Tag: Individuum

Heiraten als Schlussfigur der Ordnung in Romanen des 19. Jahrhunderts

Nach der Hochzeit gibt es nichts mehr zu erzählen, darum endet der Roman. Betrachtet man die deutsche Romanproduktion des 19. Jahrhunderts ist diese Feststellung gewiss richtig, aber auch ein wenig zu kurz gedacht. Die Heirat, die am Ende der meisten Romantexte des 19. Jahrhunderts steht, ist in dieser Literatur viel mehr als stilistische Konvention oder narrativer Kniff, um den Ausstieg aus der Erzählung in einer den Leser überzeugenden Weise zu inszenieren. Denn vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Familien-, Ehe- und Gesellschaftsdiskurses erscheint die Hochzeit noch in einem ganz anderen Licht: Sie erweist sich als manifestierter Wunsch nach sozialer Ordnung in einer aus den Fugen geratenen Welt.

John Stuart Mills Konzeption der Freiheit des Individuums

Die Menschen wollen … Politische Statements, die so oder so ähnlich beginnen, sprechen Andersdenkenden in systematischer Weise das Menschsein ab. Denn egal was es ist, was die Menschen wollen – die Phrase impliziert, dass diejenigen, die das Behauptete nicht wollen, keine Menschen seien. In aller Regel dürfte es sich bei derartigen Formulierungen zwar um kaum mehr als die gedankenlose Reproduktion alberner Floskeln handeln. Trotzdem legen sie ein strukturelles Problem des politischen Diskurses bloß: Argumentiert wird prinzipiell von der Mehrheit her, Nähe zum Einzelnen wird nur simuliert. Denn die Minderheit, die Ausnahme, das Individuum spielen in Statements, die auf diese Weise vorgetragen werden, keine Rolle. John Stuart Mill reflektiert in seinem Essay Über die Freiheit (On Liberty, 1859) just diesen Umstand. Nicht mehr der Staat sei es, der den Freiheitsraum des Einzelnen in substantieller Weise einenge; das Individuum habe vielmehr unter einer Tyrannei der Mehrheit zu leiden. Auch wenn das hier sichtbar werdende, grundsätzliche Staatsvertrauen revidiert gehört – Mills vom Individuum aus entwickelter Freiheitsbegriff ist durchaus aktuell und bedenkenswert. Denn der liberale Denker versucht in kluger Weise gesellschaftliche und individuelle Interessen auszubalancieren.

Erinnerungsort und Selbstverstümmelung

Die Autobiographie ist ein Genre, in dem sich der Autor mit einer Unmittelbarkeit selbst hinterfragt wie in keinem anderen. Dieser sehr spezifische Akt der Selbstbefragung kann als Wille und Zwang zur Deformation der eigenen Persönlichkeit und Geschichte interpretiert werden. Dass der gattungsspezifische Hang zur Selbstreflexion nicht nur für den Autor, sondern auch für den Rezipienten Folgen hat, soll an den Autobiographien von Günter Grass und Joachim Fest demonstriert werden.

Lessings Fabeln – Kampfmittel der Aufklärung?

Nie erfreuten sich Fabeln in der deutschen Literatur größerer Beliebtheit als im Zeitalter der Aufklärung. Alles, was Rang und Namen hatte, schrieb Fabeln. Aus heutiger Sicht werden Fabeln intuitiv der Kinderliteratur zugerechnet, ein Umstand, der ihre Beliebtheit in der Frühen Neuzeit umso bemerkenswerter erscheinen lässt. Anhand von Lessings Fabeln und seiner Fabeltheorie wird gezeigt, dass die Gattung einst ein literarischer Ort war, an dem sich Philosophie und Moral eines erwachenden Bürgertums kreuzten.