Die Hoffnungslosigkeit ist kein Hindernis zu kämpfen, bis dich die Hoffnungslosigkeit übermannt. Für Pierre Dumaine und Eve Charlier, den zentralen Personen in Das Spiel ist aus, ist das Spiel schon am Anfang des Drehbuchs von Sartre aus. Die Einsätze sind gemacht und verloren, das Glück ist bereits schlafen gegangen. Und dennoch mühen sich die beiden Figuren, ihr Schicksal nicht ertragen wollend, in verzweifelten Versuchen zumindest zeitweise, dem Unabänderlichen ein Schnippchen zu schlagen, nach einer Lücke im unabänderlichen Gesetzeswerk der göttlichen Administration zu heischen.
Der Plot des Buches ist an der Oberfläche einfach gestrickt. Pierre und Eve repräsentieren zwei grundverschiedene Personentypen. Pierre stellt den klassischen Arbeiter dar, wie ihn sich ein Marxist nicht hätte ehrbarer vorstellen können: Er ist nicht nur Arbeiter, sondern auch Aktivist. Eve dementgegen erscheint als Dame der besseren Gesellschaft, wie es sie so viele gibt: unglücklich in ihrem schreienden Glück und eingesponnen in Intrigen, welche sich auszudenken nur diese Schicht die Muße hat. Die beiden sterben zur selben Zeit und treffen sich im Jenseits wieder, wo sie einander kennen und lieben lernen.
Bei allem, was die Protagonisten anfangs trennt, zeigen sich doch auch Gemeinsamkeiten. Gemeinsam sind Pierre und Eve nämlich nicht nur der Todeszeitpunkt und die Liebe, sondern auf einer höheren Ebene auch die Todesart. Zwar wird Pierre von einem denunziatorischen Spitzel des von ihm bekämpften Regimes erschossen und Eve von ihrem raffgierigen Mann vergiftet, doch kann man durchaus abstrahieren, dass sie beide an den Fährlichkeiten ihrer spezifischen Existenz zugrunde gehen; die Todesart ist bei jedem gesellschaftlich bedingt. Sind die gesellschaftlichen Wirklichkeiten von Pierre und Eve auch grundverschieden, so erscheinen im Buch beide als gleich tödlich. Grundverschieden ist hier nur die Oberflächenstruktur des Todes, die tieferen Ursachen sind dieselben. Dadurch dass die beiden zentralen Figuren nun aber einerseits als (oberflächlich) divergent und andererseits als (tiefenstrukturell) konvergent erscheinen, werden sie entindividualisiert. Es geht nicht mehr nur um einen gemeinen Gesellschaftskonflikt zweier, durch einzelne Personen wiedergegebener Klassen, dafür aber um den Kampf, den jedes Individuum, gleich in welcher sozialen Kaste es sich bewegt, zu bestehen hat. Die Verschiedenheit der Figuren nähert sich der Gemeinsamkeit aller Menschen. Sartre führte demnach die Schicksale dieser beiden Klassenrepräsentanten zusammen und zeigt in Das Spiel ist aus mehr als die gemeinsamen Verstrickungen zweier Einzelindividuen.
Eingetreten in die gleichgültige Welt des Todes entdecken Pierre und Eve, wie schon gesagt, die Liebe zueinander, jedoch nicht ohne zuvor auf den Gängen durch ihre nunmehr von Toten und Lebenden übervölkerte Stadt erkannt zu haben, wie sehr sie in ihrem ganz persönlichem Leben fehlten: Der zu Lebzeiten von Pierre anvisierte Komplott gegen das diktatorische Regime wird von ihm als schon lange verraten erkannt und der Ehemann Eves verliert vor ihren Augen die Maske des liebenden Gatten. Entlarvt erscheint eine allein nach Mitgiften schielende Hinterhältigkeit. Eingetreten in die gleichgültige Welt des Todes sind die Liebenden, und erfahren mussten sie hier, wie ihre Dinge stehen. Angekommen sind sie dort gleichwohl nicht. Das Phlegma aus Ignoranz gegenüber den Verwerflichkeiten, welchen die Toten unter den Lebenden aller Tage ansichtig werden, hat die beiden noch nicht erfasst. Und so ist ihre frisch entdeckte Liebe nicht nur ein Spielchen, das man hier, im Totenreich, nicht so recht zu Ende spielen kann, sondern eine Liebe voll Innigkeit, nachgerade lebhaft
.
Aufgrund einer abstrusen Verordnung (Artikel 140
) wird es den Liebenden nun gestattet, unter Auflage in die Welt zurückzukehren. Genauer besagt die Verordnung, dass liebende Menschen, die füreinander bestimmt waren, sich im Leben indessen nie begegnet sind, das Recht auf Reklamation ihre Todes haben und so, ohne ihr Schicksal zu vergessen, zum Todeszeitpunkt wieder lebendig werden können. Die Auflage aber ist, dass Pierre und Eve sich unter den Lebenden binnen vierundzwanzig Stunden als wahrhaft liebend erweisen müssen, dass sie sich als Menschen zeigen müssen, denen ihr Gegenpart über alles geht. Hieran, der Titel lässt es schon vermuten, scheitern Pierre und Eve freilich, da sie längst ausgespielt haben. Die Art des Scheiterns ist gleichfalls interessant: Die beiden entpuppen sich als so umfassend in die Vorgänge ihres Vorlebens eingebunden, dass sich beispielsweise Pierre auf die Gretchenfrage Eves, ob er es nun mit ihr oder seinen Mitverschwörern halte, entscheidet, lieber diese vor der drohenden Katastrophe zu warnen, als sich stattdessen ganz der Aufgabe zu widmen, jene wahrhaft zu lieben.
Ist die Entscheidung, persönliche Probleme zu lösen (bei Pierre haben diese Probleme immerhin einen allgemeinen Charakter), dafür die Hinwendung zum Partner zurückzustellen, als individuelles Versagen der Figuren einzustufen? Nein, Pierres und Eves Versagen in diesem alles entscheidenden Moment stellt sich, zumal die zentralen Personen sich schon zuvor als solche erwiesen haben, die keine Spezialprobleme, sondern Allgemeinmenschliches darstellen, als ein Versagen des Menschen an sich heraus. Der Mensch, so mutet es an, kämpft darum, seinen Einsatz bei schon rollender Kugel noch einmal zu verschieben, obwohl er genau weiß, dass die Regeln des Spiels es nicht zulassen und dergleichen Ansinnen vergebliches Bemühen ist. Der ganz private Kampf des Einzelnen ist also ebenso zwecklos wie absurd, trägt aber die Maske des Unausweichlichen.
Betrachtet man die Figuren auf diese Weise, rückt ihre Konstitution verdächtig in die Nähe der Philosophie eines lange Zeit mit Sartre befreundeten Existenzialisten: Albert Camus, dessen Nachname übrigens im Hauptbuch der Angestellten an der Pforte zum Tode in einer Szene von dieser genannt wird. Wohl ein Bonmot Sartres. (Camus und Sartre hatten 1947, das Entstehungsjahr von Sartres Das Spiel ist aus und Camus’ Die Pest, wodurch dieser Weltruhm erlangte, noch nicht miteinander gebrochen. Das sparte man sich für 1952 auf.)
Pierre und Eve kann man im Sinne Camus’ als Charaktere sehen, die der Absurdität der Welt voll ausgesetzt sind. Sie tragen in ihrer Zwiespältigkeit das typische Symptom des Absurden. Die Zerrissenheit, das Erscheinen der Uneinheitlichkeit der Personen ist, Camus folgend, sowohl zwischen dem einzelnen Menschen und der Welt als auch im Menschen selbst anzutreffendes Merkmal des Absurden. Im Buch konkret festgemacht werden kann die Zerrissenheit der Personen daran, dass Pierre sich weder für die Zwänge der Welt noch für seine Liebe zu Eve entscheiden kann. Gleich welche Alternative er wählt, es ist die falsche, sie weist keinen Weg aus seiner Zerrissenheit. Bezeichnend hierfür ist die Art, auf die er zum zweiten Mal stirbt: Er steht in einer Telefonzelle, die sich in einem Schuppen befindet, der wiederum als (nun nicht mehr) geheimer Versammlungsort der Verschwörer gegen das Regime fungiert, und wird von Kugeln der Milizionäre durchsiebt, alldieweil er mit Eve (!) telefoniert. Er steht also mit den beiden Polen, die für seine Zerrissenheit stehen, in Kontakt und geht zugleich zugrunde.
Sind sie den absurden Fährnissen des Daseins auch ausgeliefert, kann man Pierre und Eve dennoch nicht als absurde Menschen bezeichnen. Ihr Leben und Weben hat nur alle Kennzeichen der Absurdität, was sie jedoch noch lange nicht zu absurden Menschen macht. Denn in der Philosophie Camus’ ist der absurde Mensch dadurch ausgezeichnet, dass er der Zerrissenheit der Welt und sich selbst, kurz: der Absurdität, offen ins Auge sieht und gegen sie kämpft. Dabei müsse der absurde Mensch jedwede Hoffnung ausschließen und in bewusster Unzufriedenheit alles ablehnen. Der ziellose Kampf gegen das Absurde erscheint als Zweck, dessen Zwecklosigkeit offen anerkannt wird. Im Mittelpunkt steht demnach der Kampf gegen das Fatum, und es ist blankes Glück, was einem hierbei widerfährt. Diesen Gedankengang weitergestrickt kann Camus denn auch behaupten, dass der Kampf des Sisyphos, der im Hades unendliche Versuche unternehmen muss, einen Stein einen Berg hinaufzurollen, gleichwohl ihm derselbe wieder und wieder kurz vor dem Gipfel ins Tal hinabrollt, ein glückerfüllter Mensch sei. Für den absurden Menschen ist die Welt weder rational […] noch irrational. Sie ist unvernünftig, nichts weiter
(vgl. hierzu Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos). Pierre und Eve erkennen die Absurdität des Daseins nicht, weswegen sie nach ihrem zweiten Tode auch deprimiert und gelangweilt in einem Park herumsitzen und nicht im Mindesten daran denken, den Kampf gegen ihre unveränderliche Entzweiung fortzuführen. Sie überwinden ihr Schicksal nicht, da sie nicht versuchen, es durch Verachtung zu bezwingen.
Zieht man bei der Auslegung des Drehbuchs schon die Existenzphilosophie zu Rate, wie ich es hier getan habe, dann darf man nicht fehlen, den Hauptvertreter ihres französischen Zweiges selbst aufs Tapet zu bringen, zumal er Jean-Paul Sartre heißt. Bezeichnend für die Existenzphilosophen ist, dass sie im Grunde keine festgefügte Schule errichteten, ja sich mitunter dagegen verwahrten, explizit in diese Schublade gesteckt zu werden. So unterscheidet sich die Ausformung der Sartre’schen Philosophie auch von der Camus’. Sartres Ansatz ist nämlich, dass der Mensch zunächst einmal nichts ist. Er ist ein Ding, das einfach nur existiert, das nicht einmal ist, was es ist, sondern einfach ist
. Seine Individualität erlange er erst im Zuge seiner Existenz, denn in ihr habe er die Freiheit zu werden. Dieses Werden aber zeichne sich vornehmlich durch (politisches) Engagement aus, was wir auch in der Figur des Pierre wiederfinden. Pierre wird zu dem, was er ist, dadurch dass er existiert und sich engagiert. Das Nichts, aus dem der Mensch sich mittels Engagements heraushob, so Sartre weiter, trachte danach, ihn wieder in seinen Bann zu ziehen. Man kann vielleicht sagen, dass es ihn umwölkt und sich anschickt, ihn in einem Wolkenbruch ordentlich zu durchnässen, auf dass der Mensch ihm wieder ein Stückchen ähnlicher werde. Des Weiteren findet sich bei Sartre der Gedanke, dass der Mensch mit allen anderen Individuen aufs Engste verflochten sei, also immer in Kommunikation mit dem Nächsten, immer intersubjektiv existiere. Selbstredend wird diese Idee auch in Das Spiel ist aus reflektiert. Die Schicksale von Pierre und Eve sind über ihren gemeinsamen Tod hinaus eng miteinander verwoben, was besonders dann deutlich wird, als sich Eves liederlicher Ehemann als Milizsekretär herausstellt. Trafen Pierre und Eve sich im Leben auch nie, so standen sie dessen ungeachtet, ohne es zu wissen, miteinander in Beziehung.
Auf der Folie dieser Gedanken wird die Resignation der Protagonisten im Angesicht ihres zweiten endgültigen Todes klarer. Sie können sich nämlich nicht mehr engagieren – die Toten, so haben Pierre und Eve es während der kurzen Phase ihres ersten Todes bereits erfahren, erweisen sich als machtlos gegenüber den Auswüchsen des Lebens, denen sie, gleichsam als Folter, fortwährend beiwohnen müssen. Der Tod des Paares erscheint also in Anbetracht der Sartre’schen Philosophie als doppelt grausam, da er die Menschen nichtet, ihnen jegliche Möglichkeit nimmt, sich selbst zu finden, indem sie durch Engagement werden. Die Tantalusqualen, die er für sie bereitet, sind das eindeutige Wahrnehmen der Not zum Eingreifen in das Weltgeschehen und die damit verbundene Erkenntnis, es nicht zu vermögen.
Aus dieser kurzen Betrachtung lässt sich schlussfolgern, dass der Text einen weiten Hintergrund hat, der über die ironische Spielerei mit der melancholischen Langeweile des Lebens im Tode (schon in der 1925–1928 entstandenen, sehr zu empfehlenden satirischen-traurigen Erzählung Nachher von Kurt Tucholsky findet sich ein solcher Topos) und über die Verknüpfung zweier Schicksale hinausgeht. Das Drehbuch erhellt sich erst durch das Einbeziehen der Gesellschaftsentwürfe, wie sie in der französischen Existenzphilosophie niedergelegt sind.
Für eine abschließende Beurteilung des Textes muss noch Folgendes Erwähnung finden. Das Spiel ist aus ist ein Drehbuch und darum auch wie ein Drehbuch geschrieben. Sucht man ein literarisch anspruchsvolles Lesevergnügen, findet man es in diesem Text nicht. Seine Klarheit, also seine nicht durch literarisches Gebaren verbrämt Form, ermöglicht es aber eindeutige Aussagen über den Plot und seine Bedeutung zu treffen – vielleicht sogar bestimmtere, als dies zu anderen Dramen desselben Autors möglich ist. Ferner halte ich es noch für bemerkenswert, dass sich schon aus dem Text eine ganz eigene Philosophie erschließen lässt, wofür die filmische Umsetzung nicht unbedingt vonnöten ist. Moderne Drehbücher können sich von den geistigen Möglichkeiten dieses Textes ein Scheibchen abschneiden. Als grandios bezeichnete, weil als philosophisch angesehene, Filme wie Matrix können da nicht mithalten. Gerade in Matrix werden doch nur uralte, längst abgegriffene Gedanken in ein glitzerndes Stützkorsett gepresst. Da heute allzu viele allzu viel auf den schönen Schein geben, erkennen diese viel zu vielen viel zu wenig, dass sich mit dem technischen Firlefanz dieses Filmchens eine schlichte Epiphanie camoufliert. Der Held heißt hier eben nicht Messias, wie bei den Juden, oder Mahdi, wie bei den Schiiten, oder Jesus, wie bei den Christen, sondern The One
. Kurzum: Einiges gegen solche Filme, doch nicht alles (zum Bildersaugen sind sie immer noch gut), dafür vieles für Filme, die auf einer so hervorragenden Basis arbeiten, wie sie beispielsweise Sartre mit seinem Das Spiel ist aus vorgelegt hat.