben schöpferischen Fähigkeiten wie Gott zu? Hätte er die Möglichkeit sich eine eigene, eine neue Welt zu schaffen, wie Gott eine eigene, eine neue Welt schuf? Eine Welt, die nicht von einem fremden Gott, von fremden Mächten abhängig ist?

Ganz aus der Luft gegriffen sind die Ideen, welche hinter diesen subversiven Fragen lauern, meines Erachtens nicht, da sich mit der Renaissance eine Trennung der geistlichen von der profanen Lebenswelt langsam und, wie bei allen Neuerungen, mit vielen Rückschlägen und Widersprüchen vollzog. Dergleichen ist unbestritten. Dass mit dieser Herausbildung einer selbständigen Welt neben der Geistlichkeit die Bewusstwerdung des Menschen als Individuum einhergeht, beweisen solche Worte, wie ich sie oben als Teil der Einleitung der Ringparabel zitiert habe. Dort ist der Mensch als Individuum im Zentrum des Interesses; dort erscheint der Mensch als alleinige, als oberste Entscheidungsinstanz. Die Betonung der schöpferischen Fähigkeiten in der Person des Handwerksmeisters könnte ein weiterer Beleg für diese Selbstbewusstwerdung sein. Denn so wie er die Gabe besitzt, Preziosen zu verfertigen, die denjenigen eines Hoffmann’schen Cardillac ebenbürtig wären, hat der Mensch der Renaissance die Gabe sich eine Welt mit veränderten, über das Tradierte hinausreichenden Geisteshaltungen zu schaffen.

Entgegengehalten werden kann diesem Gedankengang, soviel soll nicht verschwiegen werden, der Umstand, dass der Handwerksmeister in der Parabel als Person nur flüchtig in Erscheinung tritt. Ferner ist er als Handwerker, der die Kopien des Originalrings herstellt, unabdingbar für den Lauf der Novelle und nicht erst von Boccaccio eingeführt worden. Diese Tatsachen schränken die Gültigkeit meiner Gedanken zwar ein, lassen sie aber, wie ich denke, dennoch nicht als unmöglich erscheinen. Wem sie rundweg abwegig anmuten, dem sei gesagt, dass man auch seitab ausgetretener Gedankenpfade mitunter nützliche Anregungen finden kann. Ist der Weg dort auch nicht ohne Widerstände zu begehen, kann man sich im Falle eines fruchtlosen Versuches über die planen, leicht zugänglichen, viel befahrenen Straßen umso mehr freuen. Und zum Gewinnen dieser Erkenntnis können Abwege allemal dienen.

Lessings Erweiterung der Parabel

Das dramatische Gedicht Nathan der Weise von Lessing, ist ohne die Ringparabel von Boccaccio nicht denkbar. Die Parabel selbst ist Dreh- und Angelpunkt des Dramas und die schon bei Boccaccio entworfene soziale und geistige Umwelt des Jerusalem unter Sultan Saladin dient als Grundlage der Dramenhandlung. Dass der Nathan nicht nur als Aufklärungs-, sondern auch als Toleranzdrama gelesen werden kann, ist nachgerade ein Gemeinplatz und sei dennoch belegt. Als Nathan den Tempelherrn trifft, um ihm für die Rettung Rechas zu danken, wird die durch Akzeptanz und Toleranz geprägt Grundhaltung Nathans der des Tempelherrn gegenüber gestellt:

Nathan: […]
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
Daß alle Länder gute Menschen tragen.
Tempelherr: Mit Unterschied, doch hoffentlich?
Nathan: Jawohl;
An Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden.14

Nathan unterscheidet nur Äußerlichkeiten an den guten Menschen und setzt sie somit innerlich gleich. Dem Tempelherrn ist der Unterschied zwischen den Religionen, also einem innerlichen Wert, gleichwohl von größter Bedeutung, was seinen Ausdruck darin findet, dass er das Leben einer Jüdin als weniger wertvoll erachtet. So rechtfertigt er nachgerade, Recha vor den Flammen gerettet zu haben: Mein Leben war mir ohnedem / In diesem Augenblicke lästig. Gern, / Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, / […] wenn’s auch nur / Das Leben einer Jüdin wäre.15 Es lässt sich also sagen, dass die Grundhaltung religiöser Offenheit, wie sie sich in den Erzählungen Boccaccios oftmals niederschlägt, in Lessings Drama in die Person des Nathan verlagert wurde.

Aber auch eine Affinität zum Rationalen, die Boccaccio in seiner Ringparabel der Figur des Melchisedech zuerkennt, findet sich bei Nathan. So, wenn er Recha (indirekt) auffordert, das Wunder ihrer Rettung doch tunlichst als weniger wundervoll, dafür schlicht erklärlich zu empfinden, denn:

[Nathan:] Der Wunder höchstes ist,
Daß uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn’ dieses allgemeine Wunder, hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müßte,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.16

Der Denkende, das schwingt in dieser Aussage Nathans mit, erkennt nicht jedwedes irdische Geschehen als Wunder an. Vielmehr versucht er, sich mittels rationalen Räsonierens, gedanklichen Zugang zum Weltgeschehen zu verschaffen.

Wendet man sich der eigentlichen Fabel bei Lessing zu, so lässt sich feststellen, dass sie hier pointierter, ja man möchte sagen: noch vollkommener als bei Boccaccio verarbeitet ist. Über die bereits entwickelten Gedanken Boccaccios hinaus fügt Lessing der Fabel noch einige Details hinzu. So hatte (1.) der Stein des ursprünglichen Rings die geheime Kraft, vor Gott / Und den Menschen angenehm zu machen17. Bei Boccaccio fasziniert der ursprüngliche Ring ebenso wegen des Wertes und der Schönheit, geheime Kräfte werden nicht erwähnt. Solche Kräfte werden dem eigentlichen Ring aber auch schon in der Parabel in den Gesta Romanorum zugesprochen. Dadurch erweist er sich, wie oben erwähnt, schließlich als einzig-wahrer Ring. Tatsächlich neu ist bei Lessing (2.) die Betonung, dass der Vater Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, / Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, / Ohn’ Ansehen der Geburt18. Findet in der Parabel Boccaccios die Entkopplung der Ringweitergabe von der Geburt erst in dem Moment statt, in dem der Vater sich zwischen seinen Söhnen nicht entscheiden kann, ist sie bei Lessing schon eingeschliffene Tradition.

Dadurch, dass Nathan erstens dem ursprünglichen Ring geheime Kräfte zuspricht, verleiht er der wahren Religion eine Kraft, die über sich selbst hinausstrahlt. Bei der Kopie des Ringes kann diese Eigenschaft, die ja dem originären Stein inhärent ist, nicht einfach mitkopiert werden. Hierin aber findet sich der Ansatz, dass die Frage, welches der echte Ring sei, zwar noch nicht entschieden ist, aber immerhin noch entschieden werden kann, nämlich aufgrund dieser außerordentlichen Eigenschaften. Wenn Nathan zum zweiten darauf insistiert, dass der Ring dem besten Sohne Ohn’ Ansehen der Geburt zukommen solle, dann beugt er einer allzu raschen Lösung des Problems vor. Das Judentum ist dieser Lesart folgend nicht allein deswegen als eigentliche Trägerin des Rings anzusehen, weil es die älteste der drei monotheistischen Religionen ist. Der Islam ferner wird nicht aufgrund seiner im Verhältnis zum Christen- und Judentum kurzen Tradition ausgeschlossen. Verstünde sich aber nun der Islam als Endpunkt einer religiösen Entwicklung, die mit dem Judentum begann und sich im Christentum fortsetzte, so prädestiniert dies ihn auch nicht, Besitzer des wahren Ringes zu sein. Nicht von der Herkunft, allein von der Entscheidung Gottes hänge es nämlich ab, welche Religion Trägerin des Ringes sei.

Aus diesen von Lessing zusätzlich betonten Vorbedingungen ergibt sich dann, was die Ausführung der Parabel bei Lessing so einzigartig, so meisterhaft macht. Natürlich löst der Aufklärer Lessing die Streitfrage um die wahre Religion nicht – dergleichen raubte der Parabel den Witz. Doch lässt er einen Richter auftreten, der logisch-rational über die streitenden Söhne ein (vorläufiges) Urteil abgibt. Die anfangs vielleicht noch unauffällig scheinende Anmerkung, der wahre Ring habe eine ganz besondere Kraft, die seinen Plagiaten nicht zu eigen sein könne, erweist sich dem Richter als Schlüssel zur Lösung der Streitfrage. Die selbstverliebten Brüder, denen nichts als die blanke Eigenliebe höchstes Gut ist, erweisen sich gerade ob dieser Tatsache als Nicht-Besitzer des fabelhaften Rings. Denn aus der gegebenen Vorbedingung, dass die geheime Kraft [des Rings], vor Gott / Und den Menschen angenehm mache, lässt sich schließen, dass der Besitzers des wahren Ringes als den anderen angenehm erscheinen müsste. Da dies nicht der Fall ist, vermag der Richter letztlich nicht zu entscheiden, wer den eigentlichen Ring besitzt. Diese Unentschiedenheit passt zu der Betonung der Gleichheit der drei Brüder19 und somit übertragen auch der drei Religionen. Keine von ihnen kann es sich dieser Ansicht zufolge erlauben, gegenüber der anderen eine Vorzugsstellung einzufordern.

Der Umstand, dass keiner der Brüder im Vergleich zu den anderen angenehmer erscheint, lässt vermuten: Der tatsächliche Ring ist verloren. Es bliebe uns demnach nur, uns von dessen ehemaliger Präponderanz befreit zu fühlen, uns glücklich zu fühlen, nicht mehr der Dominanz einer einzigen Wahrheit anhängen zu müssen. Auch bei Lessing wird in tausend tausend Jahre[n]20 noch einmal revidiert, ob denn nicht der originäre Ring unter den dreien sein mag. Dazu aber bedarf es eines weiseren Richters. Die Antwort, so darf vermutet werden, bringt diese inskünftige Untersuchung wohl dennoch nicht zutage. Überhaupt ging der wahre Ring vielleicht nicht durch einen Zufall, sondern wissentlich und willentlich verloren: Möglich; daß der Vater nun / Die Tyrannei des einen Rings nicht länger / In seinem Hause dulden wollen!21 Von hier ist es nur ein Schritt bis zu der Feststellung, dass bereits die Frage, welches die wahre Religion sei, falsch gestellt wurde. Nicht die wahre Religion, sondern eine aufrichtige Haltung, die vor Gott / Und den Menschen angenehm macht, gilt es zu suchen. Das ist Aufklärung. Sie fordert auf, zu reflektieren, sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Und hierin, in der Lossagung vom Buchstabenglauben, findet sich ein Zug, der auch für die Zeit Boccaccios typisch war. Wie ich oben gezeigt habe, sind die Helden in seinen Novellen ebensolche Freidenker wie Nathan der Weise.

Ergo

Schließendlich ein knappes Fazit: Die Hinwendung zum Menschen, das Zelebrieren seiner erstaunlichen Fähig- und Fertigkeiten ist Wesensmerkmal der Renaissance. Auf den Punkt gebracht finden sich diese wiedergeborenen Menscheneigenschaften in einem bereits in jener Zeit aufgekommenen Schlagwort: Magnum miraculum est homo22 – ein großes Wunder ist der Mensch. Dieser Geisteshaltung ist die Ringparabel Boccaccios ein beredtes Beispiel. Eine Hinwendung zum Menschen findet sich auch in Lessings Erweiterung. Toleranz des anderen, wenn eine rationale Lösung des Problems nicht möglich ist, erscheint dort als einzig gangbarer Weg. Toleranz aber ist Hinwendung zum Menschen und dessen Eigenschaften und nicht nur ein müßiges Abwägen von Buchstaben und den in ihnen enthaltenen Forderungen. Das ist die Kette, die die beiden im Abstand von über 400 Jahren entstandenen Parabeln untrennbar miteinander verknüpft.

Anmerkungen

1 Vgl. hierzu Hesse, Hermann: Boccaccio. Der Dichter des Dekameron. 2. Auflage, Leipzig u. a. (1997), S. 27 und Grabher, Carlo: Giovanni Boccaccio. Leben und Werk des Frühhumanisten. Hamburg (1946), S. 134.

2 Wenn Boccaccio in der Einleitung zum vierten Tag schreibt, dass er von einem Winde rauh durchrüttelt, ja schier entwurzelt und von den Bissen des Neides ganz zerfleischt worden (Giovanni di Boccaccio: Das Dekameron. Bd. 1. Leipzig u. a. (1972), S. 341) sei, dann verweist er auf die mitunter ablehnende Aufnahme einiger moralisierender Zeitgenossen, die die bereist erschienen Geschichten der vorhergehenden Tage geißelten.

3 Erinnert sei nur an den Aufsatz Nachrichten von den poetischen Werken des Johannes Boccaccio von Friedrich Schlegel, in dem er seine Novellentheorie entwickelte, und an die berühmt-berüchtigte Falkentheorie des Herrn Heyse, die er in Meine Novellistik aus dem Jahr 1900 formulierte.

4 In: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Stuttgart (1990), V. 1911–2054. Ferner sei noch auf die Bearbeitung Hans Sachs’ hingewiesen: Der Jued mit den dreyen ringen.

5 Alle Zitat aus der Parabel sind der im Insel Verlag erschienen Übersetzung von Albert Wesselski entnommen (vgl. Fußnote 2). Es handelt sich um die dritte Geschichte des ersten Tages.

6 Vgl. Petronio, Giuseppe: Vorurteilslosigkeit und Weisheit. In: Boccaccios Decameron. Hrsg. v. Peter Brockmeier. Darmstadt (1974), S. 51.

7 Vgl. zur Herkunft der Motive der Parabel Hermes, Eberhard: Die drei Ringe. Aus der Frühzeit der Novelle. Göttingen (1964), S. 109–112 und Stewart, Pamela D.: A Note on Boccaccio, Lessing and the Parable of the Three Rings. In: The Notion of Tolerance and Human Rights. Essays in Honour of Raymond Klibansky. Ed. by Ethel Groffier and Michel Paradis. Carleton (1991), S. 37–45.

8 Vgl. zur Epochendefinition Romano, Ruggiero/Tenenti, Alberto: Weltbild Weltgeschichte: Bd. 12, Die Grundlegung der modernen Welt: Spätmittelalter, Renaissance, Reformation. Augsburg (1998), Garin, Eugenio (Hrsg.): Der Mensch der Renaissance. Frankfurt/Main u. a. (1990), Honour, Hugh/Fleming, John: Weltgeschichte der Kunst. 5. Auflage, München (1999) und Störig, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. 16. Auflage, Stuttgart u. a. (1996).

9 Romano/Tenenti 1998, S. 88–89.

10 Grabher formulierte den Umstand, dass die Novellen Boccaccios nicht nur Motiven des Mittelalters verhaftet sind, sondern auf eine moderne Geisteshaltung verweisen wie folgt: Zahlreich sind die Novellen, in denen das Glück eine wesentliche, ja die Hauptrolle spielt. Es wird nicht mehr wie bei Dante als bewußte, von Gott gelenkte himmlische Intelligenz verstanden, sondern vielmehr mit dem höchst launischen Zufall gleichgestellt, der neben der göttlichen Vorsehung blindlings waltet, ohne sie jedoch ausdrücklich zu leugnen. Diese Auffassung geht schon über die Vorstellung der mittelalterlichen Welt hinaus (Grabher 1946, S. 120).

11 Petronio erkennt den Glauben an den Christengott in den Novellen Boccaccios nicht als verworfen an. Vielmehr betont er eine Position der Indifferenz, wenn auch nicht Ablehnung in Glaubensfragen: […] der Glaube ist nicht mehr aktiv und nicht mehr Schöpfer einer Welt, man darf es nicht als Satire oder als bewußten Spott bewerten (Petronio 1974, S. 52).

12 Vgl. Hermes 1964, S. 106.

13 Sanctis, Francesco de: Der Decamerone. In: Boccaccios Decameron. Hrsg. v. Peter Brockmeier. Darmstadt (1974), S. 44.

14 Lessing 1990, V. 1273–7.

15 Ebd., V. 1215–20.

16 Ebd., V. 217–24.

17 Ebd., V. 1915–6.

18 Ebd., V. 1924–6.

19 Lessing 1990, V. 1929–33.

20 Ebd., V. 2050.

21 Ebd., V. 2035–7.

22 In Pico della Mirandola: Oratio de hominis dignitate/Rede über die Würde des Menschen. Stuttgart (1997), S. 4 heißt es: Magnum, o Asclepi, miraculum est homo.