Kosmolinguistik
Zur Sprachmystik in Jacob Böhmes Aurora

Das 17. Jahrhundert markiert eine entscheidende Wende in der Entwicklung des Deutschen hin zu einer allgemein akzeptierten Literatur- und Wissenschaftssprache. Denn im Zeitalter des Barock entwickelte sich eine reichhaltige muttersprachliche Literatur, und zwar auch in einem Bereich wie dem der religiösen Spekulation, die lange Zeit dem Latein vorbehalten blieb. Jacob Böhmes Sprachmystik wäre ohne diese Entwicklung nicht denkbar. Seinen Sprachanalysen in der Aurora (1612) und seinem sprachtheoretischen Modell liegt nämlich die Vorstellung zugrunde, dass durch eine formale Analyse der Muttersprache Hinweise auf Entstehung und Struktur des gesamten Kosmos zu erlangen seien – eine Annahme, ohne die seine protolinguistischen Wortanalysen unverständlich bleiben müssten.

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Als Christoph Martin Wieland 1789 auf die Frage, wer überhaupt alles berechtigt sei, die Menschheit aufzuklären, mit der folgenden, durchaus polemischen Bemerkung antwortete, mag er auch an Jacob Böhme, den 1624 verstorbenen Schuhmacher aus Görlitz gedacht haben:

Wer ist berechtigt, die Menschheit aufzuklären?

Wer es kann! […] so wird es wohl dabei bleiben müssen, daß jedermann – von Sokrates oder Kant bis zum obskursten aller übernatürlich erleuchteten Schneider und Schuster, ohne Ausnahme, berechtigt ist, die Menschheit aufzuklären, wie er kann, sobald ihn sein guter oder böser Geist dazu treibt.1

Nicht immer sind seine Kritiker so sanft mit Böhme, dem ersten deutschen Philosophen,2 umgegangen. Beispielhaft für eine alles andere als wohlwollende Kritik an den Schriften Böhmes können einige Äußerungen des aufgeklärten Philosophen Johann August Eberhard, ein Zeitgenosse Wielands, stehen. In seinem Synonymischen Handwörterbuch (zuerst 1802) kritisiert er an Böhmes Texten besonders die Dunkelheit, sprich: Unverständlichkeit der Sprache. Unter dem Lemma Dunkel. Undeutlich. Verwirrt oder Verworren findet sich die Bemerkung:

Jacob Böhme und ähnliche ungelehrte, mystische und theosophische Schwärmer sind dunkel, weil sie von Sachen sprechen, wovon sich der Leser gar keine Idee machen kann, und undeutlich, auch wenn sie von gewöhnlichen Dingen sprechen, weil sie sich nicht sprachrichtig auszudrucken wissen. […] Die Wahrheiten, welche darin [in den Schriften Böhmes] gefunden werden, sind ohne alle Ordnung durch einander geworfen, und aus dieser Verwirrung entsteht ein grosser Theil ihrer Dunkelheit und Undeutlichkeit.3

In ganz anderer Weise wurde Böhme hingegen in der Literatur der deutschen Romantik rezipiert – wohl auch aufgrund einer gegenüber aufgeklärten Philosophen abweichenden Haltung gegenüber Religion im Allgemeinen. Im Bereich der hermetischen Naturspekulationen hatte Böhmes Denken gar Vorbildcharakter,4 was wohl nicht zuletzt daran liegen wird, dass Böhmes Denkmodell die in der abendländischen Philosophie vorherrschende kausale Logik in vielerlei Hinsicht negierte, dafür aber den Blick auf einen scheinbar unzugänglichen Teil der Wirklichkeit zu eröffnen vermochte. Denn seine Texte insistieren darauf, dass sich neben der hellen, jedermann unmittelbar vor Augen stehenden Seite des Daseins Tiefen auftun, die mit einem strikt rationalen Zugriff nicht auszuloten sind. Darum findet sich neben einer unumschränkten Zustimmung zu Böhmes Werken zu allen Zeiten eine ebenso grundsätzliche Skepsis – eine Skepsis, die sich an ihren Inhalten, aber besonders an ihrer Form entzündete, weswegen sich selbst ein zeitgenössischer Herausgeber seiner Schriften die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass Böhmes Auslegungen der majestätischen Schöpfungsworte […] dem heutigen Leser viel zumuten würden.5

Im Folgenden soll Böhmes Werk, das bei einem flüchtigen Blick tatsächlich mehr denn verworren anmutet, hinsichtlich seiner sprachmystischen Vorstellungen untersucht werden. Dabei wird sich zum einen zeigen, dass Eberhards Vorwurf, Böhme schreibe ohne alle Ordnung, in seiner apodiktischen Strenge nicht aufrechtzuerhalten ist. Böhmes Denken lässt sich zwar durchaus als ungewöhnlich apostrophieren. Trotzdem erweist es sich bei genauerem Hinsehen als konsequent, als von einer einzigen basalen Idee geleitet:6 Das Göttliche wirkt durch ein die Wirklichkeit konstituierendes, dynamisches Moment (die Qualitäten) in allen Dingen. Zum anderen wird bei einer genaueren Betrachtung von Böhmes Theosophie deutlich, dass die streckenweise tatsächlich vorhandene Dunkelheit und Undeutlichkeit, über die sich Eberhard beklagt, nicht primär auf das Unvermögen des Schreibers oder die Unschärfe des Denkers zurückzuführen ist. Sie resultiert wesentlich aus der sehr eigenständigen kosmologischen Konzeption Böhmes und seinem speziellen Erkenntnismodus.7 Denn ein Offenbarungserlebnis lässt sich nicht ungebrochen in den Raum der rational begreifbaren Wirklichkeit transponieren, zumal dann nicht, wenn wie im Fall von Böhme vorausgesetzt wird, dass diese Wirklichkeit defizitär, leblos, ja tot sei. Dasjenige, was als grundsätzlich unsagbar begriffen wird, in Worte zu fassen mit einer Sprache, die sich als Literatur und vor allem Wissenschaftssprache am Anfang des 17. Jahrhunderts überhaupt erst zu etablieren begann, kann im Abstand von fast 200 Jahren zweifelsohne unsicher, vielleicht sogar täppisch wirken.8 Eine erhellende Betrachtung ist freilich erst dann möglich, wenn Fragen der literarischen Wertung zunächst einmal außen vor bleiben.

Titelblatt der Ausgabe der »Aurora« von 1780
Abb. 1: Titelblatt der Ausgabe der Aurora von 1780. Der nicht von Böhme stammende hier fehlende Obertitel findet sich auf dem nebenstehenden Titelkupfer; s. Abb. 4. (Quelle)

Besonders anhand seines Erstlings, Aurora, oder Morgenröte im Aufgang (1612),9 soll gezeigt werden, wo die mystischen, methodisch mitunter auf Betrachtungsweisen der modernen Linguistik vorausweisenden Sprachreflexionen im Denken Jacob Böhmes zu verorten sind, welche Funktion sie in ihm erfüllen und wie sie zur Verdeutlichung seines theosophischen Systems funktionalisiert werden. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass sich die sprachphilosophischen Überlegungen Böhmes nicht ohne Verlust auf ihren sprachhistorischen Gehalt reduzieren lassen. Seine (im wörtlichen und übertragenen Sinn) merkwürdigen Wortanalysen, auf die unten genauer eingegangen wird, werden erst dann voll verständlich, wenn sie im Kontext des von ihm entwickelten theosophischen Systems betrachtet werden. Schließlich lässt sich die böhmesche Signaturenlehre genauso wenig von seiner Qualitätenlehre wie seine Sprachanalysen von der immer präsenten Vorstellung trennen, es gäbe eine irgendwie zugängliche und in ihrem Kern ursprüngliche Sprache der Natur.10 Denn die Annahme, die Natursprache sei grundsätzlich einer Analyse zugänglich, ist die Basis, auf der die böhmische Sprachmystik fußt. Entscheidend ist dabei, dass die Welt aus der Sicht Böhmes mit (sächlichen oder lebendigen) Dingen angefüllt ist, die zum Sprechen gebracht werden können. Alles, ganz gleich ob gegenständlich oder lebendig, habe eine Zeichennatur, alles sei Träger einer Signatur, die auf etwas verweise, was nicht unmittelbar zu erblicken sei.

Den inneren Zusammenhang der einzelnen Aspekte der böhmischen Theosophie zu vernachlässigen, sprich: nur auf einen einzigen abzuheben, würde dieser Form des Denkens, dem zufolge das Göttliche nicht nur in allem Gegenständlichen der Welt wirke, sondern wahrhaftig vorhanden sei, dem zufolge die einzelnen, die Welt konstituierenden Qualitäten auseinander hervorgingen, ohne dass eine von ihnen zeitlich eher da gewesen wäre als die andere und ohne dass hierarchisch die eine über der anderen stünde, nicht gerecht werden. Darum müssen zunächst Böhmes Signaturenlehre und seine Konzeption von den in allem Gegenständlichen wirkenden Qualitäten ein wenig genauer betrachtet werden.

Signaturenlehre und Quellgeister

Böhme vertritt die Vorstellung, dass die Gestalt aller belebten und unbelebten Dinge in der konkret fassbaren, diesseitigen Welt mit ihren ursprünglichen Bezeichnungen kongruiert. Das Bezeichnende und das Bezeichnete stehen aus seiner Sicht in einem Hinweisverhältnis zueinander. Der wesentliche Unterschied zu Zeichenmodellen, die auf Ferdinand de Saussures Konzeption eines bilateralen Sprachzeichens basieren (vgl. Abb. 2), besteht somit darin, dass die Ausdrucksseite der Zeichen bei Böhme nicht etwa arbiträr, sondern motiviert ist.11

Darüber hinaus fallen das, was bei Saussure die Inhaltsseite des bilateralen Zeichens darstellt (signifié), und das materielle oder abstrakte Denotat ebenso zusammen wie die Ausdrucks- und Inhaltsseite des Zeichens selbst. Das Signifikat, die begriffliche Seite des saussureschen Sprachzeichens, ist in Böhmes Zeichenmodell nicht exklusiv auf der Seite des Zeichens zu finden. Es gehört sowohl dem Zeichen als auch dem Bezeichneten an. Begrifflich kann es zwar vom Signifikanten getrennt werden, tatsächlich gehen sie aber ineinander über, sodass das böhmesche Sprachzeichen am Ende als ein unilaterales erscheint. Auf der Ebene der Reflexion sind signifiant (Signifikant, Bezeichnendes) und signifié (Signifikat, Bezeichnetes) einzeln adressierbar, in der Wirklichkeit sind sie nicht mehr voneinander zu trennen.

Zeichen und Bezeichnetes werden zwar auch bei Böhme aufeinander bezogen, jedoch in anderer Weise, als es in modernen Zeichenmodellen der Fall ist. Ihre Verbundenheit resultiert nämlich aus einem Dritten, das sich in gleicher Weise auf das Denotat, das bezeichnete Ding, und den Signifikanten, das sprachliche Zeichen, bezieht. Dieses Dritte ist aber nicht der Zeichenbenutzer. Betrachtet man die Welt mit den Augen Böhmes, so erblickt man vielmehr ein Gewimmel von Indizes, die auf die den Dingen inhärenten Qualitäten und ihre spezifische Konfiguration in derselben Weise hindeuten wie auf die sprachlichen Zeichen, die für die Dinge gebraucht werden (vgl. Abb. 3). Das Moment, das Bezeichnendes und Bezeichnetes verbindet, ist just diese hinter ihnen verborgene Welt, aus der heraus die Qualitäten wirken und die in dem aufscheint, was Böhme als Signatur begreift. Denn die Signatur, die Zeichen und Ding gemeinsam ist, weist auf die Existenz jener verborgenen Welt hin, macht sie mittelbar sichtbar und verbindet Bezeichnendes und Bezeichnetes unauflöslich miteinander. Auf dieses vor dem Hintergrund moderner Zeichenmodelle (und moderner naturwissenschaftlicher Vorstellungen) fremd anmutende Konzept wird noch näher einzugehen sein.

Die hier skizzierte Kernüberzeugung von Böhmes Signaturenlehre ist bereits in der Aurora, wenn auch nicht voll ausformuliert, so doch voll ausgebildet. Eine zentrale, zunächst dunkel anmutende Passage weist darauf hin:

In welcher Proportz oder instehenden Gebärung der Qualitäten der Geist [der Gottheit] das Wort fasset und formet, und damit ausfähret, eben eine solche instehende Geburt, Durchdringen, Aufsteigen, Ringen und Siegen hats auch in der Natur.

Denn als der Mensch in die Sünde fiel, da ward er aus der innersten Geburt in die andern zwo gesetzt, die umfingen ihn bald und inqualirten mit ihme und in ihme, als in ihrem Eigenthum; und empfing der Mensch alsbald den Geist und alle Gebärung der siderischen und auch der äussersten Geburt.

Darum spricht er nun alle Wörter nach der instehenden Gebärung der Natur aus: denn der Geist des Menschen, (welcher in der siderischen Geburt stehet, und mit der gantzen Natur inqualiret, und ist gleichwie die gantze Natur selber) der formet das Wort nach der instehenden Geburt.

Wenn er was siehet, so gibt er ihm den Namen nach seiner Qualificirung: soll er aber das thun, so muß er sich auch in eine solche Gestalt formiren, und sich mit seinem Schalle also gebären, wie sich das Ding, das er nennen will, gebäret; und hierinnen steckt der Kern des gantzen Verstandes der Gottheit.12

Die enge Verknüpfung zwischen den Qualitäten der Dinge und dem (menschlichen und göttlichen) Wort13 klingt hier ebenso an, wie der zentrale Gedanke einer jeden Signaturenlehre:14 Die Gestalt eines jeden Dinges, seine unmittelbar zugängliche Oberfläche gibt einen Hinweis auf seine innere Struktur. Und die Bezeichnung eines jeden Dinges richtet sich nach eben jener inneren, mittelbar ermittelbaren Struktur, weil sie sich nach seiner äußeren Gestalt richtet: Wenn er [der Mensch] was siehet, so gibt er ihm den Namen nach seiner Qualificirung. Dabei ist nicht unwichtig, dass Böhme mit seiner Rede von den Qualitäten der Dinge ein eigenes Wortfeld konstituiert, in dem quellen, qualifizieren, Qualität usw. allesamt auf ein dynamisches Moment seiner kosmologischen Vorstellungen verweisen, auf Beweglichkeit, Quallen oder Treiben eines Dinges.15 Denn Böhme geht davon aus, dass die von ihm ausgemachten, in allen Dingen, ja selbst in Gott wirksamen Qualitäten fortwährend die Gestalt der Dinge in der Natur, in die der Mensch geworfen ist, gestalten und umgestalten.

Die Sphäre, in der die Qualitäten primär wirksam werden, bezeichnet Böhme in der zitierten Passage als die instehende Geburt.16 Neben dieser kennt er noch zwei weitere Geburten. Die innerste Geburt als die Sphäre des Göttlichen, das Hertze, in dem das Licht GOttes in seiner ganzen Reinheit strahlt (an anderer Stelle identifiziert er es mit Jesus Christus);17 und die äusserste Geburt als das fleischliche, das stoffliche Sein der Dinge, die Natur. Durch den Fall Adams (als der Mensch in die Sünde fiel) wurde der Mensch aus der lauteren, göttlichen Sphäre der innersten Geburt vertrieben und sieht sich in seiner todten, weil nicht in das ewige, jenseitige Leben transzendierbaren Fleischlichkeit in die Welt gestellt. Die Form, die Oberfläche dieser Fleischlichkeit, die Böhme auch als die Begreiflichkeit der Natur18 bezeichnet, wird allerdings durch die Konfiguration der instehenden Geburt vorgegeben. In ihr und aus ihr heraus in die physisch fassbare Welt hinein wirken die sieben Qualitäten oder Quellgeister:19

Dieser [äußerste] Geist aber oder diese [äußerste] Geburt hat 7 Species, als Herbe, Süsse, Bitter, Hitze: diese 4 gebären die Begreiflichkeit in der 3ten Geburt. Der 5te Geist ist die Liebe, die entstehet vom Lichte des Lebens, die gebäret die Sinnlichkeit und Vernunft. Der 6te Geist ist der Ton, der gebäret den Schall und die Freude, und ist der aufsteigende Quell durch alle Geister.

[…] Der siebente Geist ist die Natur, in welcher das corporliche Wesen aller 6 Geister stehet, denn die andern 6 gebären den siebenten. In diesem Geiste stehet das corporliche Wesen der Engel, Teufel und Menschen, und ist eine Mutter der andern 6 Geister, in welcher sie sich gebären, und in welcher sie auch das Licht gebären, welches ist das Hertze GOttes.20

Das Paradoxon, das darin besteht, dass die ersten sechs Quellgeister den siebten bilden, der wiederum ihre Mutter sei, ist ein typisches sprachliches Verfahren Böhmes. Mit seiner Hilfe behauptet er einerseits eine ontologische Dynamisierung der Welt (nichts ist fest gefügt, alles in Bewegung) und unterminiert andererseits die Vorstellung von kausal-logischen Hierarchien. Ferner scheint in solchen Momenten die Überzeugung durch, dass die dem Menschen zur Verfügung stehende Sprache defizitär sei. Denn die ontologische Komplexität, in der der Sprecher steht, kann mit der ihm eigenen Sprache und den ihr zugehörigen Logiken offenkundig nur näherungsweise erfasst werden.21 Diese Konzeption des menschlichen Sprechens steht freilich in einer nicht unerheblichen Spannung zur gleichzeitig von Böhme beförderten Auffassung, eine Sprachanalyse könne die Natur der dem Menschen normalerweise nicht mehr zugänglichen Geburten erhellen. Aus diesem Grund räumt Böhme dem biblischen Pfingstwunder in seinen Überlegungen einen prominenten Platz ein. Mit seiner Hilfe kann er die Aporie auflösen, dass eine Analyse moderner Sprachen die Welt durchsichtig macht, die modernen Sprachen diese Durchsichtigkeit aber eigentlich verloren haben, sind sie doch nicht mehr identisch mit der voll motivierten adamitischen Ursprache. Davon wird noch zu reden sein.

Ein entscheidendes Merkmal der Qualitätenlehre Böhmes ist ferner, dass ihr zufolge in der irdischen und somit auch menschlichen Sphäre alle Qualitäten in allen Dingen zu beobachten sind. Sie stehen in der Natur allerdings nicht in einem ideal ausbalancierten Gleichgewicht zueinander, ganz anders als in der göttlichen Sphäre. Dort, in der innersten Geburt, wirken die sieben von Böhme genannten Qualitäten in gleicher Weise wie in der Natur, stehen allerdings in vollkommener Harmonie zueinander. Trotz dieser fundamentalen Differenz eröffnet eine Analyse der Qualitäten dem Menschen einen Zugang zur Sphäre des Göttlichen. Sind sie dort auch anders konfiguriert, ist ihr Wesen doch dasselbe.

Dabei stellen die Qualitäten nicht nur einen Weg dar, auf dem die wahre Erkenntnis und Natur Gottes erfahren werden kann. Sie ermöglichen auch ein tieferes Verständnis der materiellen Geburt, in die der Mensch getrieben wurde. Denn ein gewisser Satz an Qualitäten (Herbe, Süße, Bitterkeit, Hitze) sind für die Formierung der Begreiflichkeit der Natur verantwortlich. Kann man die Signaturen dieser Begreiflichkeit (vulgo: äußeren Gestalt) lesen, versteht man das Zusammenspiel der Qualitäten, auf dem sie beruht.

In der oben zitierten Passage zu Böhmes Signaturenlehre verschmelzen die Begriffe Gestalt und Signatur zu dem der Gebärung. Dass sich der von Böhme gewählte Terminus etymologisch sowohl von Geburt als auch von Gebaren ableiten lässt,22 dürfte hier kein Zufall sein. Denn die Qualitäten im Inneren eines Dings formen letztlich das, was der Beobachter an seinem Äußeren wahrnimmt: Sie gebären sein Gebaren. Folglich kann das Gebaren der Dinge auf seine Ursache hin untersucht, das Bewegungsmuster der den Dingen inhärenten Qualitäten analytisch nachvollzogen werden. Weil der Mensch nach dem Sündenfall ebenso in die Natur gestellt ist wie ein Stein oder ein Baum und – das darf man wohl ergänzen, ohne dass Böhme explizit darauf hinweist23 – weil ihm autoreflexive Neigungen nicht fremd sind, gelten dieselben formierenden Prozesse in gleicher Weise für den Menschen wie für die ihn umgebenden Dinge. Auch er basiert auf nichts anderem als der Bewegung der sieben Qualitäten: Ob gleich nun der Leib in der äusserlichen Begreiflichkeit stehet, so wird er doch nach der Art der innern Geburt formiret.24 Auch für ihn, den Menschen, ist dieses genetische Analyseverfahren somit geeignet.

Wenn davon die Rede ist, dass der Name nach seiner [des Dinges] Qualificirung, das heißt nach seiner Bezeichnung im Wort, sich davon herleitet, wie sich das Ding […] gebäret, impliziert dies einen Verweis auf die durch die Bewegung der Qualitäten bestimmte Oberflächenstruktur des Dings und die motivierte Zusammengehörigkeit von Zeichen und Bezeichnetem. Das gilt auch für die unbelebte Natur, die nur vermeintlich sprachlos ist. Denn ein Stein kann sich zwar nicht in Worten gebären, er spricht aber durch seine Form, Konsistenz usw.25

Auch wenn der Mensch als ein Wesen konzipiert wird, das prinzipiell dazu in der Lage ist, die Signaturen der Dinge zu erkennen, wird er von Böhme doch in sehr grundlegender Weise als defizitär konzipiert. Das kann nicht weiter verwundern. Denn der Mensch ist Teil der Natur, die von ihm prinzipiell mit Mangelattributen versehen wird. Das spezifische Manko des Menschen besteht darin, in der äussersten Geburt gefangen zu sein, ohne die instehende noch unmittelbar begreifen zu können (obwohl er auch dieser in gewisser Weise angehört). Der Fall Adams hat ihn blind gemacht, sowohl für die Erkenntnis der Qualitäten als auch dafür, wie sie die Dinge qualifizieren:

Denn der Mensch hat seit der Zeit des Falles niemals können die innerliche Geburt [oben: innnerste Geburt] begreifen, wie da sey die himmlische Geburt; sondern seine Vernunft ist in der äusserlichen Begreiflichkeit gefangen gelegen, und hat nicht können durch den Himmel durchdringen, und die innerliche Geburt GOttes schauen, welche auch ist in der verderbten Erden und allenthalben.26

Dass der Mensch die Signaturen der Dinge nicht mehr vollumfänglich zu deuten weiß, also nicht mehr zu den transzendenten, tiefer liegenden Schichten vordringen kann, macht ihn nicht nur mental, sondern auch sprachlich ohn-mächtig. Er kann das Gute fühlen, aber nicht mehr bezeichnen, weil er dessen Signaturen nicht mehr aufzulösen weiß. (Man erinnere sich, dass die Begreiflichkeit, von der hier die Rede ist, nur von einem Teil, nicht aber vom gesamten Satz der die Welt konstituierenden Qualitäten gebildet wird.)

All dies verhandelt Böhme in einem langen Gleichnis, mit dem er die Aurora beginnt. In ihm beschreibt er das Wachstum eines Baumes, wie dessen Früchte genutzt werden, wie er durch schlechte Witterungsverhältnisse angegriffen wird usw. Im Laufe der Erzählung beginnt neben dem ersten ein zweiter Baum zu wachsen, der die christliche Lehre nach der Passion Christi symbolisiert.27 Das Böse in der Welt wütet daraufhin durch Unwetter, sodass es den ein oder anderen Zweig von diesem Baum fegt. Aber dieselben Zweiglein schmeckten also holdselig, süß und freudenreich, schreibt Böhme, das keines Menschen noch Engels Zunge aussprechen kan.28 Dieses Bild steht für das unausweichliche Problem, dem sich der Mensch gegenübersieht: Die äußere Schicht des Zweiges, hier sein Geschmack, kann noch ein jeder wahrnehmen, die Signatur des Geschmacks jedoch vermag der Mensch nicht mehr ohne Weiteres zu dekodieren, nicht mehr auf seine tiefere Bedeutung umzulegen. Böhmes Betrachtungen sind ein Versuch, dieses Defizit zumindest zu verringern.


Die Herkunft der böhmeschen Signaturenlehre von der des Paracelsus ist oft betont worden.29 Tatsächlich finden sich in Paracelsus’ De natura rerum neun bücher (1537) zahlreiche Parallelen zum Denken Böhmes. Paracelsus unterscheidet drei verschiedene Typen von Signaturen: jene, so der mensch signirt, jene, welche der archeus30 signirt, und jene, so die astra der ubernatürlichen signiren.31 Der archeus ähnelt der böhmeschen Sphäre der instehenden Geburt. Denn so, wie die Wirkung der Qualitäten in Böhmes Lehre zwar die Signaturen hervorbringen, aber ansonsten für den nicht erleuchteten Menschen im Verborgenen bleiben, so wirkt auch der archeus des Paracelsus nach außen und bleibt an sich doch unsichtbar:

die zeichen so der archeus bezeichnet bringen mit sich volkomene erkantnus und urteil heimlicher verborgener dingen, offenbaren alle heimlich verborgne kreft und tugent der dingen etc.32

Mit einem solchen Zeichenbegriff operiert Paracelsus auch, wenn er die Menschen betrachtet, denn deren Gebrechen versteht er als einen Hinweis auf ihre innere Unordnung:

darumb sagt man das sprichwort: ie krümer ie dümer. lame glider, lam hendel, dan es sein zeichen der laster, die selten gutes bedeuten.33

Schließlich findet sich bereits bei Paracelsus die Vorstellung, jedes Ding sei ein Abbild des gesamten Kosmos und prinzipiell jeder, wenn er nur ein weis man sei, könne dies auch erkennen:

was ist anderst die ursach dan das derselbig [viehische, also nicht-weise] mensch sich selbs nicht erkent und seine eigene kreft, so in im verborgen, nit zugebrauchen weißt, das das gestirn in im und das er die kleine welt ist, und auch das ganz firmament mit allen iren kreften in im hat.34

Diese vielleicht aus den paracelsischen Lehren rezipierte Idee von der unauflöslichen Verschränktheit von Mikro- und Makrokosmos, wird bei Böhme schließlich in einer Art und Weise weiterentwickelt, dass selbst die vom Menschen hervorgebrachten Wörter die Signaturen des von ihnen Bezeichneten tragen. Folgerichtig könnte eine genaue, linguistische Untersuchung der in der Sprache erkennbaren Signaturen die ihnen zugrunde liegenden Qualitäten, die näherungsweise dem archeus des Paracelsus entsprechen, zutage fördern.35

Doch letztlich gilt für beide, Paracelsus und Böhme, eine unhintergehbare Grundregel: Die Signatur ist und bleibt von einem Geheimnis umhüllt, weil sie nur durch einen weis man (Paracelsus) oder einen, in den die Gottheit ist […] gestiegen (Böhme), aufgelöst werden kann.36 Der Fähigkeit zur Dekodierung der Signaturen muss darum eine göttliche Ermächtigung, ein Gnadenakt vorausgehen.37 Gerade weil dem Menschen eben diese Gnade nach seinem Sündenfall entzogen wurde, sieht Böhme sich berufen, ihn darauf hinzuweisen, dass es sie, die göttliche Gnade, überhaupt gibt.

Natursprache und Sprachbildung

Die äußere, jedermann fassbare Gestalt einer jeden (sächlichen oder lebendigen) Gegenständlichkeit ist aus Böhmes Sicht ein Spiegel, der in zwei Richtungen strahlt: Zum einen gibt die Gestalt die formierende Kraft der omnipräsenten Qualitäten preis, die das nicht unmittelbar ersichtliche Innere des Dings konstituieren und es an seiner wahrnehmbaren Oberfläche formieren. Zum anderen verhält sie sich spiegelbildlich zur deskriptiven und reproduktiven Kraft des sprachlichen Zeichens, das deswegen Bezeichner eines Dinges sein kann, weil es die das Ding formierenden Qualitäten in der gleichen Weise in sich birgt wie das Ding selbst. Darum kann die Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens von Böhme als motiviert durch die Qualitäten begriffen werden, die in derselben Weise die Ausdrucksseite des Denotats bestimmen. Die Qualitäten sind der sowohl im Sprachzeichen als auch in der Sache wirksame Begriff, das Signifikat. Die Benennung eines jeden Dings gibt somit nicht nur einen Hinweis auf die oberflächliche Struktur desselben, sie ist darüber hinaus abhängig von dessen inneren Anlage, die sich wiederum in dessen äußeren Form spiegelt – und trägt diese Anlage strukturell in sich selbst.

Ein modernes Zeichenmodell
Abb. 2: Ein modernes Zeichenmodell mit bilateralem Zeichen: Die beiden Seiten des Zeichens (Signifikat und Signifikant) sind deutlich voneinander geschieden. Zeichen und Bezeichnetes (Denotat) werden nur durch den Zeichenbenutzer aufeinander bezogen, ihre direkte Verbindung ist locker gefügt (gestrichelte Linie).

Insofern werden bei Böhme Zeichen und Bezeichnetes nicht etwa durch den Zeichenbenutzer aufeinander bezogen, wie es in der modernen Linguistik der Fall ist.38 Zusammengehörig sind sie trotzdem, was jedoch nicht auf eine Konvention der Sprachgemeinschaft zurückzuführen ist. Ihre Beziehung resultiert vielmehr daraus, dass beide, Zeichen und Bezeichnetes, dieselbe Signatur haben, dass sie auf der Ausdrucksseite (Laut- oder Buchstabenfolge des Zeichens bzw. materielle Oberfläche des Bezeichneten) identisch formiert sind. Von der ikonischen Onomatopoesie unterscheidet sie nur, dass onomatopoetische Wörter zwar motiviert, aber eben nicht absolut motiviert sind, weswegen sie sich nicht in allen Sprachen gleichen (vgl. dt. Kikeriki, it. chicchirichì, fr. cocorico, en. cock-a-doodle-doo). Die Motivation des böhmeschen Sprachzeichens ist einerseits deutlich strenger als es bei einem onomatopoetischen Ikon der Fall ist, zeichnet sich andererseits aber primär dadurch aus, dass es auf eine nicht unmittelbar erkennbare, das Zeichen jedoch im Kern konstituierende Sphäre verweist. Insofern ist es eher als indexikalisch denn als ikonisch zu bezeichnen.

Darüber hinaus wird das sprachliche Zeichen von Böhme – wie bereits oben erläutert – nicht als bilateral, sondern unilateral konzipiert. Signifikat und Signifikant sind zwar begrifflich voneinander geschieden, gehen aber ineinander über. Darüber hinaus findet sich das Signifikat, also die begriffliche Seite des saussureschen Sprachzeichens, auch auf der Seite des Denotats wieder. Denn die Begriffsseite entspricht den in allem und jedem wirkenden Qualitäten und diese konstituieren in gleicher Weise das Zeichen (Signifikant) und das Bezeichnete (Denotat). Deswegen sind Zeichen und Bezeichnetes bei Böhme auch primordial unzertrennlich, während ihr Zusammenhalt in modernen Zeichenmodellen allein auf Konvention beruht. Im Modell Böhmes werden das Ding und sein Sprachzeichen dementgegen fest aufeinander bezogen, und zwar in Gestalt einer Signatur, die ihnen beiden eingebrannt ist. Folgt man Böhme kann das Sprachsystem nur dann neu formiert werden, wenn sich zugleich der hinter den Dingen und Zeichen verborgene Kosmos rekonfiguriert. Die Sprachzeichen bezeichnen die göttliche Schöpfung nicht, weil man es so verabredet hat, sondern weil es anders undenkbar wäre.

Daraus folgt wiederum, dass der Zeichenbenutzer bei Böhme nicht etwa aktiver Teilhaber und Gestalter eines sozial konstituierten Sprachsystems (langue) ist, das er durch seine konkreten Sprachäußerungen (paroles) bestätigt oder neu formiert. Der Zeichenbenutzer ist passiver Leser einer Sprache an der er nur rezeptiv teilhat. Er bringt nicht die Zeichen und das Bezeichnete zusammen, sondern nimmt ihre wechselseitige Beziehung wahr. Er versucht die Signaturen des Wahrgenommenen zu lesen und zu verstehen, um zu schlussfolgern, was Zeichen und Bezeichnetem in gleicher Weise ihre Gestalt gibt.

Schema von Böhmes Zeichenmodell
Abb. 3: Schema von Böhmes Zeichenmodell: Der Bezug von Zeichen und Bezeichnetem ist durch die beide in gleicher Weise formierende Begriffsseite (Signifikat) und durch eine beiden gemeinsame Signatur gegeben. Der Zeichenbenutzer rezipiert Signifikant, Signatur und Denotat passiv und nimmt sie als unzertrennliche Einheit wahr. Erkennt er das, was Zeichen und Ding miteinander verbindet, hat er die Natur der Signatur erkannt.

Doch Böhme geht noch einen Schritt weiter. Er betrachtet die Aussprache eines Namens nicht allein als Denomination oder Verweis auf die innere wie auch äußere Form des bezeichneten Dings. Das Sprechen ist bei ihm vielmehr ein Prozess der Anverwandlung. Die Qualitäten, die ein jedes Ding konstituieren, werden nämlich vom Menschen im Moment der Aussprache eines Worts nicht nur nachgebildet oder emuliert, sondern zugleich nachgeschaffen oder rekreiert. Die menschliche Zunge reproduziert das Ding im Schall in seiner Qualifizierung.39 Dies meint Böhme, wenn er davon spricht, dass er [der Mensch] nun alle Wörter nach der instehenden Gebärung der Natur ausspreche, dass er ihm den Namen nach seiner Qualificirung gebe.40 Insofern findet sich auch in Böhmes Sprachreflexionen ein Zug, der den meisten sprachtheoretischen Modellen des Barock gemeinsam ist: die Überzeugung von der Existenz einer Sprache, die das Attribut der Grundrichtigkeit besitzt.41

Um seine Spezifik deutlicher zu machen, kann es hilfreich sein, Böhmes Zeichenmodell noch einmal mit der Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce zu kontrastieren: In der Theorie von Peirce werden Sprachzeichen als symbolische Zeichen deklariert. Sie beruhen weder auf einer Ähnlichkeit mit ihrem Bezugsgegenstand (dann wären sie ikonisch), noch lässt sich eine Folgebeziehung zwischen ihnen und dem Bezugsgegenstand feststellen (dann wären sie indexikalisch). Die Zeichenfolge <Hund> gleicht nicht der physischen Gestalt eines Hundes; sie wird auch nicht durch das Fressen, Bellen oder irgendeine andere Tätigkeit oder Äußerung des Tieres metonymisch induziert; sie lässt aus sich heraus keine Rückschlüsse auf das Tier an sich zu. Verhielte es sich anders, bedeutete dies zugleich, dass das englische <dog> eine grundfalsche Bezeichnung für dasselbe Tier wäre, teilte diese Zeichenfolgen doch mit <Hund> nicht einen einzigen der konstituierenden Buchstaben. Symbolische Zeichen können somit, weil sie nur auf etwas verweisen, ohne es zu sein oder nachzubilden, als arbiträr und konventionell bezeichnet werden – um erneut Saussures Terminologie zu verwenden. Arbiträr, weil sie in keinem indexikalischen oder ikonographischen Verhältnis zum Bezeichneten stehen, konventionell, weil sie innerhalb eines Sprachsystems fest (aber nicht unzertrennlich) mit ihrem Denotat verbunden sind.42

In Böhmes Theorie hingegen konstituiert sich Sprache nicht aus symbolischen, sondern aus indexikalischen Zeichen. Der Signifikant steht nicht etwa wegen der Konvention einer Sprachgemeinschaft, sondern durch seine Signatur und weil die Begriffsseite des Zeichens fließend in seine Ausdrucksseite übergeht in einer unauflöslichen Beziehung zum ebenfalls eine Einheit bildenden Komplex aus Signifikat und Denotat. Die Verbindung von signifié und signifiant ist keine künstliche, sondern eine natürliche, weil sie aus einer gemeinsamen Formierungsweise resultiert, durch die das Ding und sein Zeichen geschaffen wurden. Beide beziehen sich in gleicher Weise auf eine tiefer liegende Schicht, die bei ihrer Konstitution eine formierende Wirkung entfaltete. Dazu Böhme in De Signatura Rerum oder Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen (1622):

Darum ist in der Signatur der gröste Verstand, darinnen sich der Mensch […] nicht allein lernet selber kennen, sondern er mag auch darinnen das Wesen aller Wesen lernen erkennen, dann an der äusserlichen Gestaltniß aller Creaturen, an ihrem Trieb und Begierde, item, an ihrem ausgehenden Hall, Stimme und Sprache, kennet man den verborgenen Geist, dann die Natur hat iedem Dinge seine Sprache nach seiner Essentz und Gestaltniß gegeben […]: Ein iedes Ding hat seinen Mund zur Offenbarung.

Und das ist die Natur-Sprache, daraus iedes Ding aus seiner Eigenschaft redet […].43

Dieser enge Zusammenhang zwischen Natursprache und Signaturenlehre wird schon in der Aurora formuliert, wenn auch nicht so deutlich. Dort heißt es, die Sprache der Natur sei die Wurtzel oder Mutter aller Sprachen […] und stehet die gantze vollkömmliche Erkenntniß aller Dinge hierinnen.44 Zwar hat der Mensch über seine eigene Sprache Zugriff auf die Bedeutungsfülle der Natursprache, doch scheint dieser Zugriff zunächst einmal nur ein reproduzierender zu sein. Der ursprüngliche Bezeichner, Adam, der den Dingen laut biblischem Schöpfungsbericht ihren Namen gab,45 vermochte noch die Signaturen zu lesen und jedem Ding eine mit sich selbst übereinstimmende Bezeichnung zu geben, sodass es aus seiner Eigenschaft zu reden vermochte.46 Zwar postuliert Böhme, dass während des menschlichen Sprechens die Qualitäten des Bezeichneten sich in seiner Bezeichnung widerspiegeln, gleichzeitig sagt er jedoch, dass die Sprache der gantzen Natur […] nicht ein ieder könne.47 Tatsächlich begreift er das menschliche Sprechen als einen Vorgang, bei dem die Qualitäten der bezeichneten Dinge nachgebildet werden, aber eben nur nachgebildet. Eine Neudeklaration oder Neukonfiguration der Sprachzeichen findet nicht statt. Der Mensch kann nur das bereits zuvor Gelesene wiederholen, er kann es nicht neu auslesen und erst recht nicht neu benennen. Dazu bedürfte es einer göttlichen Ermächtigung, wie sie Adam einst besaß.48 Dass der Mensch aber dennoch durch ein kleines Loch in der Wand, die ihn vom Raum des Göttlichen trennt, zu blicken vermag, hängt damit zusammen, dass er das Göttliche wie jedes andere Wesen in sich trägt, wessen er sich freilich nicht unmittelbar bewusst ist.

In diesem Zusammenhang fällt ein weiteres literarisches Verfahren Böhmes auf, dessen er sich mindestens ebenso häufig bedient wie dem bereits oben erwähnten Paradoxon: Böhme operiert gerne mit der Parallelisierung unterschiedlicher ontologischer Bereiche wie zum Beispiel der himmlischen und der weltlichen Sphäre.49 Ein Beispiel: So wenig ein Werck kan seinen Meister ergreiffen, so wenig kan auch ein Mensch GOtt seinen Schöpfer ergreiffen.50 Durch solche vergleichenden Parallelisierungen kann die Nicht-Identität der verglichenen Dinge in einem gewissen Grade zu einer Identität, zu einer Teilhabe des einen am anderen umgedeutet werden: Die Kraft im gantzen Leibe [sowohl des Menschen als auch der Engel], die hat alle Qualitäten, wie in GOtt dem Vater ist.51 Die Qualitäten werden hier als identisch, ihr Verhältnis zueinander, also die Quantitäten, in denen sie wirken, als verschieden begriffen. Denn letztlich ist der Mensch nur Derivat des Göttlichen, nicht das Göttliche selbst. Als Derivat hat er aber an ihm teil, weswegen aus Böhmes Sicht nicht nur Gestalt und Struktur, sondern eben auch ein Stück der göttlichen Fertigkeiten in die menschliche Existenz aufgegangen sind.

Für Böhmes Sprachmystik ist natürlich von besonderem Interesse, dass eine solche Parallelisierung auch in Bezug auf die menschliche Sprachproduktion stattfindet, die von Böhme mit der göttlichen nebeneinander geschaltet wird. Darum wird das Sprechen von ihm auch nicht als ein technisch-physikalischer Vorgang, als reiner Lautbildungsakt begriffen, sondern als Kommunikation zwischen der instehenden und innersten Geburt,52 also der Sphäre der Qualitäten und dem göttlichen Zentrum der Welt, das tief verborgen in allen Dingen steckt. Böhme beschreibt diesen Vorgang so: Noch vor der Lautbildung kommen alle Kräfte (Qualitäten) in Bewegung, steigen hinauf in den Kopf, wo sie vor die fünf Räte (die fünf Sinne) treten (das ist der Göttliche Rathstuhl).53 Hier findet eine Kommunikation zwischen der menschlichen Wahrnehmung und den sieben Qualitäten statt, die schließlich, sobald sie mit den Qualitäten des beobachteten Dinges synchronisiert sind (so muss man die hermetische Formulierung wenn der Rath beschlossen ist wohl deuten), von dem zusammen-gefügte[n] Richter aus in sein Centrum (das Herz) weitergeleitet werden. Von dort wandert das Ergebnis des Sprachbildungsprozesses zur Zunge. Entscheidend für die böhmesche Sprachphilosophie ist, dass die Qualitäten, die für die Hervorbringung des Wortes ursächlich sind, dem Wort auch im Moment der Aussprache noch inhärent sind: Aus welcher Qualität das Wort seinen Ursprung nimmt, in derselben Qualität wird es auf der Zungen von sich gestossen. Bemerkenswert ist, dass Böhme seine Rede mit der Feststellung schließt, dass das ausgesprochene Wort eine Wirkung hervorbringe:

Denn gleichwie der H. Geist vom Vater und Sohne ausgehet und unterscheidet und schärfet alles, und richtet das aus, daß der Vater durchs Wort spricht; also auch die Zunge schärfet und unterscheidet dasjenige, was die 5 Sinnen im Haupte durch das Hertze auf die Zunge bringen: und der Geist fähret von der Zungen aus durch den Marcurium oder Schall an den Ort, wie es im Rath der 5 Sinnen beschlossen ist, und richtet dasjenige aus.54

Das vom Menschen geäußerte Wort ist für Böhme folglich nicht nur auf eine nicht genauer bestimmt Weise wirkmächtig. Es ist auch Träger der Qualifizierung des in seiner äußeren Gestalt wahrgenommenen und vor die fünf Räte getretenen Dings. Aus diesem Grund findet sich im ausgesprochenen Wort immer noch dieselbe Signatur, wie sie das Ding an sich aufweist. Signifikat und Signifikant sind strukturell identisch.

Diese Konzeption sprachlicher Äußerungen erklärt, wie Böhme nicht nur in jedem Gegenstand oder Wesen, sondern noch im einzelnen Wort mehr sehen kann, als ein konventionalisiertes Medium alltäglicher Sinnvermittlung. Da der Mensch durch seine Gottähnlichkeit, die mit seiner göttlichen Abstammung begründet wird, und durch die Art und Weise, in der der Kosmos konstituiert wird, an den göttlichen Qualitäten teilhat, das Göttliche also, um Böhmes Diktion zu verwenden, in ihm qualifiziert, muss auch das menschliche Sprechen gottähnlich sein, muss auch das menschliche Sprechen eine tiefere Bedeutung und sogar Kraft haben. Worin diese Bedeutung besteht versucht Böhme mit seinen Wortanalysen, auf die unten genauer eingegangen wird, zu erläutern.

Dabei kommt die Wirkung, die Böhme der menschlichen Sprache zuschreibt, gewiss nicht der des göttlichen Wortes im Moment der Schöpfung gleich, von dem laut Joh 1,1 alles seinen Anfang nahm (JM anfang war das Wort).55 Es kann nicht verwundern, dass Böhme immer wieder auf diesen göttlichen Schöpfungsakt durch das Wort zu sprechen kommt,56 zumal der Ton in seiner Ontologie eine zentrale Rolle spielt – nicht nur, weil er einen eigenen terminus technicus (Marcurius) hat, der ein reiches Assoziationsfeld eröffnet (Merkur der Götterbote, der Gott der Händler, das Quecksilber in der Alchemie usw.), sondern besonders deswegen, weil er durch alle Sphären zu dringen vermag, denn der Ton […] ist der aufsteigende Quell durch alle Geister57 und das Wort ist Schall:

Ob gleich nun der Leib in der äusserlichen Begreiflichkeit stehet, so wird er doch nach der Art der innern Geburt formiret: denn in der innern Geburt stehet das Wort, und das Wort ist der Schall, welcher im Feuer-Blitze im Lichte durch die bittere und herbe Qualität aufgehet.58

Die durchdringende und wirkmächtige Potenz, die Böhme der menschlichen Sprache zuweist, tritt in der Aurora besonders augenfällig in einer Passage zutage, in der das menschliche Gebet nicht allein göttliches Handeln induziert, sondern die göttliche Aktion unmittelbar unterstützt. Der Mensch wird zum Mitwirkenden göttlicher Taten erhoben:

Und darum beten wir auch im Vater-Unser: Gib uns unser täglich Brod, Matth. 6:11. Daß also derselbe Ton oder Wort Gib, welches wir aus unserm Centro des Lichts durch den animalischen [seelischen] Geist aus dem Munde von uns stossen in die Göttliche Kraft, soll in der Göttlichen Kraft als eine Mitformung oder Mitgebärung helfen unser täglich Brod bilden, welches uns hernach der Vater zu Speise giebet.59

Kurz darauf ist gar davon die Rede, dass der Klang der menschlichen Stimme es vermöge, ebenso wie der anderer Creaturen, die Bosheit an einem Dinge [zu] verändern, und in eine richtige Form [zu] bringen.60 Die Identifikation der göttlichen Trinität mit den einzelnen Stadien des Wortbildungsvorgangs im Menschen sollte somit nicht nur als sprachliches Bild begriffen werden, das als didaktischer Kniff für das Unaussprechliche fungiert.61 Ihm liegt die Überzeugung zugrunde, dass dem menschlichen Sprechen eine Kraft innewohne, von der es zunächst schien, dass sie der Mensch vollkommen verloren hätte: die Fähigkeit, die Signaturen auf ihre Qualitäten zurückzuführen.

Der Ort, an dem diese Kraft kulminiert, ist die menschliche Zunge, das Organ, das für die physikalische Formung des Sprachtons von zentraler Bedeutung ist. Böhme hat diesen Umstand, wie seine Wortanalysen zeigen, sehr wohl erkannt.62 Doch ist die Zunge ihm natürlich nicht nur mechanisches Instrument, nicht nur organischer Tonbildner. Daneben spricht er ihr auch eine metaphysische Bedeutung zu, wenn er schreibt, dass alle Adern und Kräfte oder Quell-Geister in die Zunge münden.63

Die Zunge wäre demnach der Schnittpunkt mehrerer Geburten, nämlich jener der äusseren (der Natur) und jener der instehenden (der Qualitäten), womit die Zunge und vor allem ihr Produkt, das Wort, als Zugang zu einer tiefer liegenden, dem Menschen normalerweise verborgenen Sphäre prädestiniert ist. Indem Böhme sie in dem bereits oben beschriebenen Gleichnis über die menschliche Sprachbildung mit dem Heiligen Geist gleichsetzt, verweist er auf eine für sein Denken überaus bedeutende Bibelstelle: Das Pfingstwunder (Apg 2,2–13), die Ausgießung des Heiligen Geistes, lässt die Anwesenden anfangen zu predigen mit andern Zungen / nach dem der Geist jnen gab aus zusprechen. […] es höret ein jglicher / das sie mit seiner Sprache redten. Die wunderhafte Aufhebung der babylonischen Sprachverwirrung durch das Reden in Zungen bedeutet mit Böhme gelesen zweierlei. Zum einen haben die in Zungen Redenden einen Zugriff auf die total motivierte Ursprache Adams, in der das Wortzeichen und die Signatur hundertprozentig miteinander kongruieren. Das Zungenreden ermöglicht ein tiefes, grundrichtiges Verständnis aller Dinge, weil sie nun in ihrer Urform benannt werden können. Das korrupte Derivat, mit dessen Hilfe die Menschen gegenwärtig kommunizieren, wurde durch eine hochfunktionale Supersprache überformt. Zum anderen wohnt dem Zungenreden ein Moment der Egalisierung inne: Jeder tritt jedem in gleicher Weise gegenüber, indem jeder mit jedem in derselben Sprache kommuniziert, ohne das Gefühl für die eigene Sprache, die immer noch als Muttersprache wahrgenommen wird, zu verlieren.64 Bedenkt man die religionspolitische Situation im konfessionellen Zeitalter kann die zentrale Stellung dieses christlichen Mythos in Böhmes Denken als Zeichen für seine irenische Grundhaltung gelesen werden.65

Böhmes Vorzug der Muttersprache gegenüber den Sprachen der Schriftgelehrsamkeit ist ebenfalls aus der großen Bedeutung heraus zu erklären, die das Pfingstwunder für seine Theosophie hat. Die Bevorzugung des Deutschen hängt also nicht mit patriotischen Denkmustern zusammen, sondern entspricht der angestrebten konfessionellen und sozialen Egalität.66 Seine Wortanalysen lassen die Entscheidung für das Deutsche als Werkzeug und Objekt der Analyse augenfällig werden. Die Wertschätzung der Muttersprache fällt interessanterweise mit den immer wieder geäußerten Endzeiterwartungen Böhmes67 und einer polemisch angereicherten Reserve gegenüber dem mehrfach verdammten Meister Klügling,68 dem Schriftgelehrten mit klassischer Bildung, zusammen:

Denn verstehe nur deine Mutter-Sprache recht, du hast so tieffen Grund darinnen als in der Hebräischen oder Lateinischen, ob sich gleich die Gelehrten darinnen erheben wie eine stoltze Braut […]. Der Geist zeiget, daß noch vorm Ende mancher Läye wird mehr wissen und verstehen, als ietzt die klügesten Doctores wissen: denn die Thür des Himmels thut sich auf; wer sich nur selber nicht verblenden wird, der wird sie wol sehen.69

Zusätzlich mag bei solchen Äußerungen auch eine Rolle spielen, dass das Deutsche sowohl dem Verfasser als auch seinen Lesern emotional näher stand als das durch eine intellektuelle Hürde bewehrte Humanistenlatein, das – auch das darf nicht übersehen werden – im katholischen Gottesdienst bis weit ins 20. Jahrhundert ein Baustein des Ausschlusses der nicht-latinisierten Gemeinde von den magischen priesterlichen Handlungen am Altar war, die selbstredend mit dem Rücken zur Gemeinde vollzogen wurden. Eine religionspolitische Dimension hat gewiss auch, dass der Mystiker Böhme seine Leser immer wieder dazu ermahnt, auf den eigenen Geist zu schauen und zu hoffen, dass man vom Heiligen Geist erleuchtet werde.70 In dieser Hinsicht erscheint Böhme als Vertreter eines protestantisch gewendeten Tolle, lege! Auch du verstehst die Bibel, auch du kannst die göttliche Schrift in der Natur lesen! All dies scheint eine Rolle zu spielen, wenn er die Klugen und Weisen, die Gelehrten, die Welt und Kosmos grundsätzlich missverstehen würden, immer wieder diskreditiert.71 In einer hochemotionalen Passage der Aurora beschimpft er den Teufel sogar mit den Worten: Nimm derweil mit dem Latein für lieb, bis dir mehr draus wird, du wirst bald deine Crone verlieren.72

Auf die essenzielle Bedeutung des Pfingstwunders für das Denken Jacob Böhmes deutet bereits das Titelblatt der Urschrift der Aurora hin. Am Pfingstdienstag 1612 will Böhme das Manuskript im Alter von 37 Jahren fertiggestellt haben: Durch Jacob Böhmen in Görlitz Im Jahr 1612 · ETATIS SVE · 37 Annos · In Die ♂ pente coste. Anno 1612, heißt es dort.73 Das Datum ist wohl weniger als ein tatsächliches, sondern vielmehr als ein programmatisches zu verstehen, knüpft Böhme doch, wie gezeigt, gerade an dieses Ereignis viele Vorstellungen, die seine theosophischen Überlegungen grundieren. Dass der Autor hier nicht nur auf das symbolträchtige Pfingstdatum, sondern zugleich auch auf sein eigenes Alter verweist, könnte ferner so verstanden werden, dass er selbst erst durch ein ähnliches Wunder ermächtigt worden ist, sein spätes Erstlingswerk zu verfassen. Denn seine Kenntnis von der in der Aurora ausgebreiteten Kosmologie führt Böhme – worauf er immer wieder hinweist – auf ein Erweckungserlebnis zurück, dass er als Aufforderung begriff, sein in jenem Moment erlangtes Wissen von der Verfasstheit der Welt weiterzugeben.74

Das Pfingstwunder kann kurzum als Dreh- und Angelpunkt von Böhmes Denken bezeichnet werden. In ihm liegt die Möglichkeit für eine mystische Schau auf die göttliche Wirklichkeit hinter den Dingen begründet, die ohne das Konzept einer adamitischen Ursprache und der in ihr noch präsenten, unzertrennlichen Einheit von Signifikant und Signifikat undenkbar wäre. Das Pfingsterlebnis gab Böhme den Anstoß, mit der Aurora ein, wenn auch zu Lebzeiten ungedrucktes, überaus populäres Werk der barocken Erbauungsliteratur zu schreiben.75 Die vielfach geäußerte chiliastische Erwartungshaltung in der Aurora könnte ein Beleg dafür sein, dass Böhmes Schreibimpuls als Reaktion auf eine Frömmigkeitskrise zu lesen ist, die mitunter für die Entstehung dieses Textgenres verantwortlich gemacht wird.76 Daneben ist Böhmes Erstling kosmologische Reflexion, die sich keineswegs in jeder Hinsicht auf die göttliche Offenbarung verlässt, sondern durchaus in der Lage ist, modernes, empirisch gewonnenes Wissen zu inkorporieren, wie bspw. die kosmologische Erkenntnis von der heliozentrischen Anlage des Sonnensystems.77 Über dieses schlichte Faktum hinaus teilt Böhme mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft eine weitere Grundhaltung: die Ablehnung der reinen Schriftautorität, welche empirische Befunde generell missachtet und allein tradierte und kodifizierte Lehrmeinungen referiert.78 Muss man Böhmes Theosophie auch in vielerlei Hinsicht als vorwissenschaftlich bezeichnen, so zeigen doch gerade seine Wortanalysen, dass sie auch ein Standbein in der Empirie hat. Denn seine linguistischen Zerlegungsoperationen setzen eine exakte Selbstbeobachtung des Sprechers bei der Sprachproduktion voraus.

Der Kosmos in den Wörtern

Die adamitische Natursprache öffnet aus Böhmes Sicht einen Zugang zur inneren Verfasstheit eines jeden Dings, gerade weil sie von ihm als eine Nachbildung der die Dinge konstituierenden Qualitäten verstanden wird. Denn die Qualitäten formen das Antlitz, die todte Oberfläche eines jeden Dings, weswegen gelten könne:

[…] an der äusserlichen Gestaltniß aller Creaturen, an ihrem Trieb und Begierde, item, an ihrem ausgehenden Hall, Stimme und Sprache, kennet man den verborgenen Geist, dann die Natur hat iedem Dinge seine Sprache nach seiner Essentz und Gestaltniß gegeben […].79

Der Rückgriff auf die adamitische Ursprache ist der Punkt, an dem eine Verbindung zwischen der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit und dem Übersinnlichen besteht. Da die Zunge, indem sie Verweisungen auf die Dinge in der Welt, sprich: Wörter, produziert, die Konfiguration der Qualitäten in den denominierten Dingen mittransportiert, ist es nur folgerichtige, dass eine Analyse der von ihr, der Zunge, produzierten Sprachzeichen einer Analyse der inneren Wirklichkeit des durch das geäußerte Wort Bezeichneten gleichwertig sein kann. Die Sprachzeichen referieren auf die Signaturen und somit auf die Qualitäten, die diese Signaturen hervorgebracht haben. Das ist der Grund, weswegen Böhme die Wörter ein Mikrokosmos sind, in dem sich das ganze Weltseins spiegelt.

Eine Formulierung derartiger Vorstellungen findet sich schon in Platons Kratylos. Dort wird die Wahl der richtigen Buchstaben bereits auf eine Ähnlichkeit von Wortbedeutung und Klang bzw. Form der Buchstaben zurückgeführt. Diese müsse der ursprüngliche Wortbildner nämlich bei der Formierung der Wörter berücksichtigt haben.80 Auch wenn Platon am Ende nicht darüber hinwegsehen kann, dass Sprachzeichen bis zu einem gewissen Grade auf Tradition, Konvention und Usus zurückzuführen sind,81 zielt sein Dialog doch deutlich auf eine Bestätigung der Annahme, das Sprachzeichen spiegle den hinter ihm stehenden Begriff (also nicht nur die oberflächliche Erscheinung des Denotats) strukturell wider.

Kratylos plädiert im nach ihm benannten platonischen Dialog eingangs für eine Vollmotiviertheit der Sprachzeichen, wenn er behauptet, jegliches Ding habe seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung,82 wohingegen Hermogenes einwendet, dass die Bezeichnung der Wörter allein auf Vertrag und Übereinkunft zurückgehe. Sokrates überzeugt Hermogenes im darauffolgenden Gespräch, dass er mit seiner Meinung nicht ganz richtig liegt. Denn nicht jeder könne nach Belieben Wörter einführen, sondern nur ein[] besondere[r] Wortbildner;83 und dieser orientiert sich – natürlich – an der Idee des von ihm benannten Dinges, die er im Sprachzeichen abzubilden versucht.

In Bezug auf Böhmes Zeichenmodell ist von besonderem Interesse, dass Platon Sokrates eine Erklärung für das unstrittige Faktum in den Mund legt, dass die konkrete Form der einzelsprachlichen Signifikanten unterschiedlich sein kann, obwohl sie sich auf ein und dasselbe Denotat beziehen:

Sokrates: Also, Bester, muß wohl auch den für jedes seiner Art nach gearteten Namen jener Gesetzgeber wissen in den Tönen und Silben niederzulegen und so, indem er auf jenes sieht, was das Wort wirklich ist, alle Worte machen und bilden, wenn er ein tüchtiger Bildner der Wörter sein will. Wenn aber nicht jeder Gesetzgeber das Wort in dieselben Silben niederlegt, das muß uns nicht irren. Denn auch nicht jeder Schmied, der zu demselben Zweck dasselbe Werkzeug macht, legt dasselbe Bild in das dasselbe Eisen hinein. Dennoch, solange er nur dieselbe Gestalt wiedergibt, wenn auch in anderem Eisen, ist doch das Werkzeug ebenso gut und richtig gemacht, mag es einer hier oder unter den Barbaren gemacht haben. Nicht wahr?

Hermogenes: Allerdings.

Sokrates: Ebenso wirst du auch dafür halten, daß unser Gesetzgeber, der hiesige wie der unter den Barbaren, solange er nur die Idee des Wortes, wie sie jedem insbesondere zukommt, wiedergibt, in was für Silben es auch sei, daß alsdann der hiesige kein schlechterer Gesetzgeber ist als einer irgendwoanders?

Hermogenes: Freilich.84

Das, was bei Platon als Gestalt firmiert, findet sich bei Böhme als Signatur wieder. Daran, dass es offenkundig mehrere Sprachbildner gegeben hat, erkennt man, dass die Idee, die hinter den Sprachzeichen steht, sich nicht immer in ein und derselben Form ausdrücken muss. Äußerlich voneinander verschiedene Sprachzeichen können in gleicher Weise als Zeiger auf das Denotat und Träger der Idee des Denotats fungieren. Eine für Böhmes Qualitätenlehre durchaus anschlussfähige Konzeption (die er freilich nicht gekannt haben wird). Warum aber wollen oder können die Sprachgelehrten sich damit nicht anfreunden?

Der Gelehrtenstreit über Wesen und Willen Gottes entsteht laut Böhme vor allem aus dem Grund, dass der Zugang zur ursprünglichen, zur grundrichtigen Sprache, also zur adamitischen Natursprache, seit dem Sündenfall abgeschnitten ist, dass man die Signaturen der Wörter nicht mehr als Zeichen für das hinter ihnen Liegende lesen kann. Die Wörter, deren man sich in der gelehrten Gesellschaft bedient, sind entleerte Wörter, es sind stumme Hülsen, denen der kosmologische Sinn, auf dem alle Denotationen Adams beruhten, abhanden gekommen ist. Zugleich mangelt es den Gelehrten offensichtlich am Verständnis dafür, dass es vollkommen unangemessen sei, über Gott zu reden, obwohl man keinen Zugang mehr zum verborgenen Sinn der Wörter hat.85

Titelkupfer der Ausgabe der »Aurora« von 1780
Abb. 4: Titelkupfer der Ausgabe der Aurora von 1780: Eine Transparenz symbolisierende, vieläugige Kugel schiebt sich vor einen hell strahlenden Hintergrund. (Quelle)

Hier setzen die viel zitierten Wortanalysen Böhmes an. Mit ihnen versucht er seinen Lesern zu zeigen, dass der tiefere kosmologische Sinn der Welt, dass die Kosmogonie durch das göttliche Es werde Liecht (Gen 1,3) aus einer Analyse der menschlichen Sprache entwickelt werden kann – kennt man nur den Schlüssel. Dafür, dass er sich dabei seiner Muttersprache bedienen kann und nicht notwendigerweise auf die Gelehrtensprache Latein zurückgreifen muss, steht ihm das Pfingstwunder Pate. Es bietet eine Erklärung dafür, dass die Muttersprache nicht in jedem Fall als degeneriertes Derivat der Ursprache anzusehen ist, dass sie nicht bloß Spuren der Natursprache enthalte, sondern unter den richtigen Voraussetzungen gelesen, mit der richtigen Methode behandelt sogar denselben Informationsgehalt transportiert.86

Die Wortanalysen Böhmes haben schon bei seinen Zeitgenossen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Abraham von Franckenberg, Biograph Böhmes, der stark von dessen Sprachmystik beeinflusst wurde, orientiert sich bspw. deutlich an seinem spiritus rector, wenn er vorschlägt, dass die eigenschafft eines ieglichen worts […] anatomiret werden solle:87

Weil es gleichwol mercklich angelegen, die Geburtsart deß lebendigen worts in den gedancken, im herzen, im Geist und in dem munde oder auf der Zungen recht zuprüfen, und mit den weisen auf der Goldwage abzuwegen, was und wie, und wann und wo zureden oder zugeschweigen.

Dabei schlägt er Kategorien der Lautanalyse vor, die mitunter schon an die der modernen Linguistik gemahnen (von ihm aber explizit als kabbalistisch bezeichnet werden): Die deutschen Buchstaben könnten verschiedenen Gruppen zugeordnete werden, den Pectorales, den Gutturales oder Palatinas, den Lingvales, den Dentales, den Sibilantes, den Labiales und den Flantes.

Ansätze, die einer solchen Analyse Vorschub leisten, sind bereits in Böhmes Aurora zu entdecken, in der die Wörter in Silben, die Silben in Buchstaben zerlegt und schließlich die Buchstaben hinsichtlich ihres Lautwerts befragt werden. Denn so emphatisch Böhme auch in seinem Schreiben ist – sich durch die gesamte Aurora ziehenden Apostrophen wie schaue die Welt nur recht an88 weisen deutlich auf das emotionale Engagement des Schreibers hin –, sobald er die Sprache der Bibel untersucht, bedient er sich einer detailgenauen Analysemethode, einer Analyse im ursprünglichen Sinne von ανάλυσις. Denn in diesem Moment führt er eine Auflösung, eine Zerlegung der Wörter in ihre Bestandteile durch, um danach jedes der herauspräparierten Teile für sich zu untersuchen und hinsichtlich seiner Form zu befragen.

In der ersten der Analysen der Aurora zerlegt Böhme das Wort barmherzig.89 Hier geht er zwar anders, als er es später bei anderen Wörtern tut,90 noch nicht allzu intensiv auf den Vorgang der physikalischen Lautbildung ein. Gleichwohl spielt auch er schon in seiner ersten Untersuchung eine Rolle: Siehe, das Wort Barm ist nur auf deiner Lippen; und wenn du sprichst Barm, so machst du das Maul zu, und karrest hintennach. In diesem Fall beschreibt Böhme nur den konsonantischen Anteile der untersuchten Silbe.91 Bemerkenswert ist, dass er die Lautbildungsorte der Konsonanten sehr genau zu benennen weiß, schließlich wird neben dem Plosivlaut [b] (ist nur auf deiner Lippen) und dem Nasal [m] (machst du das Maul zu) in [barm] auch der uvulare Vibrant [r] (karrest hintennach) verwendet.92 Bemerkenswert ist an dieser Form der Beschreibung, dass es sich bei ihr nicht um die Nacherzählung einer bereits gemachten Entdeckung, sondern ein veritables Novum in der deutschen Literatur handelt (wenngleich evtl. direkt von kabbalistischen Texten inspiriert).

Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist darüber hinaus noch ein weiterer Zug von Böhmes Analysemethode bemerkenswert: Der Beschreibung muss eine intensive Selbstbeobachtung, eine Zergliederung der Funktionsweise des eigenen Körpers im Moment der Lautartikulation vorangegangen sein. Insofern zeichnet sich seine Analysemethode sowohl durch einen individualistischen Kern als auch durch einen Rückgriff auf die Empirie als Erkenntnismethode aus, der wiederum die bereits erwähnte Skepsis gegenüber einer erstarrten Schriftgelehrsamkeit zugrunde liegt. So viel die Zeitgenossen auch voneinander trennen mag – in diesem Punkt kommt es zu einer wundersamen Koinzidenz zwischen dem Denken eines Francis Bacon, für den die empirische Erfahrung in der Gestalt des Experiments eine unverzichtbare Erkenntnismethode war, dem eines René Descartes, dem das eigene Ich als erste und zunächst einzige Gewissheit galt, und dem eines Jacob Böhme, der sich den Ergebnissen der Selbstbeobachtung bediente, um die Existenz des Göttlichen in allen Dingen zu belegen.

Bei der Analyse des Worts barmherzig ist die Beschreibung der mechanischen Vorgänge, wie bei allen anderen Analysen, nur Mittel zum Zweck. Tatsächlich geht es Böhme auch hier darum, zu zeigen, dass sich sein kosmologisches Modell mit den drei Geburten und sieben Qualitäten, die die Welt konstituieren, ebenso wie die Existenz Gottes und dessen Wirken durch eine aufmerksame Untersuchung der Sprache belegen lässt. Diese Stoßrichtung tritt klar zutage, wenn man sich die komplette Analyse vor Augen hält:

Siehe, das Wort Barm ist nur auf deiner Lippen; und wenn du sprichst Barm, so machst du das Maul zu, und karrest hintennach; und das ist die herbe Qualität, die umschleust das Wort, das ist, sie figuriret zusammen das Wort, daß es harte wird oder schallet; und die bittere Qualität zerscheidet es.

Das ist, wenn du sprichst Bar, so kirret der letzte Buchstabe R, und murret als ein zitternder Odem, und das thut die bittere Qualität, die ist zitternde. Nun ist aber das Wort Barm ein todt, unverständig Wort, das niemand verstehet: das bedeutet, daß die zwey Qualitäten Herbe und Bitter, ein hart, dunckel, kalt und bitter Wesen sind, die kein Licht in sich haben; darum kan man ihre Kraft ausserhalb des Lichtes nicht verstehen.

Wenn man aber spricht Barmhertz, so druckt man die andere Sylbe Hertz aus der Tieffe des Leibes aus dem Hertzen: denn der rechte Geist spricht das Wort Hertz aus, der sich aus der Hitze des Hertzens empöret [= gebäret], in welchem das Licht ausgehet und quallet.

Nun siehe, wann du sprichts Barm, so figuriren die zwey Qualitäten Herbe und Bitter, das Wort Barm gar langsam zusammen: denn es ist eine lange ohnmächtige Sylbe, von wegen der Qualitäten Schwachheit. Wenn du aber sprichst Hertz, so fähret der Geist in dem Wort Hertz geschwind wie ein Blitz heraus, und gibt des Worts Unterscheid und Verstand. Wenn du aber sprichst IG, so fängest du den Geist mitten in den andern zwey Qualitäten, daß er muß drinn bleiben und das Wort formiren.93

Böhme lässt sich nicht davon irritieren, dass die Auflösung des Worts in seine konstituierenden Silben zu sinnentleerten Buchstabenfolgen wie dem freien grammatischen Morphem {barm-} führt, das er nicht ganz zu Unrecht als ein todt, unverständig Wort bezeichnet. Denn seine Sinnlosigkeit ist nur eine vermeintliche. Die Silben, für deren Diskriminierung er, wie man deutlich erkennen kann, ein klares Gefühl besitzt, sind für ihn per se sinnhaft, da sie das Ergebnis einer Kommunikation der innersten und der instehenden Geburt mit den fünf Sinnen sind, die die Signatur des Denotats auslesen.94 Dieser transzendente Anteil des Wortbildungsprozesses resultiert, wie oben beschrieben, aus einer Nachbildung der Qualitäten der durch das Wort bezeichneten Sache. Die auf diese Weise letztlich doch sinnerfüllten Morpheme rechtfertigen seinen Zugriff auf das Wort durch eine Analyse seiner formierenden Einzelteile.

Berücksichtigt man das oben zu Böhmes Welterklärungsmodell Gesagte, lässt sich die zitierte Passage so deuten, dass die Barmherzigkeit aus dem lichtstrahlenden Zentrum Gottes, das sich in allen Dingen findet, herrühre, womit sie als Kernkompetenz des Schöpfers markiert wird. Böhme überträgt an dieser Stelle das ontologische Paradigma von den drei Geburten auf das untersuchte Wortmaterial. Die erste und am tiefsten liegende Geburt identifiziert er mit Jesus Christus, dem Hertze oder Licht. Aus diesem Grund taucht in seiner Analyse das Licht als Attribut des Herzens auf, aus diesem Grund beschreibt er es folgerichtig als eine im übertragenen Sinne erhellende Qualität. Dabei schwingt als Nebensinn natürlich die Menschwerdung Jesu Christi mit, dessen Geburt der Barmherzigkeit Gottes überhaupt erst ihre spezifische Qualität und Wirkung gab, der sie überhaupt erst in der Welt erstrahlen ließ. Auf diese Weise wird die Barmherzigkeit zu einem der wichtigsten Attribute Gottes stilisiert. GOtt ist nichts als barmhertzige, freundliche Liebe und Klarheit, kann Böhme schließlich an anderer Stelle feststellen.95 Mit Böhmes Worten klingen die Implikationen seiner Analyse dann so:

Also ist die Göttliche Kraft: die herbe und bittere Qualität sind der Salitter96 der Göttlichen Allmacht; die süsse Qualität ist der Kern der Barmhertzigkeit, nach welcher das gantze Wesen mit allen Kräften GOtt heist. Die Hitze ist der Kern des Geistes, aus welcher das Licht fähret, und zündet sich in der Mitten in der süssen Qualität an, und wird von der Herben und Bittern gefangen als in Mitten: darinnen wird der Sohn GOttes geboren; und das ist das rechte Hertze Gottes.97

Indem er die linguistische Analyse auf seine Vorstellungen von der Struktur des Kosmos abbildet, verschweißt Böhme Empirie (die linguistische Betrachtung), Kosmologie (die Qualitätenlehre) und Christologie (Wirken Christi in der Welt) unauflöslich miteinander. Seine Analysen demonstrieren insofern auch die beiden Paradigmen von der Spiegelung des Gesamtkosmos in jedem Ding und von der Allgegenwart Gottes. Ist es auch eine problematische Zuweisung, weil Böhmes Gott in gewissem Grade immer noch eine transzendierte Gottheit ist, kann man ihn meines Erachtens dennoch als einen frühen Vertreter des Pantheismus bezeichnen, denn: DIe Schöpfung oder gantze Creation ist anders nichts als eine Offenbarung des allwesenden, ungründlichen GOttes.98

Auch für die folgenden Wortanalysen in der Aurora gilt, dass sie nur Mittel zum Zweck sind. Schon die Wahl des analysierten Vokabulars zeigt an, dass die Stoßrichtung der Untersuchung nicht bei einem lexikalischen Verständnis der Wörter stehen bleiben will, vielmehr über dieses weit hinausweist.99 Die Analysen sind methodische Durchführungen von Böhmes theoretischen Überlegungen, die sich nicht von ungefähr an wichtigen Bibelstellen festmachen. Denn es handelt sich in jedem Fall um zeichenhafte Verdichtungen seiner Kosmologie, die zwar zunächst auf einer sehr abstrakten Ebene entwickelt, dann aber durch Parallelisierungen und Analogiebildungen auf eine Verständnisebene gehoben werden, die jedermann zugänglich sein sollte. Für Böhme müssen seine sprachanalytischen Untersuchungen noch einen weiterführenden Zweck gehabt haben, betrachtet er im Zuge seiner Zergliederungen doch das göttliche Werkzeug par excellence, das Ding, mit dessen Hilfe die Welt überhaupt erst kreiert wurde, die Sprache:

Dann GOtt hat nicht die Creation erboren, daß Er dadurch vollkommenere würde, sondern zu seiner Selbst-Offenbarung […]. Die Creation oder Schöpfung ist dasselbe Spiel aus sich selber, als ein Model oder Werckzeug des ewigen Geistes, mit welchem Er spielet; […].

Dann das ewige Wort oder der Göttliche Hall oder Stimme, welche ein Geist ist, das hat sich in Formungen, als in ein ausgesprochen Wort oder Hall mit der Gebärung des grossen Mysterii, eingeführet […].100

Vor diesem Hintergrund dürfen die Sprachanalysen Böhmes mit vollem Recht als kosmologische Untersuchungen verstanden werden.

Der Grad der Rationalität dieses Verfahrens ist, so avanciert es partiell auch anmuten mag, jedoch trotz der empirischen Basis, auf der es aufsetzt, nicht allzu hoch. Andreas Gardt hat vollkommen recht, wenn er konstatiert: Solche metaphysischen Lautanalysen gelangen natürlich immer zum richtigen Ergebnis, weil Böhme keine zuvor festgelegte Methode anwendet.101 Tatsächlich präfigurieren die konventionalisierte Wortbedeutung und das sprachpragmatische Feld, in dem ein Wort wie barmherzig angesiedelt ist, nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Analyseprozess. Gerade weil die unumschränkte Güte Gottes für Böhme unzweifelhaft zu dessen Wesenskern gehört, muss er bei der Beschreibung des religiösen Fachbegriffs auf die innerste aller Qualitäten zurückgreifen. Die Identität von der böhmeschen Bezeichnung für diesen innersten Kern (Hertz) und dem mittleren Morphem im Wort selbst ({hertz-}) leistet diesem vorherbestimmten Ergebnis Vorschub. Letztlich dürfte sogar die Wahl des Untersuchungsobjekts barmherzig mehr oder minder bewusst durch das intendierte Ergebnis bestimmt gewesen sein.

Und trotzdem sollte man dem Analysemodell à la Böhme nicht jede Systematik absprechen. Denn schließlich greift er für seine Zerlegungs- und Deutungsarbeit auf ein weitgehend konsistentes, bereits zuvor entwickeltes kosmologisches Schema zurück. Dieses wird nicht zugunsten des gesuchten Ergebnisses modifiziert oder angepasst, es dient vielmehr als Folie, auf der für Böhme erst sichtbar wird, was er sucht.

Dass der semantische Inhalt seines Analyseobjekts grundsätzlich im Vordergrund steht, wird an einem weiteren Beispiel deutlich. Böhmes Wortanalysen müssen nicht notwendigerweise Lautanalysen sein. Um die Teufelwerdung Luzifers zu beschreiben greift er auf die Reproduktion einer Kling-Klang-Etymologie zurück:

Das Wort Teu hat seinen Ursprung von dem harten Pochen oder Tönen, und das Wort Fel hat seinen Ursprung von dem Falle: also heist nun Herr Lucifer Teufel, und nicht mehr Cherubin oder Seraphin.102

Der christliche Mythos von der Auflehnung des Engels Luzifer gegen Gott und seine darauffolgende Verstoßung, durch die das Böse in die Welt kam, ist eindeutig die Blaupause für die Analyse des zweisilbigen Worts Teufel. Darum haftet den Bedeutungsattributionen Böhmes auch in diesem Fall ein willkürliches Moment an. Das Morphem {-fel} ließe sich schließlich mit gleichem Recht von fehlen ableiten, wie von fallen, auch so ließe sich der Teufel begründet ins Kellergeschoss des Weltgebäudes verweisen.103 Eine Ableitungsreihe, wie sie die moderne Etymologie bietet, würde schon deswegen für Böhme als Analysemodus ausscheiden, weil die emotionale Aufladung des Gegenstands und der christlich-kulturelle Kontext, in dem das Wort steht, in ihr nicht mehr zu erkennen sind: altgr. διάβολος, Verleumder > lat. diabolus > mlat. diuvalus > alteng. dēofol > ahd. tiuval > mhd. tiufel > nhd. Teufel.104

Im Zuge der Analyse von Teufel tritt daneben erneut die große Bedeutung zutage, die Böhme dem Ton oder Schall, den er auch mit dem (alchimistischen) Begriff Marcurius bezeichnet, in seiner Ontologie beimisst. Das allzu harte Pochen des gefallenen Engels, dessen Reflex er im Morphem {teu-} erkennen will, steht diametral zum lieblichen Klang, den er der göttlichen Sphäre zuschreibt:

Mercke: Wenn der Ton in der Göttlichen Natur aufsteiget, so steiget er fein sanft aus allen 7 Quellgeistern zugleich auf, und gebäret das Wort oder die Figuren fein sanfte.105

Müssen Böhmes Wortanalysen auch in vielerlei Hinsicht als vorwissenschaftlich gelten, so belegen sie doch, dass er bereits ein Gefühl dafür ausgebildet hatte, dass zum einen die Dinge nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, und dass zum anderen die Zerlegung eines Gegenstands und die Interpretation der einzelnen Teile für sein Gesamtverständnis durchaus fruchtbar sein kann. Insofern lassen sich tatsächlich Ansätze für eine wissenschaftliche Sprachanalyse in Böhmes Verfahren erkennen.

Schlussbemerkung

Jacob Böhme ist einer sprachtheoretischen Strömung zuzurechnen, die eine absolute Motiviertheit von Sprache voraussetzt. Man muss sogar sagen: Eine radikalere Form der Motiviertheit, als Böhme sie postuliert, lässt sich kaum vorstellen, sind Sprache und konkrete Wortgestalt bei ihm doch aufs Engste mit seinen religiösen, kosmologischen und letztlich auch anthropologischen Vorstellungen verwoben. Für Böhme zerfällt die Welt in Indizes, alles einem Menschen Sichtbare, alles irgendwie Wahrnehmbare ist ihm nur Zeichen, nur Signatur, die über die Qualitäten eines Dings oder Wesens letztlich auf den Akt der Kosmogonie verweisen. Für Böhme stellt dieser ontologische Status der Sprache eine Chance zum Verständnis der Welt dar. Weil Sprache aus seiner Sicht nicht nur eine Verweisfunktion hat, sondern in hohem Maße durch eine hinter den Dingen liegende, nicht unmittelbar zu erblickende Wahrheit motiviert ist, kann ihre Analyse ein Weg zu einem tieferen Verständnis der Struktur der Welt und des wichtigsten Werkzeugs ihres Baumeisters Gott sein.

Die enge Verknüpfung zwischen einer jeden sprachlichen Äußerung und der Essenz allen Seins (dem dynamischen Wirken der mit der Existenz Gottes verbundenen Qualitäten) ist interessanterweise mit einer Absage an Sprachpurismen verbunden, die nur einer Sprache die Eigenschaft zuerkennen, grundrichtig, weil primordial zu sein. Damit liegt Böhme quer zu barocken Sprachtheorien, die die Benutzbarkeit einer Sprache durch ihr Alter legitimieren: Je weiter die Geburt einer Nationalsprache zeitlich in die Nähe der adamitischen Ursprache zurückverfolgt werden könne, umso richtiger müsse diese Sprache sein, umso höher sei sie im Verhältnis zu anderen Nationalsprachen einzuschätzen. Um Würde und Güte der deutschen Muttersprache zu behaupten, benötigt Böhme jedoch keinen König Deutsch, mit dessen Hilfe man die enge Verwandtschaft des Deutschen mit den alten Sprachen zu belegen versuchte.106 Das Pfingstwunder hilft ihm über diese Hürde hinweg. Denn es ist in Böhmes Denken nicht nur ein beliebiges mythisches Ereignis, in dessen Zuge die zeitgenössischen Sprachen die Transparenz und Grundrichtigkeit der Ursprache zumindest zeitweise wiedererlangen. Da die Muttersprache während des Pfingstwunders nicht verlorenging, kann dies im Umkehrschluss nur bedeuten, dass nicht nur eine Analyse der adamitischen Ursprache, sondern auch eine Analyse des Deutschen einen Blick auf den geheimen Weltplan ermöglicht. Durch die bei dieser Grundannahme ansetzenden Sprachanalysen wird die materielle Oberfläche der Welt durchsichtig und erlaubt es, die Formiertheit der Wirklichkeit hinter der Erscheinungsseite der Dinge, hinter der Ausdrucksseite der Sprache zu erspähen.

Die Ablehnung der rationalen Analysemethoden der Schriftgelehrsamkeit fällt bei Böhme mit der Überzeugung zusammen, dass der Anfang eines jeden mystischen Verstehens immer ein Rückgriff auf die sinnlich begreifbare Wirklichkeit sein muss. Diese Überzeugung findet sich denn auch in seiner Signaturenlehre wieder, die wiederum die konzeptionelle Basis dafür bildet, dass eine Analyse der Welt und ihrer Struktur bei allem empirisch Gegebenen, bei allem sinnlich Wahrnehmbaren ansetzen kann. Seine an den empirischen Gegebenheiten ausgerichtete Analyse des materiellen Akts der Sprachbildung zeigt nicht nur, dass Böhme die Vorliebe der barocken Sprachwissenschaft für Zerlegungsoperationen jeder Art teilte. Seine Wortanalysen sind ohne die Vorstellung, die Welt sei aus signifikativen Indizes komponiert, unvorstellbar. Dass er metasprachliche Operationen methodisch für nützlich und erkenntnisfördernd hält, dürfte wiederum mit einer Rezeption der jungen, empirisch arbeitenden Naturwissenschaften und der am konkret Fassbaren orientierten Alchemie zusammenhängen.

Letztlich muss die Zurückweisung tradierter Denkmuster, die in Böhmes Texten immer wieder aufscheint, auch als Niederschlag eines grundsätzlichen Zweifels gelesen werden, ob diese jemals richtige Ergebnisse zutage gefördert haben. So, wie Böhme an der absoluten Notwendigkeit, auf den Urtext der Bibel zurückzugreifen, um valide Aussagen über göttlichen Willen und Plan zu machen, zweifelt, so zweifelt er trotz seines empirischen Zugriffs auch an der Verlässlichkeit menschlicher Wahrnehmungen. Diese Form des Zweifels wird sich in radikal säkularisierter Gestalt später zu einem Signum der klassischen Moderne auswachsen. Ob es nun Ernst Machs Wartesaal für Empfindungen,107 Hugo von Hofmannsthals Worte, die im Munde wie modrige Pilze zerfallen,108 oder Friedrich Nietzsches metaphorisches Ueberspringen der Sphäre[n] während der Sprachproduktion sind109 – all diesen Wirklichkeitskonzepten ist gemeinsam, dass sie die Selbstverständlichkeit menschlicher Wahrnehmungen ebenso in Abrede stellen wie ihre bruchlose Übersetzung in Sprache. Die wesentliche Differenz zwischen der Wahrnehmungskrise um 1900 und den Zweifeln Böhmes besteht freilich darin, dass dieser ein Rettungsangebot für ein neues, für ein besseres Weltverständnis macht, wo jene sich der Desillusion ergibt. Machs Schlussfolgerung, das Ich sei unrettbar, ist für Letzteres ein beredter Ausdruck.110

Der individualistische Zug in Böhmes Denken, der sich besonders eindrücklich im Moment der Selbstbeobachtung des eigenen Körpers beim Sprechen zeigt, hat für die starke Rezeption der böhmeschen Schriften im Pietismus und in der Romantik gewiss eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.111 Indem Böhme dem Menschen die Fähigkeit zuerkennt, sich für eine der beiden Spielarten des Wirkens der Qualitäten, der guten oder der bösen, zu entscheiden, erkennt er ihm auch zu, auf die unio mystica, die erkennend-liebende Vereinigung zwischen Mensch und Gott,112 hoffen zu dürfen. In ihr liegt eine Erwartung begründet, sich bei der Suche nach mystischen Erfahrungen als Teil Gottes wiedererkennen zu können. Unterstützt wird diese Erwartung durch die Überzeugung, dass die Signaturen der Dinge vom Menschen prinzipiell ausgelesen werden können: Darum ist in der Signatur der gröste Verstand, darinnen sich der Mensch […] nicht allein lernet selber kennen, sondern er mag auch darinnen das Wesen aller Wesen lernen erkennen.113

Bildnachweis

Abb. 1 u. Abb. 4 Titelblatt bzw. Titelkupfer aus Jacob Böhme: Morgenröte im Aufgang, das ist: die Wurzel oder Mutter der Philosophiae, Astrologiae, und Theologiae, aus rechtem Grunde, Oder Beschreibung der Natur, wie Alles gewesen und im Anfang worden ist […], Neue Aufl., Berlin/Leipzig 1780. Die Digitalisate der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel stehen ebenso wie die hier eingestellten Nachbearbeitungen unter CC BY-SA 3.0 DE. (Bildquelle, Lizenz)

Abb. 2 u. Abb. 3 sind Eigenproduktionen und stehen unter derselben Lizenz wie der Text, nämlich CC BY-NC-ND 4.0.

Anmerkungen

1 Christoph Martin Wieland: Sechs Fragen zur Aufklärung, in: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, hrsg. v. Ehrhard Bahr, Stuttgart 2002, S. 23–28, hier 27. Jacob Böhme könnte hier tatsächlich gemeint sein. Dafür spricht einerseits, dass dieser sich als vom Heiligen Geist erleuchtet begriffen hat, schreibt er doch in der Aurora: Der Himmel ist in meinem Geiste offenbaret, daß ich im Geist erkenne die Wercke und Geschöpfe GOttes: auch so ist der Wille darzu nicht mein natürlicher Wille, sondern es ist des Geistes Trieb Jacob Böhme: AVRORA, oder Morgenröthe im Aufgang […], o. O. 1730, in: Ders.: Sämtliche Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Will-Erich Peuckert, Stuttgart 1955 (Ndr. der Ausgabe 1730), Vorrede des Autoris: 95. (Böhmes Werke werden nach diesem Schema zitiert: Werktitel, Kapitel: Absatznummer; auf eine Wiedergabe der in der Edition zu findenden Absatznummern wird in den Zitaten verzichtet.) Dass Böhme die Aufklärung seiner Umwelt auf Betreiben des lokalen Klerus seitens der Stadtoberen von Görlitz untersagt wurde, macht seinen Fall andererseits zu einem Paradebeispiel für die drängenden Fragen der deutschen Aufklärungsdebatte Ende des 18. Jahrhunderts; vgl. Gerhard Wehr: Jakob Böhme, 8. Aufl., Reinbek 2002 (zuerst 1971), S. 24.

2 So Hegel über Böhme; zit. n. Wehr: Jakob Böhme (wie Anm. 1), S. 118. Auf dem Erstdruck der Aurora heißt es noch: Durch TEVTONICVM PHILOSOPHVM, Sonst Jacob Böhmen. AVRORA Das ist: MorgenRöthe im Auffgang vnd Mutter der Philosophiæ […], o. O. 1634; VD17-Aufnahme mit Schlüsselseiten.

3 Johann August Eberhard: Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache […], 3., vermehrte u. verbesserte Aufl., Berlin 1814 (zuerst 1802), S. 228 f.; Hervorhebungen i. O.

4 Vgl. Detlef Kremer: Romantik, 2., überarb. u. akt. Aufl., Stuttgart/Weimar 2003, S. 64–69.

5 Gerhard Wehr: Jakob Böhme und sein Erstlingswerk, in: Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, hrsg. v. dems., Frankfurt a. M./Leipzig 1992, S. 11–45, hier 36. Vgl. zur Rezeption von Böhmes Werken auch Wehr: Jakob Böhme (wie Anm. 1), S. 118–134.

6 Vgl. auch Gerd Haensch: Jakob Böhme und die Dialektik der Erkenntnis, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 26 (1978), S. 191–208, hier 191, der hinter den mystisch-religiösen Vorstellungen Böhmes auch tragende, rationale Grundgedanken ausmacht.

7 Vgl. zu der von Böhme gewählten Sprachebene auch Hans Bayer: Die empraktischen Sprachkategorien von Jacob Böhmes Weltdeutung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 96 (1977), Sonderheft Sprache, S. 170–201.

8 Eberhards vehemente Ablehnung fußt gewiss auch darauf, dass Böhmes Sprachtheorie das Gegenteil einer aufklärerischen Konzeption ist; vgl. Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin/New York 1999, S. 156 f. Dirk Niefanger: Barock, 2., überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart/Weimar 2006, S. 17 weist zu Recht darauf hin, dass sich in einigen Bereichen die deutsche Sprache schon im 16. Jhr. etabliert hatte.

9 Der Obertitel Aurora wurde der Schrift erst von späteren Herausgebern vorangestellt.

10 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), passim.

11 Zum saussureschen Zeichenbegriff vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. v. Charles Bally u. Albert Sechehaye, übers. v. Herman Lommel, 2. Aufl., Berlin 1967 (zuerst fr. 1916), S. 76–93.

12 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 19: 73–76.

13 Vgl. zur Wortseite dieser Überlegungen Kap. Natursprache und Sprachbildung.

14 Vgl. zu einer allgemeinen Definition auch Gernot Böhme: Natur, Leib, Sprache. Die Natur und der menschliche Leib. Die Signaturenlehre bei Paracelsus und Jacob Böhme, Rotterdam 1986, S. 16.

15 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 1: 3.

16 Böhmes Terminologie schwankt in der Aurora leicht; häufig ist auch von der ersten, zweiten, dritten Geburt die Rede. So z. B. in ebd., 18: 21–29. Dabei entspricht die erste der innersten und die dritte der äussersten Geburt, der Natur.

17 Die Begriffe Hertze, Licht GOttes usw. finden sich ebd., passim.

18 Ebd., 18: 29.

19 Auch in der innersten Geburt, also im Zentrum der Gottheit, wirken sieben Qualitäten, die von den hier genannten mitunter abweichen. Böhme geht auf sie in seiner Schrift De Electione Gratiæ oder Von der Gnaden-Wahl (1623) detailliert ein. Vgl. zu diesen Qualitäten und der Gottwerdung Gottes in den Schriften Böhmes Wilhelm Schmidt-Biggemann: Christian Kabbala. Joseph Gikatilla (1247–1305), Johannes Reuchlin (1455–1522), Paulus Ricius (d. 1541), and Jacob Böhme (1575–1624), in: The language of Adam = Die Sprache Adams, hrsg. v. Allison P. Coudert, Wiesbaden 1999, S. 81–121, hier 108–121.

20 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 18: 26–28. Dies ist die in der Aurora vorherrschende Definition; besonders am Anfang der Schrift nennt Böhme allerdings noch andere Qualitäten (z. B. Kälte oder saure), die nicht in dieser doch recht klaren Systematik aufgehen; vgl. ebd., 1: 10–24. Auch am Ende des Textes findet sich eine deutliche Abweichung; vgl. ebd., 21: 102–107. Hier gebären nur die Qualitäten herb, süß und bitter den Körper und anstelle der Natur wird das Licht zur Qualität erhoben.

21 Vgl. hierzu Kap. Natursprache und Sprachbildung u. Józef Kosian: Jacob Böhmes Neufassung des Begriffs Nichts, in: Erkenntnis und Wissenschaft. Jacob Böhme (1575–1624), Görlitz/Zittau/Oettel 2001, S. 52–57, hier 55. Kosian verweist darauf, dass das logische Modell Böhmes von dem gängigen formallogischen abweiche. Er führt diese Gedanken zwar nicht weiter aus – aber eine auf Dichotomien aufsetzende Logik scheint in Böhmes Denken tatsächlich suspendiert zugunsten einer kontraintuitiven, vielgestaltigen und schleifenartigen Darstellungsweise.

22 Vgl. Elmar Seebold (Hrsg.): Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23., erw. Aufl., Berlin/New York 1999, S. 303, s. v. gebaren u. gebären: gebaren […]. Denominales Verb zu […] mhd. gebære oder seinem nominalen Grundwort. Dieses eine Ableitung zu g. *ber-a- tragen; gebären […], perfektivierende Präfigurierung zu g. *ber-a- tragen, bringen.

23 Ansätze dazu zeigt Böhme selbst; vgl. dazu Kap. Der Kosmos in den Wörtern.

24 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 21: 108.

25 Vgl. zu der zentralen Bedeutung der Wortbildung in dieser Passage Kap. Natursprache und Sprachbildung.

26 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 21: 10.

27 Vgl. ebd., Vorrede des Autoris: 34–42. Diese Interpretation, über die Natur des zweiten Baums, wird von Böhme selbst nahegelegt in ebd., Vorrede des Autoris: 79: Die da hatten auf Erden von dem guten Baum gessen, der da heist JEsus Christus, in denen war die Barmhertzigkeit GOttes gequollen.

28 Ebd., Vorrede des Autoris: 35.

29 So z. B. in Wolfgang Kayser: Böhmes Natursprachenlehre und ihre Grundlagen, in: Euphorion 31 (1930), S. 521–562, hier  541 f.; Böhme: Natur, Leib, Sprache (wie Anm. 14), S. 15–26; Harald Haferland: Mystische Theorie der Sprache bei Jacob Böhme, in: Theorie vom Ursprung der Sprache, Bd. 1, hrsg. v. Joachim Gessinger u. Wolfert von Rahden, Berlin/New York 1989, S. 89–130, hier 100–102.

30 Vgl. zu diesem Begriff Steven Blanckaert: Lexicon medicum […], Halle/Magdeburg 1748, S. 80, s. v. Archevs (Digitalisat): Archevs, est […] summus, exaltatus, & inuisibilis spiritus, qui separatur a corporibus, exaltatur & ascendit, occulta rerum virtus, generalis omnibus artifex, & medicus. (Der archeus ist der am höchsten erhobene und unsichtbare Geist, der von den Körpern geschieden und erhöht wird, der von ihnen emporsteigt, er ist die verborgene Kraft in den Dingen, der allgemeine Werkmeister und Mediziner in allem.)

31 Paracelsus (eigtl. Theophrastus Bombastus von Hohenheim): De natura rerum neun bücher, in: Ders.: Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd. 11, hrsg. v. Karl Sudhoff, München/Berlin 1928, S. 309–403, hier 373.

32 Ebd., S. 373.

33 Ebd., S. 376.

34 Ebd., S. 378.

35 Vgl. Kap. Der Kosmos in den Wörtern.

36 Paracelsus: De natura rerum (wie Anm. 31), S. 378; Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 18: 7; vgl. auch Wolf Peter Klein: Am Anfang war das Wort. Theorie- und wissenschaftsgeschichtliche Elemente frühneuzeitlichen Sprachbewußtseins, Berlin 1992, S. 125 f.

37 Die philosophia adepta […] ist in letzter Konsequenz nicht von Menschen zu lernen, sondern bedarf eines göttlichen Gnadenakts. Klein: Am Anfang war das Wort (wie Anm. 36), S. 131.

38 Vgl. zur modernen Zeichentheorie Saussure: Grundfragen (wie Anm. 11) u. die Überblicksdarstellungen Helmut Henne: Wort und Wortschatz, in: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, 6., neu bearb. Aufl., Mannheim et al. 1998, S. 557–608, bes. 566–571; Angelika Linke/Markus Nussbaumer/Paul R. Portmann: Studienbuch Linguistik, ergänzt um ein Kapitel Phonetik und Phonologie von Urs Willi, 3., unver. Aufl., Tübingen 1996, Kap. Semiotik, S. 13–42.

39 Vgl. daneben auch Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 18: 118: wenn nun die 7 Geister wollen, so muß sich die Zunge nach ihrem Gefallen bewegen, und muß ihre Sachen fördern.

40 Ebd., 19: 75 f.

41 Vgl. Steffen Martus: Sprachtheorien, in: Die Literatur des 17. Jahrhunderts, hrsg. v. Albert Meier, München 1999 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 2), S. 140–155, hier 145.

42 Von übertragenen Bedeutungen wie z. B. der Invektive Du Hund!, in der nicht etwa von Hunden, sondern Menschen die Rede ist, natürlich abgesehen.

43 Jacob Böhme: De Signatura Rerum oder Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen […], o. O. 1730, in: Ders.: Sämtliche Schriften, Bd. 6, hrsg. v. Will-Erich Peuckert, Stuttgart 1957 (Ndr. der Ausgabe 1730), 1: 16 f.

44 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 20: 90.

45 Gen 2,19 f.: Denn als Gott der HERR gemacht hatte von der Erden allerley Thier auff dem Felde / vnd allerley Vogel vnter dem Himel / bracht er sie zu dem Menschen / das er sehe / wie er sie nennet / Denn wie der Mensch allerley lebendige Thier nennen würde / so solten sie heissen. Vnd der Mensch gab einem jglichen Vieh / vnd Vogel vnter dem Himel / vnd Thier auff dem felde / seinen namen. Alle Zitate folgen der Luther-Bibel von 1545, s. Anm. 55

46 So deutlich in Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 20: 91: Denn als Adam erstlich geredet hat, so hat er allen Creaturen, nach ihren Qualitäten und instehenden Wirckungen, den Namen gegeben. Auch dieser Gedanke findet sich schon in der paracelsischen Philosophie: […] die kunst signata leret die rechten namen geben allen dingen. die hat Adam […] volkomlich gewußt und erkantnus gehabt. […] und wie er sie [die Dinge und Wesen] nun tauft und inen namen gab, also gefiel es got wol, dan es geschach aus dem rechten grunt, nit aus seinem gut gedunken, sonder aus einer praedestinirten kunst, nemlich aus der kunst signata. Paracelsus: De natura rerum (wie Anm. 31), S. 397.

47 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 20: 91.

48 Ebd. fühlt Böhme sich dazu ermächtigt, denn es ist ein Geheimniß, Mysterium, welches mir von Gnaden GOttes ist mitgetheilet worden von dem Geiste, der Lust zu mir hat.

49 Analogiebildungen dieser Art sind typisch für sprachmystische Schriften des Barock; vgl. Martus: Sprachtheorien (wie Anm. 41), S. 145.

50 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 2: 13.

51 Ebd., 6: 4.

52 Vgl. zu dieser Terminologie Kap. Signaturenlehre und Quellgeister.

53 Dieses und die folgenden Zitate in Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 6: 5–9. Das Modell behält Böhme bei und verwendet es erneut 1623 in Jacob Böhme: Mysterium Magnum oder Erklärung über Das Erste Buch Mosis […], o. O. 1730, in: Ders.: Sämtliche Schriften, Bd. 7 u. Bd. 8, hrsg. v. Will-Erich Peuckert, Stuttgart 1958 (Ndr. der Ausgabe 1730), 35: 55.

54 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 6: 9.

55 Alle Bibelzitate folgen der Ausgabe Biblia: das ist: Die gantze Heilige Schrifft: Deudsch Auffs new zugericht. D. Mart. Luth. […], Wittenberg 1545.

56 So z. B. in Böhme: De Signatura Rerum (wie Anm. 43), 16: 3: Denn das ewige Wort oder der Göttliche Hall oder Stimme, welche ein Geist ist, das hat sich in Formungen, als in ein ausgesprochen Wort oder Hall mit der Gebärung des grossen Mysterii, eingeführet.

57 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 18: 26.

58 Ebd., 21: 108, vgl. auch ebd., 6: 2, wo Böhme das göttliche Wort als den Glantz aus allen seinen Kräften [= Qualitäten] bezeichnet.

59 Ebd., 13: 110; [seelischen] auch i. O.

60 Ebd., 13: 114.

61 Der Rat im Kopf, so Böhme, entspreche dem Vater, der Aufenthalt im Herzen dem Sohn und die von der Zunge initiierte Aussprache dem Heiligen Geist.

62 Vgl. zu den Wortanalysen Kap. Der Kosmos in den Wörtern.

63 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 10: 12.

64 Diese Lesart Böhmes hat ihre Vorläufer im 16. Jhr.; vgl. Ernst Benz: Die Sprachtheologie der Reformationszeit, in: Studium Generale 4 (1951), S. 204–213, hier 207–209.

65 Vgl. Susanne Edel: Ideenmetaphysik und Buchstabenmystik. Leibniz, Böhme und die prophetische Kabbala, in: The language of Adam = Die Sprache Adams, hrsg. v. Allison P. Coudert, Wiesbaden 1999, S. 171–191, hier 171; Klein: Am Anfang war das Wort (wie Anm. 36), S. 216.

66 Martus: Sprachtheorien (wie Anm. 41), S. 147; ähnlich bereits Kayser: Böhmes Natursprachenlehre (wie Anm. 29), S. 551. Zwar bediente sich schon Luther der Metapher, die Sprache sei ein Gefäß göttlicher Wahrheiten, gestand den biblischen Grundsprachen Hebräisch und Griechisch aber das Prä zu; vgl. Benz: Sprachtheologie der Reformationszeit (wie Anm. 64), S. 204–206.

67 Die Endzeiterwartung schlägt sich – noch verschlüsselt – bereits im ursprünglichen Titel der Aurora nieder: Morgenröthe im Aufgang. Sie findet sich aber auch im Text der Aurora an vielen Stellen. Z. B. auf 13: 3 f.: Weil sichs aber nunmehr will gäntzlich offenbaren, als wie in einem hellen Spiegel, so ist wol zu vermuthen, daß der grosse Tag der Offenbarung GOttes nunmehr vorhanden ist […]. […] die Morgenröthe bricht an, es ist Zeit vom Schlaffe aufzuwachen. Endzeitliche Erwartungen wurden in Böhmes Umfeld offenbar häufig gehegt; vgl. Wehr: Jakob Böhme (wie Anm. 1), S. 18.

68 Zuerst Böhme: Aurora (wie Anm. 1), Vorrede des Autoris: 91.

69 Ebd., 8: 73.

70 Z. B. ebd., 3: 1.

71 Ebd., Vorrede des Autoris: 89.

72 Ebd., 13: 52.

73 Zit. n. dem Faksimile des Titelblatts der Urschrift der Aurora, das dem gedruckten Titelblatt im Ndr. der Ausgabe 1730 vorangestellt ist. Das Planetenzeichen für Mars (♂) ist zugleich gängiges Wochentagszeichen für Dienstag. Im Italienischen (martedì) oder im Französischen (mardi) ist die etymologische Herkunft der Wochentagsbezeichnung als Tag des Mars noch heute erhalten.

74 Z. B. Böhme: Aurora (wie Anm. 1), Vorrede des Autoris: 95: Ich bin auch nicht in Himmel gestiegen […]; sondern derselbe Himmel ist in meinem Geiste offenbaret oder ebd., 11: 60: Ich rede aber alhie mit einer Engels-Zunge; du must es nicht irdisch verstehen, gleich dieser Welt.

75 Die Niederschrift der Aurora hat Böhme einem Bekannten gezeigt, der sie heimlich abschreiben ließ und weitergab. Im Schneeballsystem wurden offenbar so viele handschriftliche Kopien angefertigt, dass es die Oberen von Görlitz für nötig erachteten, gegen Böhmes Schriftstellerei vorzugehen; vgl. Wehr: Jakob Böhme (wie Anm. 1), S. 24. Der erste nachgewiesene Druck ist für das Jahr 1634 belegt, also 10 Jahre nach Böhmes Tod.

76 Vgl. zur Funktion der Erbauungsliteratur Franz M. Eybl: Predigt/Erbauungsliteratur, in: Die Literatur des 17. Jahrhunderts, hrsg. v. Albert Meier, München 1999 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 2), S. 401–419, hier 406–409. S. zur Veränderung der Theologensprache um 1600 auch Michael Maurer: Geschichte und gesellschaftliche Strukturen des 17. Jahrhunderts, in: Die Literatur des 17. Jahrhunderts, hrsg. v. Albert Meier, München 1999 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 2), S. 18–99, hier 55.

77 Vgl. Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 25: 61: die Erde drehet sich um, und lauffet mit den andern Planeten als wie in einem Rade um die Sonne.

78 Vgl. Steven Shapin: Woher stammt das Wissen in der wissenschaftlichen Revolution?, in: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, hrsg. v. Michael Hagner, Frankfurt a. M. 2001, S. 43–103, hier 46.

79 Böhme: De Signatura Rerum (wie Anm. 43), 1: 16.

80 Platon: Kratylos, in: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 2, hrsg. v. Walter F. Otto, Ernesto Grassi u. Gert Plamböck, übers. v. Friedrich Schleiermacher, Hamburg 1957, S. 123–181, 383a – 440e, hier S. 167 f., 426c – 427d.

81 Ebd., S. 175–177, 434b – 435d.

82 Ebd., S. 126, 383a.

83 Ebd., S. 132, 389a.

84 Ebd., S. 132 f., 389d – 390a; Hervorhebungen N. D.

85 Vgl. Böhme: Mysterium Magnum (wie Anm. 53), 35: 61; Klein: Am Anfang war das Wort (wie Anm. 36), S. 19 f.

86 Leicht anders dazu Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft (wie Anm. 8), S. 153: Die bestehenden Einzelsprachen enthalten allerdings noch die Spuren dieser Natursprache (Hervorhebung i. O.).

87 Klaus Conermann, Andreas Herz (Hrsg.): Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650, Bd. 7: 1644–1646, unter Mitarbeit v. Gabriele Ball, Leipzig 2016 (im Druck), Dokument 440826, Brief Abrahams von Franckenberg an Gottfried Sturm.

88 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 20: 10.

89 Ebd., 8: 74–77.

90 Besonders umfassend ist die Darstellung des physikalischen Vorgangs während der Sprachproduktion am Beispiel des Worts Himmel ausgeführt; vgl. ebd., 18: 62–65.

91 Zwar nicht in der Aurora, aber z. B. in Mysterium Magnum geht Böhme auch bis auf die Buchstabenebene hinunter; vgl. Böhme: Mysterium Magnum (wie Anm. 53), 35: 50; Edel: Ideenmetaphysik und Buchstabenmystik (wie Anm. 65), S. 188 f. Hier zeigen sich übrigens auch Böhmes Anleihen bei der Kabbala, wo er evtl. auch Vorbilder für seine Betrachtungen zu den Artikulationsorten fand; vgl. Schmidt-Biggemann: Christian Kabbala (wie Anm. 19), S. 83 f.; Klein: Am Anfang war das Wort (wie Anm. 36), S. 80–103.

92 Es lässt sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen, dass sich hinter der Umschreibung karrest hintennach das [r] verbirgt, auch wenn Böhmes Entscheidung, das sonst von ihm nicht gebrauchte Verb karren zu verwenden dafür spricht, schließlich ist das [r] der dominante Laut in karren. Direkt im Anschluss greift Böhme auf ein ebenso extravagantes Vokabular zurück (nämlich murren und kirren), wobei er sich dort eindeutig auf den Klang des [r] bezieht. Die Wendung könnte theoretisch auch auf den nasalen Nachklang des [m] bei geschlossenen Lippen gemünzt sein, wofür wiederum die Abfolge in Böhmes Beschreibung sprechen würde. Ich tendiere jedoch stark zu ersterem. – Dafür, dass die Verwendung des Verbs karren auf dessen Lautqualität zurückzuführen ist, spricht auch, dass Franckenberg (wie Anm. 87) es benutzt, als er auf den widerhall in der lufft zu sprechen kommt, den Geräte und Gegenstände der menschlichen Umwelt produzieren. Die dabei entstehenden Töne versucht er durch ausgesuchte Verben zu vergegenwärtigen. In diesem Zusammenhang benutzt er karren für das Knarzen und Knirschen eines Tors: der Harnisch raßelt, der Wald praßelt, die Cymbaln klingen, das Thor karret, die thür knarret.

93 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 8: 74–77; [gebäret] auch i. O.

94 S. dazu Kap. Signaturenlehre und Quellgeister.

95 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 8: 106.

96 Der Salitter (auch Salnitter) ist für Böhme eine Bezeichnung für die Göttliche Kräfte, daraus der Corpus ist; ebd., 5: 11.

97 Ebd., 8: 78; Hervorhebung N. D.

98 Böhme: De Signatura Rerum (wie Anm. 43), 16: 1. In Sachen Pantheismus vertritt Ferdinand van Ingen: Jacob Böhme und die Natursprache. Eine Idee und ihre Wirkung, in: Erkenntnis und Wissenschaft. Jacob Böhme (1575–1624), Görlitz/Zittau/Oettel 2001, S. 115–127, hier 118 einen anderen Standpunkt; meinen teilt auch Gerd Haensch: Über die naturphilosophischen Anschauungen Jakob Böhmes, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 23 (1975), S. 415–426, hier 417.

99 In der Aurora analysiert Böhme neben barmhertzig noch die Wörter und Worte Teufel (14: 26), Am Anfang schuf GOtt Himmel und Erden (18: 48–74), Und es war finster auf der Tieffe (18: 84–86), Sprach (18: 87–116), Tag (19: 84–97), Nacht (19: 110–120) und Wasser (20: 92–97).

100 Böhme: De Signatura Rerum (wie Anm. 43), 16: 2–3.

101 Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft (wie Anm. 8), S. 156.

102 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 14: 26.

103 Ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie sehr sich Böhme bei seinen Deutungen von inhaltlichen Aspekten leiten ließ, ist seine Interpretation der Zeichenfolge <und> in dem Satz Am Anfang schuf GOtt Himmel und Erden; s. ebd., 18: 48–74. Das Und liest er hier nämlich nicht als Kopula, die zwei Dinge miteinander verbindet und so in gewissem Grade einander gleichstellt. Es ist für ihn vielmehr eine Silbe, die nur zum Unterscheid gebrauchet werde, d. h. um die Differenz zwischen Himmel und Erde hervorzuheben; ebd., 18: 68.

104 Vgl. Kluge (wie Anm. 22), S. 823, s. v. Teufel.

105 Böhme: Aurora (wie Anm. 1), 15: 67.

106 In einem Brief von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, dem Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, der größten deutschen Sprachakademie des 17. Jahrhunderts, wird die Existenz dieses ominösen König Deutsch für sicher angenommen und als Beleg für das Alter der deutschen Sprache angeführt. In seinem Brief vom 9. November 1640 schlägt er Christian Gueintz vor, in sein jüngstes Werk Anmerkungen zum Alter der deutschen Sprache zu ergänzen: ob er [Gueintz] kurtzlich bey der älte unserer Sprache dieses an solchem orte erwehnen wolle, das sie mitt der Griechischen, wo nicht zuvor, doch eines alters gewesen, und weill könig Deutsch zu Abrahams zeiten gelebett als Aventinus saget, der Hæbræischen damals auch hatt müssen gleich gehen. Klaus Conermann (Hrsg.): Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650, Bd. 5: 1639–1640, unter Mitarbeit v. Gabriele Ball u. Andreas Herz, Leipzig 2010, S. 582 f.

107 So Otto Weininger in Geschlecht und Charakter (1903); zit. n. Gotthart Wunberg (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910, Stuttgart 2000, S. 146.

108 Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief, in: Ders.: Der Brief des Lord Chandos. Schriften zur Literatur, Kultur und Geschichte, hrsg. v. Mathias Mayer, Stuttgart 2000, S. 46–59, hier 51.

109 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne (1872/73), in: Ders.: Nachgelassene Schriften 1870–1873, Berlin/New York 1973 (= Nietzsches Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Abt. 3, Bd. 2), S. 369–384, hier 373.

110 So Ernst Mach in Beiträge zur Analyse der Empfindungen (1866); zit. n. Wunberg: Die Wiener Moderne (wie Anm. 107), S. 137–145, hier 142.

111 Vgl. zur Romantik die einleitenden Bemerkungen u. zum Pietismus Maurer: Geschichte und gesellschaftliche Strukturen (wie Anm. 76), S. 70 f.

112 Alois M. Haas: Was ist Mystik?, in: Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, hrsg. v. Kurt Ruh, Stuttgart 1986, S. 319–341, hier 333. S. zu Böhmes Mystikbegriff auch Haensch: Über die naturphilosophischen Anschauungen Jakob Böhmes (wie Anm. 98), S. 417.

113 Böhme: De Signatura Rerum (wie Anm. 43), 1: 16.