Auf der Grenze zwischen Liebe und Tod
Feridun Zaimoglus Liebesbrand

Spätestens durch die Erzählungen in Zwölf Gramm Glück hat Feridun Zaimoglu seine Fähigkeit, ganz und gar ungewöhnliche Liebesgeschichten zu schreiben, eindrücklich bewiesen. Jetzt legt er mit seinem neuen Buch Liebesbrand einen Roman vor, der seinen früheren Texten über die Liebe allemal das Wasser reichen kann. Eine Rezension.

Von


»Liebesbrand«, Buchcover
Feridun Zaimoglu: Liebesbrand. Roman, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008. (Bildquelle)

Im Anfang steht die Ur-Szene, ein Bild, das das Folgende in sich birgt, das es in mystische Sphären erhebt, von dem alles ausgeht, in das alles zurückfließt. Feridun Zaimoglu lässt seine Romane gerne mit solchen Szenen beginnen, in denen sich Handlung und Bewegung des Gesamttextes bildhaft widerspiegeln. Schon in seinem letzten Roman Leyla nimmt Zaimoglu die Handlung metaphorisch im einleitenden Prolog vorweg. Und zwar durch die Beschreibung einer Wolfsjagd, dadurch, wie die Meister der Wollust ihrem Opfer nachstellen, einem Opfer, das erst später einen Namen erhält: Leyla, die von ihren wölfischen Mitmenschen gejagte und zerbissene. Die Bewegung, die der Roman beschreibt, nämlich die Wanderung Leylas von der Kultur des Orients in die des Okzidents, verpackt er in zwei schmale Absätze, die noch vor der Jagdszene stehen: Dies ist eine Geschichte aus der alten Zeit. Es ist aber keine alte Geschichte. / In Gottes Namen –. Zumindest scheint es so, dass man den kryptischen Anfang auf diese Weise deuten sollte, lehnen sich die einleitenden Worte doch stark an die zweier berühmter Märchen- und Sagensammlungen an: einer okzidentalischen (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm: In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat) und einer orientalischen (Geschichten aus Tausendundeiner Nacht: Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen!).

Für seinen neuen Roman Liebesbrand beschwört Zaimoglu wieder eine solche Ur-Szene. Das Bild, auf das er hier zurückgreift, ist das des kleinen Todes, der petite mort, jene dem Orgasmus folgende und mit dem Tod assoziierte Erfahrung der Ohnmacht, bei der die Umwelt in einem Nirgendwo verschwindet. Die Versprechen der Liebe und die Bedrohung durch den Tod bilden in dieser Metapher, genauso wie in der erzählten Geschichte, merkwürdigerweise eine unauflösliche Einheit. Aus diesem Grund lässt Zaimoglu Liebesbrand mit einer, sich später als nur vorgestellt erweisenden Todeserfahrung beginnen: Es wurde dunkel, es wurde hell, dann aber starb ich. Der Erzähler, David, gerät in eine Katastrophe, ein Busunglück, bei dem er seinen vermeintlichen Tod als apokalyptische Offenbarung erlebt, die ihn kurzfristig in die kleine Hölle vor dem Eintritt in das große Paradies führt, die ihm einen Eindruck von jenem dunklen Traum jenseits des Lebens gibt. Ein Traum, aus dem David rasch wieder erwachen wird, um direkt in den Strudel einer Liebesgeschichte gezogen zu werden. Bezeichnend ist, dass er, kurz nachdem er sich aus dem brennenden Wrack des Busses, mit dem er verunglückte, retten konnte, beim Aufschlagen der Augen, also in dem symbolischen Moment, in dem sein Todestraum endgültig beendet ist, eine Frau erblickt: Tyra. Tyra, die nichts tut, als ihm, dem Verletzten, einen Schluck Wasser anzubieten, entfacht schon hier, wortwörtlich im ersten Augenblick den Liebesbrand in David, der seine triebhaften Aktivitäten über die gesamte Länge des Romans befeuern wird. Tod und Liebe sind schon hier, wo die Geschichte beginnt, zwei Zustände, die enger miteinander verwandt erscheinen, als dies im Allgemeinen von ihnen angenommen wird.

Von nun an wird David Tyra ununterbrochen nachlaufen, um ihre Liebe zu gewinnen. Sie ist das Traumbild, das ihn durch halb Europa (Türkei, Deutschland, Tschechien, Österreich) hetzen lässt, immer auf der Suche nach seiner Schönen, um die er bei jeder Begegnung heftig wirbt; dabei keineswegs monogam verknöchert, sondern lebhaft promiskuitiv, auch Gelegenheiten, die sich am Wegesrand bieten, nicht außer Acht lassend. Ferner wird er auf allerhand skurrile Gestalten treffen: Patienten in einem Krankenhaus, die sich vorzugsweise nach dem Organ ihrer Krankheit nennen; einen ehemals kämpfenden Maoisten, der sein Geld damit verdient, gefälschte Alraunmännchen an Abergläubische zu verschachern; ein Prager Künstler, der das selbst geknetete Gesicht einer Heiligenfigur an Touristen verkauft; ein Wirt, der aus einem durchaus nachvollziehbaren Grund nur eine beschränkte Auswahl an Gerichten anbieten kann: Bin besoffen, großes Menü geht nicht; usw. Zusätzlich verwebt Zaimoglu in seinen Text kurze Sagen und Träume, findet er immer wieder Abwege, von denen er seine Figuren erzählen lassen kann.

Diese Abwege, also genau das, was man schon beim ersten Lesen als Abweichung von der Norm empfindet, ist das eigentlich Faszinierende an Zaimoglus Text. Das Ausloten der Möglichkeiten des Erzählens, das Einsetzen einer Bildsprache, die hart an der Grenze zum Übertreiben wohnt, ist schon immer seine große Stärke gewesen. Hier wird noch der gewöhnlichste Gegenstand emphatisch überhöht, hier wird das Parfüm zum Männerduft und ein cremte die Lippen ein zu strich Balsam auf die Lippen. Dass Zaimoglu in der Lage ist, jedem seiner Bücher einen anderen Ton zu geben, der Inhalt und Duktus miteinander auf je eigene Art und Weise verschweißt, erhöht den Reiz seiner Texte ungemein. Auch wenn man manchmal fast schon das Gefühl hat, dass hier eine gewisse Unsicherheit in der Verwendung des richtigen Ausdrucks bestehe (für Ulrich Greiner wirkt es mitunter so, als wäre er [der Text] aus einer anderen Sprache übersetzt) – wie wandelbar und gekonnt Zaimoglu sich des Deutschen zu bedienen weiß, hat er in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen: durch den inszenierten Tabubruch einer Sprache der Außenseiter in Kanak Sprak (Hier hat allein der Kanake das Wort), durch das Todesspiel mit einer dekadenten Obszönität in German Amok (Die Kunstfotze ist nicht zu übersehen) und jetzt in Liebesbrand durch die emphatische Verzweiflung im Angesicht des Todes/der Liebe.

Am Ende seiner sentimental journey wird David Tyra bekommen und verloren haben – beides zugleich. Die Existenz des Schönen, das ergibt sich aus diesem Text, ist zwar gewiss, man kann es deutlich spüren, doch es lässt sich nicht festhalten, egal wie ausdauernd man nach ihm greift. David ist der Sisyphus der Liebe, den wir uns allerdings nicht als einen glücklichen Menschen vorstellen dürfen. Denn sie, die Liebe, beschert ihm allzu oft und allzu beständig die Qualen eines Tantalus. Er trifft Tyra während eines Unglücks – es ist sein Unglück, Tyra getroffen zu haben. Der unauflösbare Zusammenhang von Glück und Unglück, von Sehnsucht und Erfüllung, den Zaimoglu seinem Roman eingraviert hat, manifestiert sich auch darin, dass David auf seiner Liebespirsch fortwährend körperlich von seiner direkten Umgebung bedroht wird. Zaimoglus Lesart der Liebe ist keineswegs nur romantisch-harmonisch. In ihrem Umfeld wuchert die Gewalt. David wird immer wieder angegriffen und verletzt; von geschassten Liebhabern, von Wahnsinnigen, durch Unglücks- und Zufälle. Er wagt auf seiner Suche nach dem Schönen Leib und Leben, er riskiert Kopf und Kragen. Sein Trieb und die ihn umgebende Gewalt sind Baustein seiner Verzweiflung, die sich denn auch an der ein oder andere Stelle Luft macht. So ruft er, nachdem er wieder einmal geschlagen wurde und ihm daraufhin wieder einmal eine Frau ein bisschen Wasser reicht, konsterniert aus: wie oft denn noch wollen mir Frauen helfen!

Das Schöne an Zaimoglus Roman ist allerdings, dass er nicht so durchwegs tragisch daherkommt, wie er in seiner Konsequenz eigentlich ist. Der Text ist trotz der desillusionierenden Schlüsse, die man aus ihm ziehen kann, sehr humorvoll und witzig geschrieben. Die Komik entwickelt sich dabei nicht nur aus dem merkwürdigen Personal, sondern auch aus den frischen Bildern, die Zaimoglu immer wieder sucht und findet. Über die Besucher einer Ü30-Party heißt es beispielsweise:

Die Musik lief leise, schließlich war das eine Party für nicht mehr junge Männer und Frauen, und sie waren hierhergekommen, um sich zu unterhalten, es wimmelte von zahmen Stachelrochen, die im bauchtiefen Wasser schwammen und auf Fischreste hofften, und mein Blick fiel auf einen Mann, der aussah wie ein toter Delphin im Treibnetz, er sah gut aus und war gut angezogen, er hatte es doch nicht nötig.

Glückliche Momente wie diesen hat Liebesbrand – darüber kann man leider nicht hinwegsehen – allerdings nicht immer. Mitunter finden sich auch Dialoge, die aus einem Stück ziemlich zäher Pappe herausgeschnitten wurden und auf denen man als Leser dann genötigt wird herumzukauen:

Du mußt es doch verstanden haben. Ich kann nicht mit dir leben. / Ich erwarte nicht viel, sagte ich. / Vorbei, sagte sie. / Was, verdammt noch mal, soll vorbei sein?! Du hast doch noch gar nicht angefangen. / Doch habe ich. / Es wird dir vielleicht nie wieder passieren, daß ein Mann dich so begehrt wie ich. Das weißt du doch. / Ja, das weiß ich, sagte sie. / Aber es ist dir egal.

Worauf man sich auch gefasst machen muss, ist, dass der Handlungsverlauf und die Aktionen der Figuren beileibe nicht immer schlüssig sind. Die Welt, von der Zaimoglu schreibt, ist zwar in vielerlei Hinsicht sehr realistisch, sinnlich, körperlich; so zum Beispiel in der expliziten Beschreibung eines Liebesaktes: ich drückte mich von ihr weg und drückte mich wieder an sie, drückte mich weg und preßte mich an sie, immer wieder, bis sie mich abwarf, was für eine Kampfkraft, jetzt spießte sie sich auf usw. Das Verhalten der Figuren wirkt aber zugleich vollkommen überspannt und unwirklich, als wäre das Geschehen nicht von dieser Welt. Dieser merkwürdige Zwiespalt ist jedoch nicht als Schwäche, sondern vielmehr Stärke des Textes zu verstehen. Denn hier folgt Zaimoglu konsequent dem Grundton, den er bereits im einleitenden Kapitel mit der Beschreibung des Busunglücks, in das David verwickelt wurde, angestimmt hat. Ist das Unglück auch von dieser Welt, so verweist sein subjektives Erleben auf eine Seinsmöglichkeit jenseits des physisch Greifbaren. Der Umstand, dass die Psychologie für die Figuren in Liebesbrand in mancherlei Hinsicht neu erfunden werden muss, behindert das Lesevergnügen nicht. Er vermehrt es nur noch.

Feridun Zaimoglu hat mit Liebesbrand erneut eine etwas andere Liebesgeschichte geschrieben, der eigentlich nur noch ein hübsches Ende fehlt. Die apokalyptische, bildreiche Stimmung des Anfangs wird nicht mehr aufgegriffen, es ist vielmehr so, als ob der Roman eines langsamen Todes stirbt, unspektakulär und unprätentiös. Und trotzdem ist Liebesbrand ein schöner, ein lesens- und empfehlenswerter Text, an den sich wohl jeder gern erinnern wird.