Friedrich Schiller in der Rezeption
Wahrnehmung und Wirkung von Werk und Person

Welchen Schiller lesen Sie eigentlich? Eine durchaus berechtigte Frage, denn angesichts der wechselvollen Rezeptionsgeschichte Friedrich Schillers muss man feststellen, dass er auf immer wieder neue Weise gelesen wurde. Die Arbeit bietet zunächst einen chronologischen Überblick über die Lesemodi, durch die man sich Schiller in verschiedenen Epochen aneignete, und mündet in die These, dass es nicht so sehr der Inhalt seiner Texte, sondern vielmehr sein aphoristischer Sprachstil war, der die Stoßrichtung aller Rezeptionslinien vorgab.

Von


Der Zeitpunkt kommt, wo jemand aufhört ein Schriftsteller zu sein und anfängt ein Mythus zu werden.1 Dieser anlässlich des hundertfünfzigsten Geburtstags des herrliche[n] Freiheitsschwabe[n]2 geschriebene Ausspruch des Kritikers Alfred Kerr weist die Richtung, welche eine Beschäftigung mit der Rezeption der Werke Schillers zu nehmen hat. Es geht hier nämlich viel weniger um die Schriften des Dichters und viel mehr darum, was aus ihnen geworden ist, wie man sie gelesen oder verarbeitet und nicht zuletzt verstanden oder missverstanden hat. Schillerrezeption schreiben, heißt Sozial- und Politikgeschichte schreiben. Denn erst unter solchen Gesichtspunkten wird klar, wie, beispielsweise, Adorno darauf kommen konnte, Schiller als Hofpoet des deutschen Idealismus3 zu adressieren. Reservierte Haltungen wie diese erhellen sich nämlich dann, wenn man in Augenschein nimmt, wie Schiller zu verschiedenen Epochen wahrgenommen wurde. Dabei sollen im Folgenden, wo nötig, sowohl der historische Hintergrund ins Blickfeld gerückt als auch Quellen der Rezeptionsgeschichte als Symbol für den jeweiligen Rezeptionsstrang interpretiert werden. Dass trotz der stark divergierenden Aktualisierungen – genauer: Umdeutungen und politischen Anverwandlungen von Schillers Schaffen und Person – immer irgendwie ein Bezug zum eigentlichen Werktext vorhanden ist, dass es Schillers spezifischer sprachlicher Stil ist, auf dem jede Rezeption der letzten 200 Jahre basiert, ist die These, von der ich ausgehe.

1 Tendenzen der Schillerrezeption des 19. Jahrhunderts

Bereits zu Lebzeiten entwickelte sich die Person Friedrich Schillers wie auch sein Werk zu einem Kultobjekt. Nach dem Erscheinen der Räuber (1781) kam es vereinzelt zu einer Art schillerschem Wertherfieber. Junge Leipziger Studenten bildeten, inspiriert durch das Drama, Räuberbanden. Im Gegensatz zu solchen Begeisterungsstürmen und den überbordenden Gefühlsäußerungen, die während der Erstaufführung des Dramas geherrscht haben sollen, wurde Schillers Schaffen auch schon zu Lebzeiten in einigen Kreisen mit einer gewissen Reserve betrachtet, vor allem im Umfeld der romantischen Dichter. Ihre Kritik wurde wohl ebenso durch das überschwängliche Lob befeuert, das man dem Dichter und seinem Werk entgegenbrachte, wie auch durch persönliche Animositäten. So kehrte sich die große Popularität Schillers bereits früh gegen ihn. Caroline Schlegel kritisiert beispielsweise 1796 in einem Brief an Luise Gotter:

Ich ruhe nicht, [F. W.] Gotter muß künftiges Jahr etwas in diesen Almanach [den Musen-Almanach Schillers] geben – das wird allerliebst gegen die hochfahrenden Poesien abstechen, die gereimten Metaphysiken und Moralen, und die versifizierten Humboldeschen Weiblichkeiten. Schillern hängt das Ideal [sic] gar zu sehr nach – er meint, es ist schon gut, wenn ers nur ausspricht.4

Caroline Schlegel moniert also, dass Schiller, bildlich gesprochen, die Gegenstände seines literarischen Schaffens immer direkt unter die Decke hängt. Diese seinen literarischen Gegenständen zugeordnete Erhabenheit und Schwere geht mit höchsten moralischen Forderungen und einer pathetisch aufgeladenen Sprache einher: dem oft erwähnten schillerschen Pathos. Hinter Schlegels Kritik steht somit nicht nur eine Ablehnung der Inhalte, an die Schillers moralischer Impetus gemahnt, sondern auch die Art und Weise des Vortrags. Napoleon wird der Ausspruch zugeschrieben, dass es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt sei. Und diesen kleinen Schritt zu weit ist Schiller aus Sicht einiger seiner Zeitgenossen mitunter gegangen. Wieder Caroline Schlegel, diesmal in einem Brief vom 21. Oktober 1799:

Schillers Musencalender ist auch da, über ein Gedicht von Schiller, das Lied von der Glocke, sind wir gestern Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen, es ist a la Voss, a la Tiek, à la Teufel, wenigstens um des Teufels zu werden.5

Diese Problematik ist, das möchte ich hier betonen, nicht auf Schiller begrenzt. Besonders deutlich sieht man das Problem des späteren Verständnisses einer mit aufrichtigem Pathos hervorgebrachten Haltung, wie ich denke, an einem Brief aus Friedrich Hölderlins Hyperion. Dort heißt es:

Tausendmal hab ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüse [sic!] bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerherde sprechen, und es ist gewiß nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohltätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.6

Wie eine Parodie wirkt diese Passage, weil Hölderlin hier den erhabene[n] Geist der Geliebten Hyperions mit einer nachgerade banalen Alltagstätigkeit in Verbindung bringt. Das artifizielle Vokabular (Herzensfreude, herzerfreuende, Feuerherde, edles Mädchen, allwohltätige Flamme) tut sein Übriges und lässt Hölderlins Roman heute, nicht nur an dieser Stelle, sondern über weite Strecken, unerträglich, wenn nicht gar lachhaft erscheinen. Allerdings scheint es mir nötig, zu betonen, dass die Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz eines Pathos wie im Gemüse-Brief wesentlich mit den jeweiligen historischen Bedingungen zu tun hat, unter denen ein Text rezipiert wird. Auch eine pathetische Grundhaltung hat ihre Konjunkturen.

Um zu Schlegels Kritik an Schiller zurückzukehren: Was machte Das Lied von der Glocke, dieses früh verlachte Gedicht, für die folgenden über 150 Jahre so beliebt, dass noch nach dem Zweiten Weltkrieg so manches Schulkind es hat auswendig lernen müssen? Oder noch allgemeiner gefasst und darüber hinaus gehend: Warum konnten sich zum Beispiel Schillers Balladen, die schon bei seinen Zeitgenossen negative Kritik hervorriefen, kanonisieren? An dieser Stelle komme ich zu dem, was ich als den Kern der Schillerrezeption des 19. Jahrhunderts identifiziere: die fragmentarische Aufnahme seiner Schriften. Gerade die Glocke lässt sich aufgrund ihrer Struktur hervorragend in kleinere Stückchen zerlegen, die von dem Rezipienten dann, aus welchem Grund auch immer, rezitiert werden können. Besonders die mit der eher technisch gehaltenen Beschreibung eines Glockengusses verwobene idealisierte Beschreibung einer bürgerlichen Existenz, ist ein Steinbruch für Sinnsprüche, die sich auf relativ beliebige Situationen des täglichen Lebens anwenden lassen. Der damit einhergehende Gewinn ist, dass ganz gewöhnliche Lebensumstände einen Abglanz des Erhabenen erhalten. Darum fehlte dieses Gedicht auch nicht bei den zahlreichen, sehr beliebten Deklamationsabenden, an denen Teile schillerscher Dramen und Balladen vorgetragen wurden. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass, so lässt es sich aus Rezensionen der Zeit entnehmen, solche Deklamationsabende nicht etwa einem abstrakten Kunstgenuss dienen, sondern emotionale Rührung produzieren sollten. Die Bestätigung einer bürgerlichen Philosophie und das Gefühl, in einer gleichgesinnten Gemeinschaft aufgehoben zu sein, ist nicht etwa akzidentielles Nebenprodukt dieser Zusammenkünfte. Es kann vielmehr als angestrebtes und substantielles Moment für die Konstitution dieser gesellschaftlichen Sphären betrachtet werden. Die Deklamation des Schillerschen Textes [wird] zu einer wichtigen Form der öffentlichen Darstellung und Realisierung bürgerlich-familialer Emotionalität und Subjektivität7, konstatiert denn auch Ute Gerhard.

Doch die Darstellung eines bürgerlichen Ideals, das dann irgendwie rezipiert und appliziert wird, liegt vor der Feier dieser Darstellung. Darum kann es auch nicht verwundern, wenn Dichter wie Georg Büchner, die eine so zelebrierte Biederkeit zugunsten einer wirklichkeitsnahen Gestaltung dramatischer Gegenstände ablehnten, sich nicht allein gegenüber der Rezeption, sondern auch gegenüber der Dichtung Schillers reserviert verhielten. Aus seinem Brief vom 28. Juli 1835 wird ersichtlich, dass die moralisch und pathetisch überhöhten Anverwandlungen der bürgerlichen Schicht im 19. Jahrhundert auch auf fundamentale Ablehnung stoßen konnten. Büchner weist Dichtung als Transportmittel für moralisierende Appelle, ganz gleich welche, zurück. Aufgabe des Dichters sei es vielmehr, historische Umstände darzustellen, die Leute mögen dann daraus lernen8. Nicht ideal stilisiertes, dafür wirkliches Leben gelte es abzubilden. Ein Jugendfreund Büchners berichtet, dass dieser vieles gegen das Rhetorische in seinem [Schillers] Dichten9 einzuwenden gehabt habe. Diese Ablehnung kulminiert in Büchners Brief wie folgt:

Was noch die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben […]. Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe oder Shakespeare, aber sehr wenig auf Schiller.10

Die Haltung Büchners gegenüber Schiller kann man durchaus kritisieren. Denn Büchner sieht nicht, dass vor allem Schillers dramatisches Spätwerk bereits ähnliche Gegenstände behandelt wie sein [Büchners] Revolutionsstück [Dantons Tod], dass etwa die Wallenstein-Trilogie genau die Aporien des modernen geschichtlichen Handelns behandelt11, beurteilt Michael Hofmann diese Wertung Büchners. Interessant ist die Ansicht Büchners aber gerade deshalb, weil hier zwei Rezeptionslinien zusammenfließen, die gegen den Mainstream des 19. Jahrhunderts gerichtet waren: zum einen die Kritik an der sprachlich gefälligen Gestaltung der Werke Schillers und zum anderen die an der Nutzbarmachung der Dichtung für eine persönliche Moralvorstellung.

Dass die Ideen in Schillers Werken explizit nach Verwirklichung strebten, sie also eine auf die Welt und die in ihr herrschenden Lebensumstände gerichtete Stoßrichtung hatten, goutierte Heinrich Heine im Gegensatz zu Büchner: Schiller schrieb für die großen Ideen der Revolution12, stellt er befriedigt fest. In seiner romantischen Schule (1832–1835) vergleicht er Schiller im Folgenden mit Goethe und moniert, dass Goethe diesen bei Schiller festgestellten Weltbezug nicht in gleicher Weise in seinen Texten gestaltet habe.

Sie [Goethes Meisterwerke] zieren unser teueres Vaterland, wie schöne Statuen einen Garten zieren, aber es sind Statuen. […] die Goetheschen Dichtungen bringen nicht die Tat hervor, wie die Schillerschen. Die Tat ist das Kind des Wortes, und die Goetheschen schönen Worte sind kinderlos.13

Goethe herabzusetzen, beabsichtige er jedoch keineswegs. Denn jene Altarbilder der Tugend und Sittlichkeit, die Schiller aufgestellt, seien viel leichter zu schreiben als jene sündhaften, kleinweltlichen, befleckten Wesen, die Goethe gestaltet habe.14 Und dennoch schätzt Heine Schiller, weil er, aus seiner Sicht an dem Tempel der Freiheit15 gebaut habe. Dieses Motiv, Schiller als Herold freiheitlicher Bestrebungen zu lesen, wird im Rahmen der Schillerfeiern von 1859 in den Vordergrund rücken (vgl. Kap. 2).

Kehren wir zu dem zurück, was ich als den Kern der Rezeption des 19. Jahrhunderts betrachte: der bruchstückhaften Rezeption Schillers. Um zu zeigen, wie leicht es tatsächlich fällt, aus Schillers Werken Stammbuchstückchen16 herauszuklauben, die eine bürgerliche Philosophie bedienen, wie sie sich im 18. Jahrhundert allmählich entwickelte, möchte ich einige relativ willkürlich herausgegriffenen Sentenzen aus der Glocke17 wiedergeben. Diese Exzerpte sind auf beliebige Lebenssituationen anwendbar. Man konnte sie als Sinnsprüche lesen, die durch die hohe Anerkennung des Autors geadelte wurden, und so die (banale) Alltäglichkeit zu verbrämen vermochten.18

Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
[Der folgende Vers lässt sich bei Bedarf abtrennen:]
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang. –
[…]
[Das spezifisch bürgerliche Arbeitsethos schlägt sich wie folgt nieder:]
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.
[…]
Wo rohe Kräfte sinnlos walten, [da lässt sich allerlei zu sagen.]
[…]
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Eine solch fragmentarische Rezeption der Werke Schillers war nicht allein auf seine lyrischen Texte beschränkt. Aus seinen Dramen ließen sich nämlich auf ähnliche Weise Sentenzen extrahieren. So zum Beispiel das berühmte Geben Sie / Gedankenfreiheit! des Marquis Posa im Don Karlos (III, 10). Ein später Nachklang dieser im 19. Jahrhundert dominanten Rezeptionsweise ist eine von Marcel Reich-Ranicki in seiner Autobiographie berichtete Anekdote, die dieses Zitat betrifft. Reich-Ranicki lebte bis 1938 in Berlin. Ende 1938 wurde er, weil er polnischer Staatsbürger war und zu allem Überfluss auch noch Jude ist, aus dem Deutschen Reich ausgewiesen. 1937 konnte er allerdings noch die Inszenierung des Don Karlos am Deutschen Theater in Berlin sehen. Das Stück habe vor allem deswegen Furore gemacht, berichtet Reich-Ranicki, weil es im Anschluss an Posas Forderung nach Gedankenfreiheit so lauten Beifall gegeben habe, dass zunächst an ein Weiterspielen auf der Bühne nicht zu denken gewesen sei.19 Zeichenhaft ist diese Anekdote deswegen, weil hier ein aus dem direkten Kontext gelöstes Zitat zur Deutung aktueller politischer Umstände verwendet wird. Denn auch Reich-Ranicki erhellt den genaueren Textzusammenhang nicht, in dem Zitat und Personen im Don Karlos stehen. Zum einen wohl, weil er davon ausgeht, dass seine Leser diesen sowieso kennen (was bestimmt nicht auf alle zutrifft); zum anderen, weil der Ausspruch für sich stehen und aus sich Bedeutung entwickeln kann. Dass er im Kontext des Nationalsozialismus gar nicht so falsch ist, schließlich apostrophiert Posa einen Herrscher, der sein Land mit harter Hand führt20, kann man als glücklich bezeichnen. Ignoriert wurde damals allerdings, dass der Gewährsmann der Gedankenfreiheit im Drama ermordet wird und am Ende keineswegs die angemahnte Freiheit steht. Als habe man ein Zeichen für die große Desillusionierung im Jahre 1937 geben wollen – so wirkt es, wenn dieses Publikum dem gescheiterten Helden Posa applaudiert.

Clemens Brentano kritisierte solche, nur ein Fragment wahrnehmende Schillerrezeption bereits 1811 aufs Schärfste. Die Philister, so Brentano,

würgen das Zeug aus Hoffahrt ungekaut hinunter; und je größer sich ihr Autor brocken läßt, je heftiger würgt sie der Bissen, und je größer ist der Genuß, drum lieben sie den herrlichen Schiller vorzüglich, weil sie seine sentenziöse reflektierende Diktion in lauter Stammbuchstückchen zerknicken und verschlingen können.21

Dieses Verhalten, Schillers Texte wegen der besseren Bekömmlichkeit zu pürieren, grassierte im ganzen 19. Jahrhundert in Formen, die heute so kaum noch denkbar sind. Es erschienen Sentenzensammlungen, deren Titel bereits auf die Art und Weise der Rezeption verweisen. Einige Beispiele22: Schiller’s Aphorismen, Sentenzen und Maximen, über Natur, Kunst, Welt und Menschen (1806). Das Wort Maximen bezeichnet die vom Herausgeber intendierte Aufgabe, die das Werk erfüllen sollte: dem Leser Lebensregeln zu geben. Diese können dann je nach Bedarf in der entsprechenden Kategorie schnell aufgefunden werden. Die private Sphäre hinter sich lassend, dafür in eine klar politisch-nationale Richtung zielend, verfährt der Titel Schillers Kraftsprüche für Deutsche auf die jetzigen Zeitumstände passend (1814). Gerade wegen des nationalistischen Pathos, der aus diesem Titel spricht, scheint mir hier ein Punkt erreicht, an dem die Genese eines Klassikers zu beobachten ist. Auf die Frage, was ein Klassiker sei, stellt J. M. Coetzee fest: The classic defines itself by surviving.23 [Der Klassiker definiert sich durch sein Fortbestehen.] Dabei sei es zusätzlich wichtig, dass der Klassiker einerseits immer wieder hinterfragt werden müsse und andererseits nicht schutzbedürftig sein dürfe. Wäre er das letztere, könne er sich selbst nicht als Klassiker beweisen. Im Kontext der Geschichte der Schillerrezeption sind Coetzees Ausführungen über die Klassikerwerdung des Barockkomponisten Johann Sebastian Bach (1685–1750) von Bedeutung. Zunächst müsse man feststellen, dass Bachs Werk nach seinem Tod nahezu vollkommen vergessen worden sei. Tatsächlich gelte dies nur für die Aufführung seiner Kompositionen vor großen, öffentlichen Auditorien. Die endgültige Wiederbelebung seiner Musik falle in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da sei zum einen die Aufführung der Matthäus-Passion von 1829 in Berlin unter der Leitung von Felix Mendelssohn zu nennen und zum anderen eine Buchveröffentlichung, an deren Titel man erkennt, wie der Barockkomponist und Klassiker Bach in einen neuen historischen Kontext eingepasst wird. Es handelt sich um Johann Nikolaus Forkels Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerk: für patriotische Verehrer musikalischer Kunst von 1802. Wie es der Titel schon sagt, liest Forkel die Person Bachs als einen Deutschen, auf den das Vaterland stolz sein müsse und dessen Werk in seiner Güte unvergleichlich gegenüber dem sei, was Musiker anderer Nationen geschaffen haben. Wenn Coetzee schreibt: […] the classic is that which is not time bound, which retains meaning for succeeding ages24 [der Klassiker ist nicht an eine Zeit gebunden, er behält in späteren Zeitaltern Bedeutung], dann heißt dies implizit, dass der Klassiker nicht derselbe bleiben kann, der er immer war. Denn jede Zeit ist von einer darauffolgenden hinsichtlich ihrer sozialen oder politischen Struktur verschieden. Trotzdem lässt sich das klassische Werk immer wieder neu, das heißt unter neuen Bedingungen, lesen respektive hören. Was dann als Klassiker auf die Bühne tritt, ist nicht der Klassiker, wie er sich seinen Mitlebenden darstellte, sondern ein Produkt der Zeit der jeweiligen Klassikerrezeption. Im Falle Bachs ein Klassiker für patriotische Verehrer musikalischer Kunst. Die Anverwandlung der Person Bachs als nationalen Heros, wie sie in Forkels Buch zu lesen ist, ist ein Moment, dass auch in der Rezeption Schillers auftaucht. Vielleicht ist also die Zerstückelung der Werke Schillers und ihre Einpassung in andere Zusammenhänge ein Indiz dafür, dass hier, in dieser Zeit ein Klassiker geboren wird. Diese Feststellung wiederum rührt an die Tatsache, dass die ganze Epoche der Weimarer Klassik ein Konstrukt der Nachlebenden ist (für das Goethe und Schiller nicht unwesentlich mitverantwortlich waren25). Wilhelm Voßkamp: Die Einheit der Epoche wird erst in der Rezeption dieser Periode erzeugt.26

Auf eine letzte Sammlung von schillerschen Sentenzen Anfang des 19. Jahrhunderts möchte ich noch kurz eingehen. Beantwortung aus der Religion aufgeworfener Fragen durch Sprüche aus Schillers Werken (1832) führt die Absurdität der fragmentarischen Aktualisierung von Schillers Dichtung überdeutlich vor Augen. Es handelt sich bei dieser Sentenzensammlung um einen Katechismus, also eine Sammlung religiös motivierter Fragen, denen jeweils eine Antwort zugeordnet ist. Womit drohten Ihm [Jesus] aber deswegen die Priester und Pharisäer?, fragt es da beispielsweise. Die dazu passende Antwort aus der Bürgschaft: Das sollst du am Kreuze bereuen.27 Konnte man den Ausruf des Marquis Posa noch relativ ungebrochen in das politische Umfeld von 1937 überführen, so bleibt hier als Vergleichspunkt nur das Schillerwort, losgelöst, für sich stehend. Dass der König am Ende der Ballade durch die ihm vor Augen geführte starke Freundschaftsbindung (recht schwach motiviert) zu einer grundverschiedenen Haltung bekehrt wird und niemand irgendetwas am Kreuze bereuen muss, lässt sich mit der Beschreibung von Jesu Leben überhaupt nicht mehr in Einklang bringen. Heute könnte man solche Publikationen als mehr oder weniger gelungene Parodien auffassen. Damals müssen derartige Bücher in bestimmten Kreisen durchaus ernst genommen worden sein.

Wo hoher Ton ist, ist die Parodie nicht weit. Parodistische Umdichtungen schillerscher Werke gab es bereits früh. Dass die Haltung der Familie Schlegel gegenüber Schiller persönlich28 und auch mitunter gegenüber seinem Werk mitunter durchaus kritisch war, habe ich oben schon gezeigt. Die von Caroline Schlegel getadelten Humboldeschen Weiblichkeiten29 in Schillers Musenalmanach sind eine Anspielung auf Schillers Gedicht Würde der Frauen, das in dem Almanach, über den Schlegel sich mokiert, abgedruckt war.30 Anhand der folgenden Parodie auf das Gedicht wird deutlich, warum sich Schillers Werke so gut dazu eigneten, persifliert zu werden. Zunächst der Text Schillers:

Würde der Frauen

Ehret die Frauen! Sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irrdische Leben,
Flechten der Liebe beglückendes Band.
Sicher in ihren bewahrenden Händen
Ruht, was die Männer mit Leichtsinn verschwenden,
Ruhet der Menschheit geheiligtes Pfand.
 
Ewig aus der Wahrheit Schranken
Schweift des Mannes wilde Kraft,
Und die irren Tritte wanken
Auf dem Meer der Leidenschaft.
Gierig greift er in die Ferne,
Nimmer wird sein Herz gestillt,
Rastlos durch entlegne Sterne
Jagt er seines Traumes Bild.

Und nun die Parodie von August Wilhelm Schlegel, die in seinem Nachlass entdeckt und 1846 zum ersten Mal gedruckt wurde:31

Schillers Lob der Frauen
Parodie.

Ehret die Frauen! Sie stricken die Strümpfe,
Wollig und warm, zu durchwaten die Sümpfe,
Flicken zerrißene Pantalons aus;
Kochen dem Manne die kräftigen Suppen,
Putzen den Kindern die niedlichen Puppen,
Halten mit mäßigem Wochengeld haus.
 
Doch der Mann, der tölpelhafte
Find’t am Zarten nicht Geschmack.
Zum gegohrnen Gerstensafte
Raucht er immerfort Taback;
Brummt, wie Bären an der Kette,
Knufft die Kinder spat und fruh
Und dem Weibchen, nachts im Bette,
Kehrt er gleich den Rücken zu. u.s.w.32

Schlegels Parodie ist eine Eins-zu-eins-Nachbildung der Struktur des Gedichts von Schiller. Sowohl die Reime als auch das Versmaß werden beibehalten. Den Schwere, Erhabenheit und Würde symbolisierenden Daktylen aus der ersten Strophe stehen die beweglicheren und dadurch auch leichter und beschwingter wirkenden Trochäen der zweiten Strophe gegenüber. Inhaltlich bleibt auch in der Parodie die erste Strophe dem weiblichen und die zweite dem männlichen Part vorbehalten. Die Parodie ergibt sich aus der Kontrastierung dieser elaborierten Struktur und dem großen inhaltlichen Anliegen (Ehret die Frauen!) des Originaltextes mit der grobschlächtigen Wirklichkeit. Schlegel übernimmt beispielsweise das Bild der Handarbeit, das bei Schiller metaphorisch gebraucht wird, und überführt es in seinen eigentlichen Bedeutungsbereich. Analog wird das hochfliegende Streben des Mannes im Gedicht von Schiller (Jagt er seines Traumes Bild) zu einer geschmacklosen Sauftour, an deren Ende ein übel gelaunter, gewalttätiger und liebloser Kerl steht. Der hohe Ton und das große Anliegen Schillers werden mit dem Boden der Tatsachen konfrontiert. Dieser krasse Gegensatz macht die Parodie.33 Und weil sich solche Gegensätze in Schillers Werk permanent finden, weil Schiller nahezu immer den höchstmöglichen Ton wählte34 – auch während der Deklamation seiner eigenen Texte, was schon seine Zeitgenossen konsternierte35 –, eignet sich sein Werk so gut zur Parodie.

In Anbetracht all dessen kann man sagen, dass sich Schillers Art zu schreiben, (zumindest partiell) gegen ihn kehrte. Der oftmals hohe Ton seiner Dichtung, bot Anlass zur Parodie (Caroline Schlegel 1799 über die Glocke: Die ließe sich herrlich parodiren36). Und die Möglichkeit, sinnvolle Sprüche aus seinen Texten zu exzerpieren, leistete der Anwendung auf beliebige außerliterarische Gegenstände Vorschub. Der Hinweis von Rolf-Peter Janz, dass eine Parodie nicht unbedingt das Werk Schillers, sondern vielleicht auch die Art der Rezeption zu treffen beabsichtigt, scheint mir in diesem Zusammenhang durchaus bedenkenswert.37 Denn die außerordentliche sprachliche Fähigkeit, knappe und eingängige Sentenzen zu finden, ermöglichte die Zerstückelung von Schillers Werktexten. Diese Zerstückelung führte schließlich dazu, kleinste Exzerpte seiner Dichtung für Bestrebungen zu instrumentalisieren, die sich aus dem Text nicht ohne weiteres ergeben – wenn man ihn denn im Werkkontext betrachtet. Die Möglichkeit, Textschnipsel zu exzerpieren, dürfte wiederum ein wesentlicher Anreiz im Prozess der Klassikerwerdung Schillers gewesen sein, konnte sein Werk doch mithilfe dieses Verfahrens immer wieder aktualisiert werden. Eine Parodie kann also auch gegen solche Zerlegungen und Nutzanwendungen gerichtet sein; nicht nur gegen das Original. Interessanterweise finden sich auch unter Schillers Zeitgenossen schon Vorwürfe, Schiller sei für diese Applikation seiner Texte mitverantwortlich. Und zwar durch seinen spezifischen, populistischen Stil, Dramen zu schreiben. Das zumindest moniert Ludwig Tieck: […] diese Monologe, Schilderungen und lyrischen Ergüsse würden zu einer isolierten Deklamation nachgerade auffordern.38 Ganz gleich, wie es dazu kam. Die Tatsache, dass eine isolierte Deklamation feststellbar ist, kann willkommener Anlass für eine Parodie sein.

2 Die Schillerfeiern von 1859

Ein Beispiel für die Instrumentalisierung, sprich: Nutzanwendung der Dichtung Schillers, wie sie sich auch in den oben (Kap. 1) erwähnten Sentenzensammlungen niederschlug, sind die größten Feierlichkeiten, die Schiller bis heute zuteil wurden: die zu seinem hundertsten Geburtstag von 1859. In mindestens 440 deutschen und 50 ausländischen Städten wurden Festprogramme zu Ehren des 1749 geborenen Dichters organisiert. In einigen kam es zu nachgerade riesigen Festumzügen: 40–50.000 Menschen in Berlin, 17.000 in Hamburg, 10.000 in Leipzig… Symptomatisch für die im vorhergehenden Kapitel beschriebene Art der Rezeption des dichterischen Werks ist, dass der enthusiasmierte Festbesucher auch adäquate Devotionalien erstehen konnte: Schiller-Tassen, Schiller-Zigaretten, Schiller-Seifen… Möglichkeiten, sich der Präsenz des Dichters überall zu erfreuen.

Gegenüber den von großem Pathos getragenen Feierlichkeiten verhielten sich die staatlichen Behörden allerdings reserviert. Warum? Nun, weil die Umzüge einen gesellschaftspolitischen Charakter anzunehmen drohten. Und diesen hatten sie letztlich auch: Hinter der Geburtstagsfeier stand der auf einer breiten Basis fußende Versuch, Schiller als deutschen Nationaldichter zu instrumentalisieren und ihn zu einem Genius zu stilisieren, der die nationale Einheit Deutschlands vorgedacht habe. Die skurrilen Details, die im Schlepptau dieser Feierlichkeiten auftauchten, verweisen, wenn man die politische Bedeutung der Feier berücksichtigt, auf eine ernst zu nehmende Funktion, die die Omnipräsenz von Schiller, gedacht als Avantgardisten einer nationalen Einheitsbestrebung, übernahm. Ute Gerhard spricht von der Möglichkeit einer notwendigen neuen kulturellen Integration der sich im neunzehnten Jahrhundert weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft39, die durch ein solches kulturelles Verhalten gegeben wird. Das integrative Moment der steten Bezugnahme auf Schillers Dichtung und Person besteht also nicht nur auf einer makropolitischen Ebene: dem Wunsch, staatliche Einheit zu erlangen. Auch sozialpolitisch wird versucht eine gesellschaftliche Einigung zu befördern, indem jedermann ein und denselben Bezugspunkt hat. Schillers Sprache wird zu einer gemeinsamen, allgemeingültigen Sprache. Schillers Denken wird zu einem gemeinsamen, allgemeingültigen Denken.

Der »Deutscher Bund«
Abb. 1: Die Grenzen des Deutschen Bundes von 1815 (Quelle)

Um die Aspirationen national gesinnter bürgerlicher Kreise besser zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, wie die politische Situation 1859 in Deutschland aussah. Nach den so genannten Befreiungs­kriegen, die die napoleonische Ära in Europa 1815 beendeten, stellte sich die Frage, wie dieses territorial und politisch durcheinandergewürfelte Europa neu geordnet werden sollte. Infolge der Beschlüsse des Wiener Kongresses wurden die deutschen Staaten 1815 im Deutschen Bund zusammengefasst. Dieser Bund besaß sogar eine zentrale politische Institution: der Bundestag in Frankfurt unter Vorsitz Österreichs. Wichtig ist aber (1.), dass es sich bei dem Bundestag nicht um eine Volksvertretung handelte. Der Bund konnte zwar in die politischen Belange der deutschen Einzelstaaten eingreifen, diese blieben aber weitestgehend souverän. Ferner gehörten (2.) nicht alle deutschen Staaten mit ihrem gesamten Territorium dem Deutschen Bund an: im Falle Preußens West- und Ostpreußen sowie Posen, im Falle Österreichs Ungarn, Galizien usw. Schließlich zählten (3.) zu den 35 Fürsten, die dem Bund angehörten, auch die Könige von Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden. Dass der Deutsche Bund politisch höchst uneinheitlich war, dürfte in Anbetracht dieser Konfiguration nicht weiter verwundern. In den Einzelstaaten des Bundes herrschten weiterhin Fürsten, die zwar in einigen Fällen am Anfang der Restaurationszeit Verfassungsversprechen äußerten, diese aber oft nicht einhielten. Das sich allmählich emanzipierende Bürgertum erhielt somit keinen Zugang zur politischen Macht in den Einzelstaaten. Ganz im Gegenteil kam es zu massiven Einschränkungen der Pressefreiheit (1819 Karlsbader Beschlüsse) und einer verschärften Unterdrückung nationalstaatlicher Bestrebungen, wie sie zum Beispiel während des Hambacher Fests von 1832 lautstark geäußert wurden. Die Märzrevolution von 1848, die eine reelle Chance auf eine weiterführende Einigung, ja vielleicht gar Einheit der deutschen Staaten eröffnete, scheiterte: Im März 1849 lehnte Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, die ihm angetragene Kaiserwürde ab; Begründung: an ihr hafte der Ludergeruch der Revolution. Im Juni desselben Jahres wird das Stuttgarter Rumpfparlament mit militärischer Gewalt gesprengt. Der mittlerweile festverwurzelte Wunsch nach nationaler Einheit, besteht im Bürgertum allerdings fort.

Dieser Wunsch wurde im Rahmen der Schillerfeiern von 1859 erneut deutlich vernehmbar geäußert. Um diese politische Haltung zu verdeutlichen, möchte ich ein Gedicht von Wilhelm Raabe zitierten, das dieser anlässlich der Schillerfeiern in Wolfenbüttel (bei Braunschweig) schrieb:

Zum Schillerfest

I
 
Die Zeit ist schwer! Dumpf grollt des Volkes Klagen:
Will nie der Morgen ob den Wassern tagen?
Die Zeit ist schwer! Wann kommt der Strahl der Sonnen?
Wann haben wir den neuen Tag gewonnen?
 
Die Zeit ist schwer! In Millionen Herzen
Bewegt sich neu das alte Wort der Schmerzen:
O Vaterland – so klingt es fort beständig –,
Nicht tot bist du und bist doch nicht lebendig!
 
Wird nie ein Retter kommen diesem Lande?
Wird kein Befreier lösen unsre Bande?
Wird der Messias nie erscheinen in der Welt?
Wird nie der Baum blühn auf dem Walserfeld?
 
So geht es um in aller Städte Mauern,
In Wald und Feld, bei Bürgern und bei Bauern,
Bei reich und arm, bei Männern und bei Frauen –
Tiefinnre Hoffnung und geheimstes Grauen!
 
Schwer ist die Zeit, doch hat sie gute Zeichen;
Es will die Nacht dem lichten Morgen weichen.
Nicht stets gehört die Zeit den Neidern und den Hassern,
Denn Gottes Geist, der schwebt ja auf den Wassern!
 
II
 
Es galt in unserm Volk einst diese Sitte:
Ward in Gefahr ein Fürst gewählet in der Mitte
Der Besten, hob man ihn laut jauchzend auf den Schild
Und zeigte so in ihm dem Volk des Volkes Bild.
 
Und so auch jetzt! In diesen bösen Tagen
Ward neu die Art der alten Heldensagen:
Der Freiheit Sänger auf den Schild gehoben,
Wie hält das Vaterland so hoch, so stolz ihn droben!
 
Um einen Führer scharen sich die Stämme,
Die Schranken fallen ein, gebrochen sind die Dämme;
Der Franken Herz, das Herz der Schwaben, Bayern, Sachsen,
Zum Herz des Vaterlands in ihm zusammenwachsen!
 
Das Deutsche Reich, so ist’s noch nicht verloren,
Der Deutschen König ist aufs neue so erkoren,
Des Geistes Reich aufs neue fest gegründet,
Des Geistes Volk zum Kampf und Sieg verbündet!
 
Schwer ist die Zeit, doch gut sind ihre Zeichen,
Wohl muß die Nacht dem Licht der Sonne weichen!
Nicht mehr gehört die Welt den Neidern und den Hassern,
Ja, Gottes Geist schwebt immer auf den Wassern!
 
Die Glocken hallen und die Banner wehen
Dem großen Feste, das wir heut begehen!
Die Herzen schlagen und die Augen glänzen
Dem stolzen Bilde, das wir heut bekränzen
Am Krönungstag des Geists, in Tat, in Wort, in Liedern –
Ein einig einzig Volk, ein einzig Volk von Brüdern!40

Das Gedicht kann interessanterweise nicht nur als Laudatio anlässlich des gefeierten Dichtergeburtstags gelesen werden. Vielmehr schlägt sich in ihm auch ein Bezug auf die aktuellen politischen Umstände nieder. Und diese Umstände werden negativ bewertet: Die Zeit ist schwer! Von diesen als Pein erlebten schweren Zeiten wird Erlösung erhofft. In der dritten Strophe wird, ein wenig versteckt und mittelbar, auf Schiller selbst Bezug genommen, und zwar – was könnte besser passen? – auf seinen Wilhelm Tell, der, nicht zu Unrecht, als Freiheitsdrama verstanden wird. Zum einen ist die einleitende Frage Wird nie ein Retter kommen diesem Lande? ein freies Zitat aus dem Schauspiel Schillers. Am Ende der ersten Szene des ersten Akts ruft der Fischer Ruodi aus:

Gerechtigkeit des Himmels!
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?

Zum anderen verweist das erwähnte Walserfeld auf die Schweiz als Region und somit auch auf den im Wilhelm Tell dargestellten Freiheitskampf der Schweizer (Walser heißt die aus dem schweizerischen Oberwallis stammende, Alemannisch sprechende Bevölkerung). Der Messias, nach dem hier fragend gesucht wird, ist allerdings nicht die Figur Wilhelm Tells, sondern natürlich Schiller, dessen Person folglich mit der Figur des Freiheitskämpfers aus seinem Drama in eins gesetzt wird. Ferner verweist das Schlagwort Messias auf die Divinität, die im letzten Vers der fünften Strophe wieder erscheint. Das Bild evoziert den beginnenden Akt der Schöpfung, wie er in Gen. 1,2 (und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser) dargestellt wird. Hier steht es allerdings für die dichterische Schöpfung, das dichterische Schaffen Friedrich Schillers. So rückt in Raabes Gedicht die Person des Dichters als auch ihr poetisches Schaffen in einen über das gewöhnliche Sein erhabenen Kontext. Der Dichter wird zu einem Gesandten Gottes transformiert, der die Fähigkeit besitzt, eine neue Offenbarung zu spenden. Seine dichterische Schöpfung verwandelt sich dabei in eine staatspolitische. Denn ein freiheitliches, national-begeistertes Pathos durchweht den ganzen zweiten Teil des Gedichts und kulminiert in einer Apostrophe an das geknechtete Volk: Ein einig einzig Volk, ein einzig Volk von Brüdern!, eine starke Anlehnung an den Rütli-Schwur im Tell.41

Darüber hinaus ist im Text eine nachgerade demokratische Grundeinstellung enthalten. Denn betont wird nicht nur, dass man einen neuen Primus suche, sondern auch, dass er – in gut mittelalterlicher Tradition (das deutsche Königtum war, zumindest in der Theorie, immer ein Wahlkönigtum) – vom Volk bestimmt wird. Dieser so erhobene neue Primus würde als Repräsentant derjenigen fungieren, die ihn erhoben haben, und zeigte so in ihm dem Volk des Volkes Bild. Dieser Umstand wird offenbar nicht nur hervorgehoben, um den Akt der Dichtererhebung, der in der folgenden Strophe Thema ist, mit einer langen Tradition zu vergleichen. Dadurch, dass eine solche Kür als etwas beschrieben wird, das einst […] Sitte war, transportiert diese Aussage zugleich die Feststellung, dass die erinnerte Tradition verloren gegangen ist. Somit liegt hier ein Fall impliziter Fürstenkritik vor; Kritik an den derzeitigen Herrschern, die dem Volk nicht mehr des Volkes Bild zeigen. Diese, im Grunde vakante Herrschaft wird nun symbolisch durch den frei gewählten Repräsentanten des Volkes, den einen Führer, um den sich alle sammeln, also Schiller, neu besetzt. Die Dichterkrönung mutiert zu einer Herrscherkrönung (Der Deutschen König ist aufs neue so erkoren). Seine Würde aber erhält er dadurch, dass er der Freiheit Sänger ist. Schiller wird mithin als avantgardistischer Präzeptor (praeceptor, qui praecepit; der Lehrer, der es vorweggenommen hat) der nationalen Bewegung gedeutet. Er ist das Herz des Vaterlandes, um das sich alle Gleichgesinnten sammeln.

Dieses Beispiel erhellt, wie die Feierlichkeiten 1859 (1.) als Moment der Kompensation für eine 1848 nicht erlangte nationale Einheit fungierten. Klar wird auch, dass in ihnen (2.) der Versuch unternommen wird, die bürgerlichen Kräfte Deutschlands noch einmal zu bündeln, um einen erneuten Anlauf auf dem Weg zur staatlichen Einheit zu unternehmen.42 Und diese den Feiern zu Schillers hundertsten Geburtstag zugrunde liegenden Absichten ließen sie aus Sicht der staatlichen Behörden so gefährlich erscheinen. Zugleich lässt sich sagen, dass im Zuge der Feiern keine kritische Rezeption von Werk und Person stattgefunden hat. Man knüpfte vielmehr an die fragmentarische Rezeption an, über die ich bereits oben (Kap. 1) geschrieben habe. Schiller wurde werkfern für aktuelle politische Absichten instrumentalisiert. Indem man ihn in einen Praeceptor Germaniae verwandelte, wird seine Person zum Klassiker. Aus diesem Grund trifft es vollkommen zu, wenn Dorothee Rösenberg feststellt:

In Deutschland hat die nationale Mythisierung der Klassiker die politische Einheit mitgestaltet. Auf sie können sich auch so verschiedene Länder wie Preußen, Sachsen und Bayern einigen.43

Man kann demnach Coetzees oben zitiertes Diktum The classic defines itself by surviving44 erweitern und sagen: The classic defines itself by surviving and by its political impact at some future date.

Eine politisch-nationale Adaption der Dichtung Schillers ist im 19. Jahrhundert nicht nur in Deutschland zu beobachten. Unter anderen Vorzeichen, aber trotzdem ähnlich, nur chromatisch verschoben, lassen sich solche Rezeptionslinien auch in anderen europäischen Ländern nachweisen. So in Polen, das nach den drei Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts (1772, 1793, 1795) territorial nicht mehr existent war und nach 1815 nur als unselbständiger Vasall Russlands vegetierte; so in den Ländern Südosteuropas, in denen das Streben nach nationaler Selbständigkeit in dieser Zeit entsteht; so im Italien des Risorgimento, also in der Zeit, in der um die Herstellung nationaler Einheit gerungen wurde (ca. 1815–1870). Die Opern Rossinis (Guillaume Tell, 1829) und Verdis (Giovanna d’Arco, 1845; I masnadieri [Die Räuber], 1847; Luisa Miller, 1849; Don Carlo, 1867) haben für die gesamteuropäische Kultur in diesem Zusammenhang wohl die größten Auswirkungen.

3 Monumentalisierung und Enthistorisierung Anfang des 20. Jahrhunderts

Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 und nach der Fundamentalkritik Nietzsches an Schiller, lässt sich eine Veränderung in der Rezeption des Klassikers beobachten: Monumentalisierung und Enthistorisierung45. Nietzsche hatte Schiller in seinen 1888 erschienenen Streifzügen eines Unzeitgemäßen in das Panorama seiner Unmöglichen eingereiht. Und zwar als Moral-Trompeter von Säckingen. In dieser Sottise Nietzsches bündeln sich die Traditionsstränge, die ich oben bereits aufzuzeigen versuchte. Einerseits liegt hier, bis zu einem gewissen Grad, eine Parodie vor. Parodie ist Nietzsches Sentenz deshalb, weil das große moralische Anliegen Schillers mit dem durch und durch unpathetischen Boden der Tatsachen konfrontiert wird – vergleichbar mit der Parodie Schlegels auf Schillers Würde der Frauen. Andererseits wendet sich Nietzsche gegen die populäre Rezeption Schillers als Moralisten, wenn er das Versepos von Viktor von Scheffel (Der Trompeter von Säckingen, 1854) herbeizitiert. Dieser von Scheffel eigentlich nicht ernst gemeinte Versroman wurde nach der Deutschen Reichsgründung zu einem der beliebtesten Werke der Zeit. Vielleicht gerade deswegen, weil es die gedankliche Flucht in eine positive, wenn auch rau daherkommende Welt ermöglichte, die sich aus Saufgelagen und erfülltem Liebesglück zusammensetzt. In Verbindung mit dem großen, auch technologischen Neuerungsschub, den Deutschland in dieser Zeit erlebte, sind wohl die kontrastiv-komplementären Ängste, die jede Modernisierung in sozialen Systemen hervorruft, wachgerüttelt worden. Dass die bürgerliche Welt dieser Zeit moralischen Halt in einer seichten, literarisch minderwertigen Epigonie (Scheffel lehnte sich an Heines Atta Troll an) suchte, mag für Nietzsche der Anlass gewesen sein, dem Werk Scheffels reserviert gegenüberzustehen. Die bereits oben in Kap. 2 beschriebenen Vereinnahmungsversuche des Dichters und seines Werks für zeitgenössische moralische und politische Überzeugungen mag dann zu der Sottise vom Moral-Trompeter geführt haben. Hofmann gibt einen anderen Grund an. Er spricht von einer Konkurrenzsituation46, die zwischen beiden Autoren, Nietzsche und Schiller, bestanden habe. So sei Nietzsches Diktum, dass nur als ästhetisches Phänomen das Dasein der Welt gerechtfertigt ist, eine radikalisierende Weiterentwicklung von Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung47 gewesen.

1905 war wieder ein Jubiläumsjahr: Schillers 100. Todestag. Die Feierlichkeiten zu Ehren des Dichters waren allerdings nur noch ein matter Abglanz derjenigen von 1859. Dennoch fällt auf, dass in dieser Zeit die Person Schillers in der Wahrnehmung der Rezipienten oftmals in eine Monumentalgestalt transformiert wurde. Ein Grund dafür, dass man sich auch in Festreden, vor allem auf die Person Schillers und, zum Beispiel, auf ihre Beziehung zu Goethe konzentrierte, und somit zugleich das eigentliche Werk vernachlässigte, mag die veränderte Poetik der Zeit gewesen sein. Ein Vorwurf, der Schiller oft gemacht wurde, war, dass die Personen in seinen Dramen eher blass blieben und ihr Handeln nur wenig motiviert sei.48 Bestrebungen, Schauspiele weltnah zu gestalten, wie es sie spätestens seit Georg Büchner gab (vgl. Kap. 1), hatten seit Ende des 19. Jahrhunderts eine neue poetische Schule entstehen lassen: den Naturalismus. Könnte man die Motivation von Dramenfiguren mithilfe einer Skala messen, würde Schiller gegenüber Hauptmann und Ibsen tatsächlich schlecht abschneiden. Darum vielleicht die starke Fokussierung auf die Person.

Symbolisch für diesen erneuten Transformationsvorgang kann ein seltsam humorloses Gedicht von Wilhelm Busch stehen, das anlässlich des Jubiläums von 1905 entstanden ist:

Schiller

Früh starb er. Seine kargen Zeitgenossen,
Sie hatten ihn, den Kranken, schlecht gepflegt.
Doch was in ihm, dem tiefsten Grund entsprossen,
Zum Lichte strebend, mächtig sich geregt,
Er hat’s in Formen höchster Kunst gegossen
Und seinem Volke dauernd eingeprägt.
So schreitet nun, gesegnet und bewundert,
Sein Genius von Jahrhundert zu Jahrhundert.49

Schiller wird, der Gattung des Lobgedichts durchaus entsprechend, in entrückte Sphären erhoben. Trotz der Widrigkeiten der Zeit (Seine kargen Zeitgenossen, / Sie hatten ihn […] schlecht gepflegt) habe er es vermocht, seine Kräfte so zu bündeln, dass er das Höchste erreichen konnte. Im Bild vom Zum Lichte strebend[en] Dichter wird das Motiv der geistigen Erleuchtung auf Schiller angewendet. Diese, auch im Kreuzreim der ersten sechs Verse gespiegelte, zwiespältige Einstellung der Zeitgenossen gegenüber Schiller löst sich im abschließenden Paarreim so auf, dass man das Gefühl bekommt, einer Apotheose beizuwohnen: Jetzt ist sein Werk zu etwas rein Geistigem, etwas Ideellem, etwas Göttlichem geworden, das sich bis in alle Ewigkeit fortzeugt. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass auch von Busch die nationale Lesart Schillers wieder aufgegriffen wird: seinem Volke habe Schiller seine Kunst dauernd eingeprägt, und nicht, beispielsweise, allen Zeiten.

In Thomas Manns Erzählung Schwere Stunde50, die aus demselben Anlass wie das Gedicht von Busch entstand, findet sich ein ähnliches Schillerbild. Man könnte auf den ersten Blick meinen, dass Mann sich hier dem reinen Menschen Schiller nähert. Die kleine Erzählung ist aber wohl eher als eine Annäherung an den reinen Menschen Thomas Mann zu lesen. Das Bild des Dichters, das hier entworfen wird, ist auf jeden Fall interessant, deckt es sich doch mit Tendenzen der Rezeption, wie sie seit spätestens 1900 festzustellen sind, in mancherlei Hinsicht. Als eine Annäherung an den reinen Menschen Schiller könnte man Schwere Stunde insofern verstehen, als Thomas Mann ihn am Anfang der Erzählung (hier liegt übrigens eine Parallele zu Busch vor) als kranken, leidenden Mann charakterisiert. Die Dürftigkeit seines Zimmers korrespondiert mit der Abgezehrtheit seiner körperlichen Konstitution. Die dargestellten Leiden sind aber nicht nur körperlicher Natur, sondern auch Schriftstellernöten – nicht à la Heine, sondern im Sinne einer Schreibblockade. Das gerade im Schaffen begriffene Werk, die furchtbare Aufgabe, bedrängt ihn nicht nur, sondern wird auch an etwas Metaphysisches gekoppelt, es ist eine unglückselige und der Verzweiflung geweihte Empfängnis. Schiller, der krankende, durch Leiden bedrängte Mensch von dieser Welt, wird durch das Wort Empfängnis an eine transzendente Entität gekoppelt. Mann verleiht dem Dichterkollegen die Physiognomie eines Messias. Allerdings mündet auch diese literarische Gestaltung Schillers in ein überschwängliches Lob auf den Dichter, auf seine Erhabenheit, im Dienste von irgend etwas Hohem, auf seine geistige Verpflichtung und seinen inneren Zwang:

Die Ausschweifungen seines Jugendmutes, die durchwachten Nächte, die Tage in tabakrauchiger Stubenluft, übergeistig und des Leibes uneingedenk, die Rauschmittel, mit denen er sich zur Arbeit gestachelt – das rächte, rächte sich jetzt! […] Er hatte gelebt, wie er leben mußte […].

Diesem Muss kann Schiller schließlich folgen: Nach seiner schweren Stunde vermag er es, neue Werke […] in heiliger Form zu schreiben. Die so beschriebene Erhabenheit wird mit fundamentalen Ichzweifeln, die ihn plagen, kontrastiert. Die Frage nach der Geltung des Werks wird zu einer Frage nach der Geltung der eigenen Person, besonders wenn er bedenkt, dass der dort, in Weimar (i. e. Goethe) auch noch da ist. Am Ende steht der Wille zum Schweren, die Sendung, die er erfüllen muss und kann.

Einen ähnlich göttlichen Schiller konzipiert Thomas Mann auch noch am Anfang seiner Schillerrede von 1955: […] dieser Geist war und ist die Apotheose der Kunst51, heißt es da; und sein Wesen zeichne sich durch eine Großheit, generös, hochfliegend, flammend, emporreißend, weltallstrunken und menschheitlich-kulturpädagogisch, männlich in alldem aufs höchste52, aus. Das Monument Schiller scheint noch vollends erhalten. Der dichotomische Gedanke, dass Schiller zwischen zwei Polen schwankt – sowohl diesem hoch erhabenen als auch dem der Wirklichkeit, die sich in Schwere Stunde in der Gestalt des Leidens verkörpert – findet sich in der Schillerrede des Laudators auch wieder. Thomas Mann schreibt, es melde sich das Bedürfnis,

dem himmelblau-idealistischen Nimbus, der seine Gestalt als konventionelle Glorie umgibt, denn doch ein etwas kräftiges Kolorit zu geben, ihm den Farbton von Realismus beizumischen, der zum Wesen seiner Größe gehört.53

Man sieht an diesen Beispielen, denke ich, dass die Schiller-Rezeption des beginnenden 20. Jahrhunderts ziemlich frei über dem Werktext schwebt. Es scheint eine starke Bewegung gegeben zu haben, die ihren Blick vor allem auf die Person des Dichters warf und diese Person, begleitet von einer verehrenden Haltung, in höchstem Maße idealisierte. So pflegte man auch in der Schillerforschung eine idealistische Lesart Schillers, die durchaus erbauliche und den Leser ermahnende Aspekte in den Vordergrund rückte.54 Eine Bemerkung des Darmstädter Schulmannes und Schillerbiographen Karl Berger zu den Räubern kann stellvertretend für diese neuidealistische Perspektive stehen:

In der Beherrschung der Leidenschaften, nicht in ihrer wilden Entfesselung liegt die wahre sittliche Freiheit. […] Und weil Schiller zu dieser höheren Freiheitsidee durchdrang, darum blieb er ästhetisch nicht stecken in revolutionärer Anklage und Auflehnung, sondern konnte […] sein Drama zu einem ästhetisch, künstlerisch und sittlich befriedigenden Schluß führen.55

Als Nebeneffekt einer idealisierenden Haltung wie dieser sieht David Pugh, dass man sich in der Forschung immer weniger mit dem eigentlichen Werktext beschäftigte. Vielmehr versuchte man, der hinter ihm stehenden Idee nachzuspüren. […] a juggling with concepts replaces a close reading of the texts56 [das Jonglieren mit Konzepten ersetzt eine textnahe Interpretation]. Aber es finden sich in dieser Zeit offenbar auch noch Rezeptionsweisen, die den oben beschriebenen ähneln. So geißelt Bertolt Brecht die offenbar immer noch herrschende Zitierwut seiner Zeitgenossen, indem er Vorwürfe an der Rezeption Schillers aufgreift, die ich bereits in Kap. 1 vorgestellt habe:

Das klassische Drama diente zur Bestätigung einer Welt, gegen die es entstanden war. Mit klassischen Versen verlobte man sich, erzog man seine Kinder, kannegießerte und kegelte man. Das ist das Los des Schönen auf der Erde, rief der Vollbart und zwickte die Kellnerin.57

Zu der Kritik an der Zerlegung des Werks tritt auch hier eine Kritik daran, dass man das Werk des Dichters zur Bestätigung seiner eigenen moralischen Vorstellungen verwendete: Es diente zur Bestätigung einer Welt, gegen die es entstanden war.

Zu dieser Zeit lassen sich allerdings auch ganz andere Ansätze der Schillerdeutung feststellen. Franz Mehring wirft in seiner Biographie Schiller. Ein Lebensbild für deutsche Arbeiter seinen Blick auf den Dichter aus einer sozialistischen Perspektive. Dazu passt, dass er den Marquis Posa aus dem Don Karlos als jenen flachen Phrasenhelden58 apostrophiert. Das sozialistische Tatkonzept, demgemäß es nicht darum gehe, die Welt auf je verschiedene Weise zu erklären, sondern sie zu verändern (Karl Marx), mag bei dieser Auslegung eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dass die idealistisch gestimmte Bourgeoisie den Marquis auch noch zu ihrem Helden wählte, musste ihm diese Figur endgültig suspekt werden lassen. Tatsächlich verschweigt Mehring die Probleme, die er als Marxist mit Schillers philosophischer Grundhaltung hat, nicht, ist doch der Idealismus Schillers diametral zu seiner materialistischen Weltanschauung.59 Darum muss er im Vorwort der zweiten Auflage60 seiner Biographie auch feststellen: Nicht als ob Schiller dem heranwachsenden Geschlecht der Arbeiterklasse ein zuverlässiger Führer auf allen Gebieten menschlicher Gesittung sein könnte! Was Mehring jedoch als Vorbild des modernen Proletariats akzeptieren kann, ist das Wesen dieses Geistes. Die Wende hin zu einer idealistischen Schwärmerei lastet Mehring Schiller negativ an; den Ruf nach Freiheit, den Drang zum Widerstand gegenüber der Macht eines Tyrannen, wie er ihn vor allem im Leben des jungen Schiller verwirklicht sieht,61 kann Vorbild sein: In dieser Hoheit der Gesinnung, die aus allem atmet, was er sprach und tat, ist Schiller vorbildlich für die heutige Arbeiterklasse und zumal für ihre Jugend.

Neben solchen sozialistischen Deutungsansätzen war seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem geistesgeschichtlich orientierte Forschung dominant. Bei diesem methodischen Ansatz geht es darum, das individuelle literarische Werk als Manifestation eines in der Zeit, Epoche, Nation usw. vorherrschenden Geistes, einer vorherrschenden Idee oder Grundhaltung zu lesen. Folglich wird das betrachtete Kunstwerk nicht mehr als etwas Einzigartiges aufgefasst, sondern als Symbol für die Zeit oder die Person genommen, die es hervorgebracht hat. Nicht Empirie und Analyse, sondern spekulative Synthesebildungen bestimmen die Forschung. Dieser Ansatz führte oftmals zu frei über dem Werk von Schiller schwebenden Theorien. Ein Fall, der in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse ist, ist das Schiller-Buch von Herbert Cysarz, das 1934 veröffentlicht wurde.

4 Schiller im Nationalsozialismus

Herbert Cysarz gehörte, neben Gerhard Fricke, der eine andere Schule vertrat, zu den führenden Germanisten im Nationalsozialismus. Seine grundlegenden Ideen zum Werk Schillers entwickelte er allerdings schon in der Zeit der Weimarer Republik. In seiner Interpretation von Werk und Person wird Schiller zu einem gleichsam übermenschlichen Symbol seiner Zeit stilisiert. Mit pathetischer, expressionistischer Sprache, die allgegenwärtig ist, und weitestgehend auf Kategorien verzichtet, die analytisch zugänglich sind, stellt Cysarz den Dichter in seiner Lesart Schiller aus dem Jahre 1934 dar. Ein Beispiel, das den Duktus von Cysarz verdeutlichen soll:

Wer Schiller fassen will, muß ein Jahrtausend umfassen. In mancher deutschen Dichtung liegt ein reicheres, in keiner ein größeres Deutschland enthalten. Von keinem Punkt ist unser ganzes Geschick, ist die Gesamtentwicklung unserer Literatur geschlossener zu überschauen.
[…] An der Drei-Länder-Ecke von Kunst, Philosophie und Religion ragt einer der kühnsten Leuchttürme, die die christliche Menschheit erblickt hat. Nie haben flammendere Garben ins Tiefste des Menschen hinein, ins Fernste des Weltalls hinaus geleuchtet. […] Hier geht es nicht nur um Dichtung als Dichtwerk; hier gilt es die Grenzen der Dichtung, ihr Sakrament, ihr Schicksal.62

Indem Cysarz explizit betont, dass es beim Lesen von Schillers Werk nicht nur um Dichtung gehe, weist er die Richtung seiner Deutung.63 Es geht ihm nämlich auch um das Deutschland, das sich in Schillers Texten finden lasse. Das von Cysarz entworfene Schillerbild konnte im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie interpretiert und instrumentalisiert werden. So heißt es in der Vorbemerkung der Schriftleitung zu einem seiner Aufsätze, dass Cysarz’ Bild dazu beitrage, Schiller als den größten politischen Dichter der Deutschen, den weltgeschichtlichen Dichter, zu präsentieren. Zugleich bestimme er Schillers Sendung im neuen Reich.64

Eine solche Lesart lässt sich schon an einer seiner Schriften aus den zwanziger Jahren festmachen. In seinem Aufsatz Schiller und unser XX. Jahrhundert ist eine nationale Interpretation des schillerschen Werks dominant. Schiller mutiert in diesem Aufsatz zu einer Idealgestalt. So heißt es dort beispielsweise, Schiller repräsentiere das Reich und die Macht deutschen Geists, wohingegen Goethe die wallende Fülle des Deutschen schlechthin65 verkörpere. Es fällt nicht gerade leicht, diese Charakterisierungen in eine kalte, dafür intersubjektiv verständliche Sprache zu übersetzen. Aber das ist Programm, ein Programm, das meines Erachten direkt an die Schule der Geistesgeschichte anknüpft, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts in der Schillerforschung dominant war. Zur Erinnerung: David Pugh stellt in Bezug auf geistesgeschichtliche Ansätze fest, dass das Jonglieren mit Konzepten einer textnahen Interpretation vorgezogen werde.66 Wie treffend diese Formulierung ist, wird schon aus den hier wiedergegebenen, kurzen Zitatschnipseln deutlich: Literarische Forschung zu schreiben wird unter der Hand von Herbert Cysarz zu einer Kunstform. Wie jede Kunst, lechzt diese Forscherkunst nach Auslegung: Schiller und Goethe sind aus der Sicht von Cysarz Repräsentanten einer deutschen Haltung, Säulenheilige deutschen Wesens – was immer das ist. Dabei, so scheint es, steht Goethe ihm eher für eine emotionale und Schiller für eine vergeistigte Grundhaltung – zwei Haltungen, die einander ergänzen. Schiller ist bei Cysarz, wie es in dieser Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet ist, Repräsentant einer idealistischen Weltauffassung (vgl. Kap. 3). Daneben wird er in die Nähe deutscher Geistesgrößen und berühmter Politiker gerückt, was in der folgenden Passage sehr deutlich zutage tritt. Schiller sei

ein bauernstämmiger Riese steinern der Nacken und steinern die Stirn, die Wirklichkeit nur messend wo es wider sie zu fechten gilt; der volkhafteste deutsche Seher Lehrer Führer seit Luther, der stärkste Deutsche vor Bismarck, der weltbewussteste deutsche Dramatiker nächst Richard Wagner; ein Meister der Auserwählten und Anwalt der Liebenden und Leidenden, ein Herold nicht allein des sich-Behauptens auch in Feuer und Gefahr, sondern noch in Entsagung und Gewöhnlichkeit, ewigen Herzschlag der Nation in der Brust.67

Der Herold des sich-Behauptens auch in Feuer und Gefahr deutet es schon an. Militärische Opferbereitschaft, die Cysarz – das sollte man sich hier noch einmal klar vor Augen führen – direkt, ohne Umwege auf Schiller bezieht, wird im Folgenden noch breiter vorgetragen. In jeder Szene [seiner Dramen] ruht gleichsam ein unbekannter, und dennoch bekanntester, deutscher Soldat, heißt es da beispielsweise. Die Poesie wird von ihm als Opfer und Dienst verstanden. Konsequenterweise spricht er denn auch von der Sendung Schillers.68 Doch die Treppe, die uns hinauf zum Dichter führen soll, ist noch nicht voll ausgeschritten. Denn am Ende macht Cysarz Schiller noch zu einem Gott:

Wesenleer wie der Erdenrest des Heiligen mutet Schillers Persönliches an, von dem Marbacher Kämmerchen wo er geboren ist (fast wie der Stall eines Erlösers) bis zu dem Weimarer Gelass wo er gestorben ist (fast wie das Grab eines Erstandenen)69.

Der Messias Schiller erscheint als ein radikalisierter Retter diesem Lande, zu dem ihn bereits Wilhelm Raabe stilisierte (vgl. Kap. 2). Was Cysarz an Schiller aber eigentlich zu faszinieren scheint, ist das im Grunde alles Moderne Ablehnende, was er in Schillers Schriften ausfindig gemacht haben will. Cysarz liest Schiller so, als wende er sich gegen Phänomene, die aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts die des Öfteren schmerzhaft empfundene Moderne einleiteten. So muss man, denke ich, diese Bemerkung verstehen:

Unerreichbar bleibt diese Monumentalgestalt sämtlichen realistischen, psychologistischen, individualistischen Einströmen, die seit der Frühromantik in das deutsche XIX. Jahrhundert sickern: dieses Jahrhundert unerhöhrter Sach-Fülle und -Härte, das Welthandels- und Warenhaus-Jahrhundert, das Jahrhundert des Ich und der Nerven. Er verharrt in durch und durch überpersönlicher Welt, die ihn fast wie ein gotischer Ordo fugen- und fensterlos umschliesst.70

Der Begriff Monumentalgestalt kann an dieser Stelle nicht mehr verwundern, schließt Cysarz, was Schiller betrifft, doch nur an eine omnipräsente Zeitströmung an. Hinzu tritt jedoch eine antiindividualistische und antimoderne Grundhaltung. Antiindividualistisch, weil alles, was den Einzelnen aus dem Kollektiv heraushebt (das psychologistische […] Einströmen) bei Cysarz auf Ablehnung stößt. Antimodern, weil weder eine solche Ichzergliederung noch die realistische Nüchternheit der Zeit in ihrer Sach-Fülle und -Härte akzeptiert wird. Schiller würden all diese als negativ empfundenen Umstände abgehen. Menschliches Schicksal also wird hier [in Schillers Dramen] aufgetan, nicht menschliche Seele gedeutet71. Ein solcher Satz ist nicht nur als Feststellung zu lesen, dass idealisierende und überindividualisierende Momente in Schillers Werken gefunden werden können. Die antiindividualistische Einstellung von Herbert Cysarz schwingt hier mit. Individualismus ist ihm säkularer Abfall72. Mit Abfall meint Cysarz zwar Lossagung. Dass dieses Wort pikanterweise auch die Bedeutung unbrauchbare Überreste trägt, darf man meines Erachtens getrost mitlesen. Diese ablehnende Haltung gegenüber allem Individuellen ist ein wesentlicher Baustein für den Erfolg von Cysarz im Dritten Reich. Versuche, eine einheitliche, nationalsozialistische Poetik zu finden, scheiterten zwar. Denn die germanistische Forschung blieb wesentlich differenzierter, als es aus der Sicht der Machthaber wünschenswert gewesen wäre. Doch bestand eine Affinität zu irrationalen, antiindividualistischen und dafür kollektives Denken fördernden Interpretationen von Literatur.

Bei all der von mir geäußerten Kritik an der Art und Weise, wie Cysarz mit seinem Untersuchungsgegenstand verfährt, möchte ich dennoch betonen, dass seine Forschung keineswegs platt ist. Der breite geistesgeschichtliche Horizont, den er neben der direkten Beschäftigung mit Schiller darstellt, kann durchaus befruchtend wirken und zeugt von einer großen Belesenheit.73

Eine andere Position bezog der Forscher Gerhard Fricke. Die Differenzen zwischen ihm und Herbert Cysarz waren so fundamental, dass sich ein veritabler Streit um den richtigen Schiller entsponn. Gerhard Fricke hat eine religiöse Deutung des Werks von Schiller vertreten, die auf der Basis eines Idealismusverständnisses steht, das von jedwedem aufklärerischen Gedanken frei gefegt ist. Der deutsche Idealismus ist für ihn vor allem eine religiöse Haltung74, Schiller selbst wird zum Verkünder einer höheren Wirklichkeit, die durch ein absolutes Gehorsamsverhältnis bestimmt ist75, konstatiert Gabriele Stilla. Diese religiöse Haltung wendet sich schließlich ins Politische, indem die Lektüre der Dichtung Schillers die sozialen Bindungen innerhalb der Deutschen verfestige. In Frickes Duktus klingt das dann so:

[Die Stoffe und Gestaltungen der Dichtung] vermögen bei aller nur denkbaren Abgestuftheit des Verständnisses und des ästhetischen Erlebens alle lebendigen und wachen Glieder der Volksgemeinschaft zu ergreifen und einen jeden auf seine Art zu erschüttern, zu heben und zu stärken und darin alle einzelnen zum Ganzen zu verbinden.76

Fricke geht es vor allem darum, der zugrunde liegenden Idee in Schillers Werken nachzuspüren. Dieser Ansatz ermöglicht es ihm schließlich auch, die Forderung nach Gedankenfreiheit im Don Karlos nicht wörtlich zu verstehen. Es gehe allein um die hinter diesem Ausruf stehende Idee des Menschen, der zeige, was es heiße, sich selbst zu vergessen und sich ganz für ein höheres Ziel zu verschwenden.77 Fricke deutet die Figuren in Schillers Dramen darum nicht als prophetische Darstellungen nationalsozialistischer Führergestalten. Glaubensfester Verfechter einer nationalsozialistischen Ideologie war Fricke trotzdem: So hielt er die Brandrede bei der Göttinger Bücherverbrennung von 1933, in der er die Formung eines neuen Kulturideals forderte, für das die Zeit nun, nach der politischen Machtübernahme, gekommen sei.

Werner Deubels Stammbaum
Abb. 2: Werner Deubels graecojudaisch-logozentrischer, graecogermanisch-biozentrischer Stammbaum von 1934 (Quelle)

Ein frappierendes Beispiel nationalsozialistischer Umetikettierung Schillers findet sich bei Werner Deubel, der eine derart radikale Position einnahm, dass diese im Dritten Reich nicht einmal von offizieller Seite akzeptiert wurde: 1938 erhielt er Presse- und Redeverbot. Wie er Schiller sieht, lässt sich an seiner kruden Herleitung der deutschen Literatur erkennen.78 Es gäbe zwei Hauptstränge der Literatur seit der Antike: den logozentrisch-graeco­judaischen Strang und den biozentrisch-graecogermanischen. Der graecojudaische Strang führe zum Untergang der Seele im Zuge eines Bellum omnium [contra omnes] (Krieg aller, [gegen alle]). Ihren vernichtenden Endpunkte würden Amerikanismus und Bolschewismus markieren. Ein wesentlicher Ausgangspunkt des graecogermanischen Strangs sei das, von Deubel nicht genauer spezifizierte, germanische Bluterbe, das vermittelt über die Romantik in der Trias Jugendbewegung, Fronterlebnis und Deutsche Erneuerung ende. Die massiven gedankendeformierenden Einwirkungen der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie sind unverkennbar. Interessant ist, dass Deubel Schiller zwar dem graecogermanischen Strang zuordnet, dass er ihm allerdings (implizit) Teilhabe am graecojudaischen Strang vorwirft; und zwar wegen seiner Rezeption der kantischen Philosophie. In seiner Lesart gehört Schiller aber vornehmlich dem von ihm positiv besetzten Literatursystem an. Das Bild Schillers als Vermittler kantischer Ideen will Deubel verändert wissen; so äußerte er sich in einem Zeitungsartikel vom 20. August 1933:

Jeder Politiker, Redner, Lehrer, Kulturführer sollte heute in ein Konzentrationslager gesperrt werden, der uns das alte Klischeebild vom Idealisten Schiller noch als einen Leitstern der deutschen Erneuerung aufreden will. Man kann die deutsche Revolution nicht sicherer zugrunde richten, als indem man Spitzenleistungen des gräkojudaischen Geistes für den Kern deutschen Wesens ausgibt. Eine gräkojudaische Spitzenleistung ist die Systematisierung des rationalistisch-entseelten Welt- und Menschenbildes judaistischer Prägung in der Morallehre und Transzendentalphilosophie Immanuel Kants. Schiller als Schüler und Vervolkstümlicher Kants – das ist der wichtigste Zug an jenem alten Klischeebild Schillers. Aber wie uns heute Kant und also dieser Schiller – ewiges Begeisterungsobjekt für alle Kleinbürger und Kapotthüte beiderlei Geschlechts – nichts mehr angehen, so ist jenes Klischeebild selber der Ausdruck nicht nur der engstirnigen Dummheit, sondern der bodenlosen Ehrfurchtslosigkeit vor Schillers gigantischem Bild.79

Die Monumentalisierung des Dichters, die ich bereits in Kap. 3 festgestellt habe, setzt sich folglich im Nationalsozialismus fort. Jedoch angereichert um den Willen, alle ideologisch als unpassend empfundenen Elemente seines Werks und Lebens zu tilgen und durch eine als der neuen Zeit angemessen empfundene Lesart zu ersetzen. Der Kant lesende Schiller kann einfach nicht der Schiller einer deutschen Kulturrevolution sein.

In der Germanistik der Zeit sind aber gerade solche Versuche, die allzu eindeutig nationalsozialistisch gefärbt waren, mit Reserve aufgenommen worden. Das Buch Schiller als Kampfgenosse Hitlers von Hans Fabricius – ein als Literaturwissenschaftler dilettierender Ministerialrat80 – ist wohl nicht nur wegen der abstoßend primitiven Umdeutung Schillers zum Herold des Rassismus, sondern auch, weil der Autor kein akademisches Amt innehatte, im Großen und Ganzen abgelehnt worden. Wie Fabricius Schiller aufs Gröbste aktualisierte, möchte ich anhand einer längeren Zusammenstellung von Zitaten aus Schiller als Kampfgenosse Hitlers zeigen. Sie stammen alle aus dem Kapitel Sklaventum und Herrentragik (Braut von Messina)81. Die Tragödie der Herrscher von Messina, die im Untergang ihrer Familie endet und von Schiller stark an antike Dramen angelehnt wurde82, wird unter der Hand Fabricius’ zu einer kleinen Rassenkunde.

Isabella [Fürstin von Messina und Mutter der beiden im Zwist befindliche Brüder Don Manuel und Don Cesar] glaubt, auf den Gipfel des Glücks erhoben zu sein. Von jeher hat sie mit tiefstem Gefühl begriffen, was Familie, was Blutverwandtschaft [sic] bedeutet. […]
Das Familienband aber, das diese Edelmenschen zu einem lebendigen, blühenden Organismus zusammenschließen sollte, ist morsch und zerfressen. […] Es ist, als fehle dieser Familie der nährende Mutterboden.
Es ist eine Familie, die, losgelöst von Heimat und Volk, im luftleeren Raume gleichsam, noch eine Weile ein wildflackerndes Eigenleben führt, um dann auf ewig zu verlöschen.
Das Herrschergeschlecht von Messina hat seelisch und rassisch nichts gemein mit der Bevölkerung, über die es herrscht. Von weither, aus einem anderen, besseren Volke, ist es als Eroberer ins Land gekommen. […] Durch ihre rassische Überlegenheit haben diese fremden Vollmenschen die Bevölkerung Messinas sich dienstbar gemacht und walten nun als einzige Herrenfamilie über einer Herde artfremder Knechte. […]
Die Bevölkerung von Messina ist kaum ein Volk zu nennen. […] Diese Menschenart ist unfähig, aus sich heraus einen Führer zu gebären. […]
Darum mußte dieses Volk dem Eroberer zur Beute werden. Man brauchte einen Sklavenhalter, um überhaupt leben zu können. […]
Das ist die Tragik dieser beiden hochgearteten Männer [Don Manuel und Don Cesar], daß sie, ausgestattet mit allen Eigenschaften, die zum Volksführer befähigen, eines Volkes entbehren, dem sie Führer werden könnten. Losgelöst von dem Volke ihres Blutes, suchen sie vergebens, ihrem ungestümen Lebensdrange Sinn und Gehalt zu geben. Die Familie kann ihnen das Volk nicht ersetzen; sie hat nur Sinn als Zelle eines organischen Volkstums. […]
Herrenmacht über Sklaven kann einem Helden nicht höchste Lebenserfüllung bedeuten. Nur aus dem Schoße des eigenen Volkes heraus kann sich Heldentum zur vollen Blüte entfalten. Vom Volke gelöst, verzehrt es sich hoffnungslos in der Flamme der eigenen Leidenschaft.

Fabricius erfüllt, was er verspricht: Er sucht im Werk Schillers nach Anknüpfungspunkten, an die man die nationalsozialistische Ideologie irgendwie anheften kann. Dies sollte durch meine Exzerpte deutlich geworden sein. Dass Fabricius unter Germanisten nicht akzeptiert war, ist durchaus verständlich, denn sein Stil ist nachgerader primitiv und sein methodisches Verfahren mehr als fragwürdig. Dieses Verfahren besteht nämlich darin, eine Schablone über das Drama Schillers zu legen. Dort, wo sie Lücken lässt, werden sie so gedeutet, als sei das Drama einst mit eben dieser Schablone im Hinterkopf verfasst worden. Dass die Schablone eine des 20. Jahrhunderts und durchaus nicht die einzig verfügbare ist, wird nicht reflektiert. Diese Herangehensweise unterscheidet sich fundamental von ernsthafter Wissenschaft. Auch heutige Wissenschaftler haben ihre Schablonen, die sich im Laufe eines Forscherlebens herausgebildet haben; auch heute ist man vom Denken seiner Zeit geprägt und dieses schlägt sich in der wissenschaftlichen Methodik und den Fragestellungen nieder, die man an den Untersuchungsgegenstand heranträgt. Aber diese Schablonen lassen sich immer wieder neu zuschneiden, und, um gute Wissenschaft zu betreiben, schaut man auch, was jenseits des Ausschnitts, auf den man sich konzentriert, zu entdecken ist. Schließlich sollte man für gewöhnlich mehr als eine Schablone haben. In Fabricius’ Kapitel über die Braut von Messina gibt es hingegen nur eine Herangehensweise. Anderes wird nicht einmal erwähnt.

Fabricius und Deubel blieben Ausnahmen. Der Grund liegt auf der Hand: Lesarten wie die von Fabricius kann man kaum noch als Verfälschung Schillers bezeichnen. Fälscher zeichnen sich nämlich für gewöhnlich durch eine geschicktere, überzeugendere Vorgehensweise aus. Eine wirkliche Verfälschung liegt in einem Fall vor, auf den Georg Ruppelt in seiner Untersuchung Schiller im nationalsozialistischen Deutschland hinweist. In einem Aufsatz über den jungen Schiller sei darauf hingewiesen worden, dass Schiller die Juden als das roheste, das bösartigste, das verworfenste Volk der Erde bezeichnet habe. Ferner habe er von der Unwürdigkeit und Verworfenheit der Nation der Juden gesprochen.83 Die Zitate sind korrekt. Sie stammen aus Schillers historischer Studie Die Sendung Moses. Wenn man sich allerdings die Zitate im Textzusammenhang ansieht, verschiebt sich iher Bedeutung. Die Passagen lauten nämlich:

Aus diesem Standpunkt betrachtet, muß uns die Nation der Ebräer als ein wichtiges universalhistorisches Volk erscheinen, und alles Böse, welches man diesem Volke nachzusagen gewohnt ist, alle Bemühungen witziger Köpfe, es zu verkleinern, werden uns nicht hindern, gerecht gegen dasselbe zu seyn. Die Unwürdigkeit und Verworfenheit der Nation kann das erhabene Verdienst ihres Gesetzgebers nicht vertilgen, und eben so wenig den großen Einfluß vernichten, den diese Nation mit Recht in der Weltgeschichte behauptet.
[…], denn was hat die Unmenschlichkeit der Egypter im Verlauf einiger Jahrhunderte aus dem Volk der Ebräer gemacht? Das roheste, das bößartigste, das verworfenste Volk der Erde, durch eine 300jährige Vernachlässigung verwildert, durch einen so langen knechtischen Druck verzagt gemacht und erbittert.84

Die angebliche Ablehnung des Judentums ist tatsächlich eine Würdigung. Ja, mehr noch: Das Judentum wird als universalhistorisch apostrophiert. Das heißt, es bekommt den Rang zugesprochen für die Geschichte der gesamten Menschheit, die sich in einem steten, aufsteigenden Entwicklungsprozess befinde, von Bedeutung zu sein.

Ab 1933 wurde im Zuge der Aktionen der neuen Machthaber, die deutsche Gesellschaft ideologisch zu nivellieren, auch das Schulsystem von Indoktrinationsversuchen erfasst. Autoren wurden in die Schubladen Literaten und Dichter gesteckt, wobei erstere als vollends ungeeignet erschienen, nationalsozialistisches Gedankengut zu transportieren. Zu den Literaten zählte man sämtliche jüdischen, linksorientierten, unheroischen oder sonstwie mißliebigen Schriftsteller85. Das Œuvre des Dichters Schiller wurde im Dritten Reich zwar tendenziell positiv aufgenommen, aber eben nicht durchgehend. Dieser eher zustimmenden Haltung ging eine Diskussion voraus, ob der Dichter überhaupt nutzbar gemacht werden könne, die neuen Werte zu vertreten. In Ernst Kriecks Buch Nationalpolitische Erziehung klingt die Diskussion, welche Funktion Dichtung in Deutschland jetzt haben müsse, so:

Dichtung hat keinen Wert an sich, stellt nicht auf jeden Fall ein höheres Wertgebiet der Bildung dar, sondern kommt für die künftige Bildung nur soweit in Betracht, als sie sich vor unserer völkischen Lage ausweist, an unseren völkischen Werten und Aufgaben bewährt.86

Gerade weil der als Dichter eingestufte Schiller sich eben nicht derart umdeuten ließ, wie es Hans Fabricius versuchte, gab es auch Stimmen, die eine Behandlung seiner Werke im Literaturunterricht rundweg ablehnten. Nur einige wenige Balladen aber keineswegs Dramen, wenn auch eventuell der Tell, sollten im Unterricht weiterhin verwendet werden. Das, worauf man sich einigte, erinnert fatal an bereits besprochene Rezeptionslinien: Nicht der ganze Schiller, sondern nur Kernstellen87 aus seinem Werk sollten im Deutschunterricht behandelt werden. Schiller wurde also erneut gestückt, und zwar erneut im Rahmen einer politischen Instrumentalisierung. Vielleicht ist das das Schicksal eines jeden Klassikers. Vielleicht ist die Feststellung einer fragmentarischen Rezeption ein (notwendiges?) Element der zeitgebundenen Umdeutung, die einen Klassiker erst zu einem Klassiker macht (vgl. Kap. 1). Praktisch sah der Beschluss, Schiller in Schulen nur partiell zu behandeln, dann so aus, dass an Gymnasien vier Dramen, Wallenstein, Fiesko, Wilhelm Tell und Die Jungfrau von Orleans behandelt wurden. In den Volksschulen las man nur den Tell. Anhand eines Erlassentwurfs, der die Richtung der Interpretation für die vier Dramen weist, wird deutlich, wie massiv die Lesart der Werke deformiert werden sollte. Über den Wilhelm Tell heißt es:

Schauspiel einer nationalen Erhebung, getragen von der zuchtvollen Empörung eines in seinen elementaren Rechten geschändeten Volkstums. Wilhelm Tell selbst als unpolitischer Mensch, der nur durch private Erlebnisse […] zum Kampf gegen den Landesfeind kommt. (Zu ergänzen durch Kleist, Katechismus der Deutschen oder Hermannsschlacht.)88
Verlauf der Staffel nach Marbach
Abb. 3: Der Staffellauf nach Marbach am 21. Juni 1934 (Quelle)

Ein beredtes Beispiel für diese Form der Rezeption sind die Schillerfeierlichkeiten von 1934. Anlässlich Schillers 175. Geburtstag gab es Theaterwochen, Festakte, Aufmärsche mit Reden, Symposien, Sonderbriefmarken usw. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Feiern nicht mehr wie früher von den zahlreichen Schillervereinen organisiert wurden, die Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden waren. Vielmehr handelte es sich 1934 um ein staatlicherseits gelenktes Jubiläum. Ein aussagekräftiges Beispiel für die Verwendung Schillers im nationalsozialistischen Sinne ist der Staffellauf zur Sonnenwendfeier (!) am 21. Juni nach Marbach, Schillers Geburtsort. Die große Aktion, an der über 15.000 Hitlerjungen89 teilnahmen, gipfelte in der feierlichen Verlesung von Grußbotschaften an das Dichtergenie. Mit Schiller selbst hatte dieser Event kaum noch etwas zu tun. Demonstriert werden sollte vielmehr nationalstaatliche Einheit und Größe, die nicht im Mindesten mit Schiller in Einklang gebracht werden kann, der sich zeitlebens in kleinstaatlichen Kontexten bewegte, der nicht eine seiner herrschaftlichen Heldenfiguren einen Deutschen sein ließ und sich sogar explizit ablehnend gegenüber nationalen Konzepten äußerte. In einem Brief vom 13. Oktober 1789 an Körner schreibt Schiller nämlich:

Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist die Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bey einem Fragmente (und was ist die wichtigste Nation anders?) nicht stillestehen. Er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als soweit ihm diese Nation oder Nationalbegebenheit als Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist.90

Dergleichen unangenehme Widersprüche beiseite schiebend, nutzte man die Sonnenwendfeier von 1934, um die Grenzen der gefeierten Nation genauer zu umreißen: Der Staffellauf ging von allen Regionen des Landes aus; zusätzlich von Österreich. Das aus Tirol kommende Mädchen deklamierte feierlich, aber düster-traurig: Wir jungen Menschen Österreichs stehen mit leeren Händen. Wir können keine Blumen bringen, können keine Kohle bringen – wir bringen unser Herz.91 Hinter dieser wehmütigen Grußbotschaft steht die Tatsache, dass Österreich 1934 eben nicht zum Dritten Reich gehörte. Zugleich werden hier, implizit, Haltung und Anspruch artikuliert, Österreich sei ein Teil Deutschlands.

Auch anhand der Huldigungsschrift von Schlesiens Jugend an Friedrich v. Schiller, die an diesem 21. Juni feierlich vorgetragen wurde, lässt sich zeigen, dass sein dichterisches Schaffen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielte. In den Vordergrund rückte dafür eine in ihn hineingelesene Geisteshaltung, die die nationalsozialistische Idee in nuce enthält:

Hier zu heilig hehrer Stätte, / die unserm Fühlen Heimat ist, / sind wir, / die Künder einer neuen Jugend / dir zu huldigen herbeigeeilt, / Dir, / dem deutschen Dichter / unsres ewgen Freiheitsstrebens / den Gruß des Dankes / zu entbieten. // Ich, / Läufer aus dem deutschen Osten, / will den Kameraden / meiner Jugend / heut an diesem Freudenfeste / von dem Schicksal / meines Landes / sagen / und dem Geist, den Du uns gabst. // Wo in frühsten Zeiten / Scharen von Germanen / durch das Land der Oder zogen / und dort ihre Heimat fanden, / wo des deutschen Bauern Arbeit / unserm Volke Land gewann, / wo der größte deutsche König / schweren letzten Sieg errang, / dort ist / meines Stammes Heimat. // Von des / Annaberges / heiligem Altare, / aus der / blutgetränkten Erde / dieses Bodens / bringe ich der Heimat Gaben, / Kornblumen u. Wacholderbusch, / Dir / als Sinnbild unsres Schwures: // Daß im Zeichen / Deines Wollens / Deines Dichtens / glücklich wir das Heil / des Kampfes und des Sieges / unserm gottgewollten Volke / künden / und geloben dir als Willen: // Wildes Sehnen / flammt in unsrer Brust, / Deutschland unser Leben stets / zum heiligen Opfer hinzugeben. // Wollen kämpfen, / müßen ringen, / das Große, / das Eine / zu vollbringen / das freie Vaterland!92
Die »Huldigungsschrift«
Abb. 4: Huldigungsschrift zur Reichssendung am 21. 6. 1934 in Marbach (Quelle)

Man ehrte in Schiller demnach explizit den deutschen Dichter, dessen Geist beschworen wurde. Dieser Geist scheint etwas zu sein, das genauso in metaphysische Höhen entrückt wurde, wie das gottgewollte Volk der Deutschen. Dieses Moment der Monumentalisierung wird von Geschichtsklitterungen akkompagniert. In germanischer Zeit war das Gebiet zwischen Elbe und Oder nun einmal nicht germanisch, sondern slawisch. Die mangelnde Trennung zwischen dem, was man in der Geschichte schon als deutsch bezeichnen kann, und dem, was man noch als germanisch bezeichnen muss, schlägt sich – wie nicht anders zu erwarten – in diesem Machwerk ebenfalls nieder. Stilisiert wird eine unfreie, unterdrückte Stellung, in der Land und Leute sich befänden. Der Dichter mutiert zum messianischen Vordenker einer Freiheitsbewegung. Darum findet sich im Schlussappell der Huldigungsschrift – folgerichtig – auch kein direkter Bezug auf Schiller mehr. Dieser Appell ist rein politischer Natur, unverhohlene Ideologie. Auch dass das Schillerfest zur Sommersonnenwende stattfand, ist als ideologisches Moment zu lesen. Was immer man damals für urgermanisch hielt, wurde zum Zweck der Umdeutung gewachsener Traditionen und/oder für die Installation neuer nationaler Mythen verwendet.

Der im Deutschen Nationaltheater in Weimar am 10. November 1934 stattfindende Festakt war anderer Natur. Das Programm glich einer klassischen Feierstunde; der ebenfalls erschienene Hitler trug ausnahmsweise Zivil. Die Feierlichkeiten verliefen alles andere als polternd, vielmehr gedämpft, staatstragend, gesittet. Doch auch dieses zurückhaltende Gebaren muss als Instrumentalisierung gedeutet werden. Denn durch diese Form der Inszenierung versuchte man, den bürgerlichen Bildungsschichten zu zeigen, dass der Nationalsozialismus nicht roh und primitiv sei.93 Aktionen aus demselben Jahr, die die brutalen Sitten der Nationalsozialisten eindeutig decouvrierten, sollten mit einem positiven Bild übertüncht werden. Der so genannte Röhm-Putsch – die Nacht der langen Messer –, der im Juni und Juli für Aufruhr sorgte, hatte die gesellschaftlichen Schichten verstört, die durch diese Form des Staatsakts speziell angesprochen werden sollten. Der von mir bereits dargestellte Verlauf der Feiern in Marbach spricht eine ganz andere Sprache. Solche Formen waren zu dieser Zeit auch noch ungebrochen möglich, denn die Sonnenwendfeier zu Ehren Schillers lag zeitlich vor den Morden der Nationalsozialisten an ihren internen Gegnern, die erst neun Tage später, am 30. Juni 1934, begannen. Eine eindeutige Vereinnahmung war hingegen die Rede von Joseph Goebbels, die dieser am Abend des 10. November hielt: Schiller, würde er noch leben, wäre ein Vorkämpfer für die Sache des Nationalsozialismus gewesen. In strahlender Reinheit solle er vor dem neuen Deutschland aufs neue erstehen: für alle Zeiten der Dichter der deutschen Revolution, berichtete der Völkische Beobachter zwei Tage später.94

Neben vielen Positionen, die Schiller im Sinne des Nationalsozialismus deuteten, gab es aber – das möchte ich keinesfalls verschweigen – auch solche, die sich absoluter Urteile enthielten. Benno von Wiese stellt in seinem Buch von 1938 über den Dramatiker Schiller explizit fest:

Es liegt im Wesen unserer Schiller-Deutung begründet, daß wir sie nicht am Ende in Ergebnisse oder Leitsätze zusammenfassen können. Denn es war das Ziel dieser Darstellung, Schiller gerade nicht in ein bestimmtes weltanschauliches System hineinzuzwingen oder in einen begrifflichen Apparat einzusargen.95

Trotz dieser deutlichen Absage an die damalige Praxis, Geistesgrößen hinsichtlich ihres nationalen Werts zu hinterfragen, bekam von Wiese keine Probleme. Er durfte weiterhin unbehelligt forschen und publizieren. […] honest scholarship was not impossible during the Nazi dictatorship96 [ehrenhafte Gelehrsamkeit war während der Nazidiktatur nicht unmöglich].

Nicht nur Forscher wie Benno von Wiese behielten nach 1945 Bedeutung. Es gab auch ein großangelegtes Projekt, das während der Nazi-Diktatur begonnen wurde und nach 1945 weiter bestand. Seit 1943 wurde, von Julius Petersen und Gerhard Fricke, der Grundstein für die Nationalausgabe der Werke Schillers gelegt. Sie enthält alle literarischen Texte, Briefe von und an Schiller sowie Schillers Gespräche. Dieses Projekt, das später Benno von Wiese leitete, überdauerte als gesamtdeutsches Projekt sogar den Ost-West-Konflikt. Da in manchen Bänden aktuelle politische Zustände allzu stark reflektiert wurden, sind einige frühe Bände mittlerweile revidiert worden.

1941 änderte sich die Haltung der Nationalsozialisten gegenüber Schiller aus nicht eindeutig zu klärenden Gründen. Der Tell, der immer noch in den Schulen behandelt wurde, wurde per Führererlass verboten: Der Führer wünscht, daß Schillers Schauspiel Wilhelm Tell nicht mehr aufgeführt wird und in der Schule nicht mehr behandelt wird.97 Ein Grund für die reservierte Haltung, die die Nazis von nun an Schiller gegenüber an den Tag legten, mag der im Tell dargestellte Tyrannenmord gewesen sein. Der andere mag an die Vorwürfe anknüpfen, die man dem Drama schon in der Frühzeit des Dritten Reichs vorhielt: Einerseits sei der Held des Stücks zu unpolitisch, handle zu sehr aus individuellen Motiven. Andererseits stelle das Stück den Abfall eines Reichsgebietes dar. Ein Vorgang, der auf keinen Fall zu begrüßen sei.98

Um dieses Kapitel auf den Punkt zu bringen: Man kann, glaube ich, sagen, dass in nationalsozialistischen Deutungen der Werke Schillers alle Elemente auftauchen, die in den vorhergehenden Kapiteln erwähnt wurden. Sie wirken allerdings hypertroph, über die Maßen strapaziert und führen zu einem noch deutlicher verzerrten Bild von Dichter und Werk, als man dies in vorhergehenden Rezeptionsstufen beobachten konnte. Dies ist auf die Radikalität der durchgeführten Interpretationen, Schiller als nationalen und prärassistischen Dichter zu lesen, zurückzuführen. Man setzte alles daran, die unsinnigen Kategorien der Nationalsozialisten auf den Menschen aus dem 18. Jahrhundert zu applizieren. Dies aber auf je verschiedene Weise. Es gibt durchaus divergierende Deutungsschemata und keine einheitliche von oben verordnete Lesart99 – was an dem Streit zwischen Cysarz und Fricke beispielhaft deutlich wird. Selbst die Haltung der politischen Führer gegenüber dem Klassiker hat sich im Laufe der zwölfjährigen Herrschaft gewandelt, wie man am Verbot des Tell von 1941 sieht.

5 Schiller nach 1945

Die Germanistik, die Benno von Wiese im Großen und Ganzen bis in die Mitte der sechziger Jahre in seiner Methode folgte, verließt sich weitestgehend auf werkimmanente Betrachtungen Schillers – und natürlich auf den geistesgeschichtlichen Ansatz. So versuchte die Literaturwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland möglichst unpolitisch aufzutreten. Klassisch-idealistische Deutungsansätze Schillers wurden nicht infrage gestellt.

Nach 1945 zog man es tendenziell vor, sich nicht so sehr auf Schiller, dafür mehr auf Goethe zu beziehen. Damit knüpfte man an den allgemein feststellbaren Bedeutungsverlust Schillers, auch für die Weltliteratur, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Goethe rückte nach 1945 aber zum einen auch deshalb in den Fokus, weil 1949 ein Goethejubiläum (zweihundertster Geburtstag) zu feiern war. Dass Goethe im Ausland eher als kosmopolitischer und Schiller als typisch deutscher Dichter wahrgenommen wurde, förderte diese Präferenz zum anderen. Eine solche Einschätzung verdichtet sich in einem Ausspruch Robert d’Harcourts100: Goethe est Européen, Schiller est Allemand101 [Goethe ist Europäer, Schiller ist Deutscher]. So stand denn auch für die Institute zur Verbreitung deutscher Kultur in aller Welt nicht etwa Schiller, sondern Goethe Pate. Schiller selbst rückte erst wieder zu den Jubiläen von 1955 und 1959 in den Blickpunkt. Diese Jubiläen wurden durch den bereits voll ausgebildeten Ost-West-Konflikt überlagert. Jede Seite warf der anderen vor, sie missbrauche den Dichter zur Propagierung ihrer Philosophie. Diese Vorwürfe lassen sich teilweise erhärten. Johannes R. Becher, expressionistischer Dichter und erster Kulturminister der DDR, stellte seine Rede zum Schillerjubiläum 1955 unter das Motto: Denn er ist unser. Was von solchen Vereinnahmungen zu halten ist, hatte Karl Kraus schon viel früher unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: Wenn ein Denkmal renoviert wird, kommen unfehlbar die Mauerasseln und Tausendfüßler ans Licht und sagen: Denn er war unser!102 Zwar wurde Schiller in der DDR-Literaturwissenschaft nicht derart geschichtsfern betrachtet, wie in der BRD, doch trug man dafür das geschichtsphilosophische Modell an sein Werk heran, das Staatsdoktrin war: den Marxismus-Leninismus. Dass Schiller in der Erklärung des Schiller-Komitees der Deutschen Demokratischen Republik von 1959 als Dichter bezeichnet wird, der die leidenschaftlichen Hoffnungen seines Volkes auf Freiheit von feudalabsolutistischen Fesseln103 gestaltet habe, ist auf diese Lesart zurückzuführen. Dass der Marxismus-Leninismus vor intellektueller Verflachung nicht schützte und dass man Schiller genauso instrumentalisierte, wie es vorhergehende Generationen taten, beweisen aus derselben Erklärung stammende Phrasen:

Die kapitalistischen Geldfürsten der Konzerne und Banken, die im historischen Ablauf an die Stelle der deutschen Duodezfürsten von einst getreten sind und die – trotz der Lehren zweier Weltkriege – heute erneut das Schicksal der Nation dem deutschen Militarismus überliefern wollen, sind in ihrem ganzen Denken und Handeln dem Geist Schillers zutiefst fremd und feindlich. Die deutsche Arbeiterklasse ist die wahre Erbin des Werkes unseres klassischen Nationaldichters Friedrich Schiller.104

Man ist fast versucht, diese Agitprop-Maßnahme durch ein Denn er war unser! zu komplettieren. Hat sich auch das politische System geändert, so lassen sich doch dieselben Motive beobachten wie 1859, als Schiller zum Vorkämpfer für ein einiges Vaterland, oder wie 1934, als Schiller zum Vordenker einer rassistischen Ideologie stilisiert wurde. Sie sind nur chromatisch verschoben: Die Farbe hat sich geändert. Positiv anzumerken ist, dass Schiller nicht ungebrochen in den Dienst der Sache gestellt wurde, man hütete sich, ihn als reinen Materialist darzustellen, ganz in der Tradition Franz Mehrings (vgl. Kap. 3). Seine Affinität zu einer idealistischen Geisteshaltung, wird ihm zwar negativ angerechnet, doch immerhin nicht verschwiegen.105

Thomas Mann versuchte einer politischen Vereinnahmung seiner Person dadurch aus dem Wege zu gehen, dass er während seiner Deutschlandreise von 1955 ein und dieselbe Schillerrede sowohl am 8. Mai in Stuttgart als auch am 14. Mai in Weimar hielt. Mann ging, nach eigener Aussage zu den Roten nach Weimar, weil da auch Menschen sind und auch Deutsche106. Einen ähnlichen Versuch, Schiller vor politischen Vereinnahmungen zu bewahren, machte Theodor Heuss, der erste Bundespräsident Westdeutschlands. Er erteilte im Zuge seiner Laudatio von 1955 allen eine Absage, die eine politische Adaption Schillers für die Sache des Westens von ihm erwarteten:

Ich enttäusche jene gerne, die meinen, weil ich gegenwärtig Bundespräsident bin, sei es meine Aufgabe, aus Schiller eine staatsaktuelle Werbeaktion zu machen. Dafür ist er mir zu groß, dafür bin ich mir zu gut107.

In Westdeutschland geht mit der Achtundsechziger-Bewegung eine Änderung in der Wahrnehmung Schillers einher. In der Folge der Studentenproteste entstand eine Literaturwissenschaft, die sich kritisch gegen bürgerliche Ideologien wendete und nun auch sozialgeschichtliche Ansätze verfolgte. Die Dominanz der geistesgeschichtlichen Forschung in der BRD wird zu dieser Zeit gebrochen. Kritik wurde seit den sechziger Jahren auch an der Rezeptionsgeschichte schillerscher Werke laut. Ein Beispiel: 1966 veranstaltete der Insel-Verlag eine vierbändige Schiller-Werkausgabe, für die Hans Magnus Enzensberger die Gedichtauswahl besorgte. Diese Auswahl, Signum einer hier einsetzenden Negativkanonisierung Schillers, löste heftige Kritik aus, denn HME ließ viele berühmte Gedichte wie Das Lied von der Glocke, Würde der Frauen, Die Kraniche des Ibykus, Die Bürgschaft, Kassandra, Hero und Leander und andere weg. Er hat seines Amtes streng gewaltet108, musste Marcel Reich-Ranicki in einer Kritik an dieser Auswahl pikiert feststellen. Reich-Ranicki erkennt wohl, dass der Schiller, der auf das breite Publikum vor allem durch seine Balladen wirkte, nicht mehr zeitgemäß sei. Er erkennt ferner an, dass in Schillers Werken für zeitgenössische Ohren so manches lächerlich und unerträglich109 und darum gerade unser Verhältnis zu seinen Balladen in hohem Maße revisionsbedürftig110 sei. Dennoch wehrt er sich dagegen, wie ich finde zurecht, das, was er, Enzensberger, für schlecht halte, einfach zu ignorieren. Auf diese und andere Einwände reagierte Enzensberger, auch 1966, mit einem Artikel in der Zeit. Dort kritisiert er an Schillers Lied von der Glocke, dass seine Machart schlecht sei. Das eigentliche Glockengießerlied halte er für nicht schlecht geraten, die Kommentierung durch Beifügung vieler anderer Strophen und eingeschaltete Moralappelle sieht er jedoch als zumindest zweifelhaft an. Indem das Lied versuche alles zu sein, alle Bereiche des menschlichen Lebens zu erfassen, offenbare es seine schlecht Universalität des Anspruchs111. Darüber hinaus moniert er, dass die Personen nur bloße Schemen112 seien. Man habe hier in der Vergangenheit etwas ungerechtfertigterweise zu einem Hauptwerk erhoben und mit Schillers Poesie schlechthin verwechselt113. Die Kritik Enzensbergers gipfelt in der Bemerkung Schiller ist keine Zitatengrube114. Nun, Schiller ist eine Zitatengrube, wie ich oben schon mehrfach feststellen musste. Die Stoßrichtung von Enzensbergers Kritik zielt mithin auf das, was sich in der vergangenen Rezeption des Dichters allzu oft zeigte: Die Anverwandlung der Dichtung für eigene Moralvorstellungen und die fragmentarische Rezeption seiner Arbeiten, die ihren Höhepunkt in merkwürdigen Sentenzensammlungen fand (vgl. Kap. 1).

Bereits seit Mitte der sechziger Jahre kommt es zu einer kritischen Auseinandersetzung mit und Aktualisierung von Schillers Texten auf der Bühne: Stichwort Regietheater. Die Beziehung des Regietheaters zum dichterischen Werk ist nur sehr locker. Man adaptiert die Texte recht frei115, stellt Gegenwartsbezüge heraus, bezieht aber auch Rezeptionsgeschichte mit ein. So versuchte Hansgünther Heyme in seiner Wiesbadener Tell-Inszenierung von 1965 den hinter einer Massenbewegung lauernden Faschismus zu decouvrieren, Peter Zadek und Wilfried Minks bringen Die Räuber 1966 als Comic-Figuren auf die Bühne, Claus Peymann präsentiert sie als Prototypen einer No-future-Generation. Daneben gab es natürlich auch noch Inszenierungen, die sich dem Gedanken der Werktreue verpflichtet fühlten. Die Inszenierungen der siebziger und achtziger Jahre schwankten dagegen noch lange zwischen Italo-Western und Psycho-Drama116, wie Claudia Albert feststellt. Der Ursprung des Regietheaters ist allerdings nicht in dieser Zeit zu suchen. Schon in der Weimarer Republik schockierte Erwin Piscator mit seiner Inszenierung der Räuber.

Er unterzog das Stück einer totalen Politisierung, kürzte, stellte um, änderte den Text, fügte neuen hinzu, steckte die Räuberbande in zerschlissenes Feldgrau, Franz Moor in Reitstiefel und Sakko, Spiegelberg – der in der Maske Trotzkis auftrat – in einen Cutaway und brachte Schützengräben und Stacheldraht auf die Bühne. Ein Protest im Preußischen Landtag, das Schauspielhaus [in Berlin] war ja Staatstheater, erzwang die Absetzung der Inszenierung117.

Dieses freie Spiel mit dem dichterischen Text ist auf den deutschen Bühnen auch in den neunziger Jahren noch en vogue. So wurden beispielsweise am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover in der Spielzeit 1999/2000 von Armin Petras Die Räuber inszeniert; Titel: Räuber!, Untertitel: nach Friedrich Schiller. Diese Inszenierung fußte auf Motiven, Textfragmenten und vor allem freien Assoziationen, die an den Dramentext anknüpften. In der Bekanntmachung des Niedersächsischen Staatstheaters klingt das dann so:

Endlich ist es wieder da: das Räuberkommando von Armin Petras. Tischtennisplatten, Gefriertruhen, Schianzüge, Gitarrenmusik und Splatterszenen: irgendetwas ist ungut in Teutschland, aber so will ich es doch nicht haben (singen Tocotronic). Auf der Suche nach den Böhmischen Wäldern finden die Räuber ein Stück von Schiller, das ganz und gar heutig ist.118

Das folgende Detail aus dem Stück illustriert die Art der Verarbeitung von Schillers Text schön. Es verdeutlicht, wie frei Assoziationen wirklich sein können und das eine mehr oder minder genaue Textkenntnis mehr oder minder unerlässlich ist, wenn man sich ins Regietheater begibt. Franz, der intrigante der beiden Moorbrüder, versucht im Drama ja bekanntlich seinen Vater umzubringen, um die Herrschaft über die Grafschaft an sich zu reißen. Dies will ihm zwar nicht gelingen, doch hält er seinen alten Vater, nachdem alle Welt glaubt, er sei tatsächlich gestorben, in einem Hungerturm gefangen, wo dieser sein kümmerliches Dasein von nun an fristet. Dort entdeckt ihn, der Zufall will es so, Karl Moor, der Räuber, und befreit ihn. Das Gemäuer, in dem der alte Moor gefangen gehalten wird, beschreibt Schiller wie folgt:

Ich [der alte Moor] bin begraben worden – das heißt: ein toter Hund liegt in meiner Väter Gruft; und ich – drei volle Monden schmacht’ ich schon in diesem finstern unterirdischen Gewölbe, von keinem Strahle beschienen, von keinem warmen Lüftchen angeweht, von keinem Freunde besucht, wo wilde Raben krächzen und mitternächtliche Uhus heulen. (IV, 5)

Der Hungerturm ist also finster, schlecht belüftet und kalt. Wie transponiert man so etwas auf die Theaterbühne? Natürlich als Tiefkühltruhe – die sinnigerweise auch noch mit Rollen ausgestattet ist, sodass man sie nach Gusto hin und her schieben kann, während der arme alte Moor in ihr leidet.

Abschließend kann man sagen, dass sich ab den sechziger Jahren im großen Ganzen eine Verdrängung schillerscher Werke aus dem öffentlichen Leben beobachten lässt. So wird der Tell nahezu überhaupt nicht mehr gespielt und Shakespeare und Brecht überrunden Schiller hinsichtlich der Anzahl der Inszenierungen ihrer Dramen. Die Glocke muss von Schülern, glücklicherweise, auch nicht mehr auswendig gelernt werden.

6 Thesenhafte Zuspitzung

Anstelle einer klassischen Schlussbetrachtung möchte ich meine kurze Darstellung der Rezeptionsgeschichte Schillers noch einmal in der Form einer thesenhaften Zuspitzung Revue passieren lassen.

Extraoperale119 Rezeption im 19. Jahrhundert. Die Schillerrezeption des 19. Jahrhunderts zeichnete sich durch die Auswahl eingängiger Sentenzen und ihre Loslösung aus dem Werkkontext aus. Adaptiert wurde ein solcher, in leicht verdauliche Häppchen gestückter Schiller in Deutschland einerseits im Zusammenhang mit nationalen Einheitsbestrebungen und andererseits auf dem Boden einer bürgerlichen Moralvorstellung. Die werkferne Aufnahme und die simplifizierte Anwendung von schillerschen Sentenzen wie auch der durchgängig hohe, pathetische Stil des Dichters forderten bereits früh Kritik heraus. Extraoperal ist diese Form der Rezeption deshalb, weil sie Aussprüche aus Schillers Werk herauslöst und in neue Zusammenhänge stellt. Dies ist deswegen möglich, weil Schiller das einzigartige Vermögen hatte, etwas knapp und eingängig auf den Punkt zu bringen. Sein spezifischer sprachlicher Stil liegt dieser Rezeptionsart folglich zugrunde.

Superoperale Rezeption Anfang des 20. Jahrhunderts. Die besondere Begabung Schillers, komplexe Sachverhalte sprachliche zu komprimieren, wendete sich auch im 20. Jahrhundert dialektisch gegen ihn. Denn die allzu knappe Form, die auf den ersten Blick überaus treffend wirkt, ermöglicht es dem Interpreten, freischwebend über Werk und Dichter zu philosophieren, weil die Kürze es eben doch nicht immer trifft, sondern mannigfache Leerstellen eröffnet. Dies führte sowohl zu der in Kap. 3 beschriebenen Monumentalisierung von Dichter und Werk als auch zu einer Enthistorisierung von Schillers Schaffen. Eine Form der Deutung, die in der Zeit des Nationalsozialismus einen traurigen Höhepunkt erreichte. Im Rückblick auf diese Zeit lässt sich also eine Entkoppelung von Werk und Person konstatieren. Obgleich Aspekte der Rezeption des 19. Jahrhunderts immer noch vorhanden sind (beispielsweise Instrumentalisierung für werkferne politische Absichten), möchte ich diese Rezeptionsweise superoperal nennen: Sie schwebt über dem Werk, gleichsam schwerelos; der Halt, den die Werkfragmente dem Rezipienten im 19. Jahrhundert noch boten, gibt es nicht mehr.

Exoperale Rezeption nach 1945. Zeichenhaft für diese Weise der Rezeption sind Theaterinszenierungen nach Schiller, die unter dem Namen Regietheater firmieren. Zwar findet eine Rückbesinnung auf das eigentliche sprachliche Material in Schillers Dramen statt. Doch fungiert dieses Originalmaterial oftmals nur als Basis, auf der man relativ beliebig gewählte Signifikate drapieren kann. Exoperal nenne ich diese Lesart, weil sie vom Werk ausgeht, aber nicht in seinem Umfeld bleibt. Das Sprachmaterial ist dieser ikonoklastischen Vorgehensweise ein Ausgangs-, aber kein Ruhepunkt. Die Kategorie exoperale Rezeption ist allerdings besonders problematisch. Denn auf die germanistische Forschung zu Schillers Werk lässt sie sich zum Beispiel nicht anwenden. Darum gilt für diese letzte begriffliche Fassung von mir noch mehr als für die beiden vorhergehenden, dass sie aus der Konzentration auf bestimmte Aspekte der Rezeption entstanden ist. Meine Begriffe verweisen meines Erachtens zwar auf feststellbare allgemeine Tendenzen in der Rezeption; ihre Gesamtheit vermögen sie jedoch in keinem Fall zu umschreiben.

Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass es vor allem Schillers Sprache gewesen ist, die den Angelpunkt einer jeden Rezeptionsform bildete. Sie ist das Material von dem eigene Assoziationen ihren Ausgang nehmen; sie eröffnet die Leerstellen, die die extravagantesten enthistorisierenden Deutungen zulassen; sie ist der Stoff, der rezitiert und auf neue Zusammenhänge appliziert werden kann. Schon Thomas Mann rief entzückt aus: Schillers Sprache! Es käme ihr eine eigene Betrachtung und eingehende Studie zu, angefangen mit seinen hochpointierten Schlüssen120. Das immer wieder verwundernde des Ausdrucks und die sprachliche Massierung in seinen Werken ist immer noch das, was auch zeitgenössische Autoren an Schiller besonders interessiert. Elfriede Jelinek zeigt sich in einem Essay von der Sprech-Wut der Personen121 in Schillers Dramen, von den bis zum Bersten vollen Textkörper[n] der beiden Großen Frauen122 in Maria Stuart begeistert. Die Dramen Schillers wirken auf sie wie ein fortwährendes Sprechen, das auch das Schweigen noch vertonen müsse. Vielleicht verweist dieses Interesse Jelineks darauf, dass auch in Zukunft vor allem die Art, wie Schiller in seinen Werken Sprache verarbeitete, im Fokus der Rezeption stehen wird.

7 Literatur

Dieser Aufsatz enthält, die Thesen im Fazit und die eingestreuten Textinterpretationen einmal ausgenommen, wenig eigene Gedanken. Besonders was den chronologischen Gang der Rezeptionsgeschichte und ihre prononcierten Motive angeht, fußt er auf der unten angegebenen Forschungsliteratur. Im Text nachgewiesen habe ich jedoch oft nur die Zitate.

Albert, Claudia (Hrsg.): Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus: Schiller – Kleist – Hölderlin. Stuttgart/Weimar (1994); [= Albert 1994].

Dies.: Schiller im 20. Jahrhundert. In: Schiller-Handbuch. Hrsg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart (1998), S. 773–794; [= Albert 1998].

Börner, Peter: Schiller im Ausland: Dichter-Denker und Herold der nationalen Befreiung. In: Schiller-Handbuch. Hrsg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart (1998), S. 795–808; [= Börner 1998].

Büchner, Georg: Werke und Briefe. 4. Auflage, München (1969); [= Büchner 1969].

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8 Bildnachweis

Abb. 1: Die Grenzen des Deutschen Bundes von 1815; aus: Ward, Adolphus William u. a. (Hrsg.): The Cambridge Modern History Atlas. London (1912), Map 107. (Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin. Originalkarte, Indexseite.)

Abb. 2: Werner Deubels graecojudaisch-logozentrischer, graecogermanisch-biozentrischer Stammbaum von 1934; aus: Zeller, Bernhard: Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945: Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Bd. 1. Stuttgart (1983), S. 303.

Abb. 3: Der Staffellauf nach Marbach am 21. Juni 1934; aus: Ebd., S. 166.

Abb. 4: Huldigungsschrift zur Reichssendung am 21. 6. 1934 in Marbach; aus: Ebd., S. 169.

Anmerkungen

1 Zit. n. Oellers 1976: S. 241.

2 Zit. n. ebd.: S. 241.

3 Zit. n. Hofmann 2003: S. 194.

4 Schlegel 1923: S. 126–127.

5 Ebd.: S. 185.

6 Hölderlin 2002: S. 63.

7 Gerhard 1998: S. 762.

8 Büchner 1969: S. 182.

9 Ebd.: S. 300.

10 Ebd.: S. 182.

11 Hofmann 2003: S. 185.

12 Heine 1968: S. 197.

13 Ebd.: S. 199.

14 Ebd.: S. 202.

15 Ebd.: S. 197.

16 Gerhard 1998: S. 759. Zitiert wird Clemens Brentano.

17 In Wiese 1963: S. 301–313.

18 So auch Janz 1996: S. 201: Nun müssen wir gewiß einräumen, daß Schillers Zeitgenossen das Pathos in seinen Stücken womöglich kaum anstößig war, weil sie es als den legitimen Ausdruck einer Selbstbefreiung, einer Erhebung aus den Zwängen des ereignislosen Alltagslebens verstehen konnten.

19 Vgl. Reich-Ranicki 2001: S. 112. Dieser Szenenapplaus wird auch in der Exilpresse immer wieder erwähnt (vgl. Albert 1998: S. 781).

20 Der Marquis Posa drückt es in IV, 21 so aus: Auf ihn [Don Karlos] verweis’ ich Spanien – Es blute / Bis dahin unter Philipps Hand! Ähnlich urteilt Don Karlos in der letzten Szene des V. Akts: Ich eile, mein bedrängtes Volk / Zu retten von Tyrannenhand. Wie kaltherzig Philipp von Spanien seinen Sohn letztlich der Inquisition und somit dem Tod übergibt, spricht für sich.

21 Zit. n. Gerhard 1998: S. 758.

22 Vgl. Hofmann 2005: S. 563.

23 Coetzee 2001: S. 16.

24 Ebd.: S. 10.

25 Springer 2002: S. 118 spricht in diesem Zusammenhang gar davon, dass Schiller und Goethe Marketing, Selbstinszenierung und Selbstkanonisierung betrieben hätten.

26 Voßkamp 1998: S. 250.

27 Zit. n. Springer 2002: S. 119.

28 Caroline Schlegel äußerte sich pikiert, nachdem sie einige der Xenien von Goethe und Schiller gelesen hatte: Ich kan Dir sagen, daß mir das Ding [die Xenien] immer weniger gefällt, und ich Schiller (ganz unter uns) seitdem nicht gut bin, denn das glaub, fünf Sechstel [der beleidigenden Epigramme] rühren von ihm her, und nur die lustigen und unbeleidigendern von Göthe. (Schlegel 1923: S. 133) Verstimmungen gab es im darauf folgenden Jahr auch von Schillers Seite. Schiller beschwerte sich heftig über die harte Kritik, die Friedrich Schlegel gegenüber seinen Horen geübt hatte. Er habe den Umgang mit August Wilhelm Schlegel aufgekündigt, da er nicht zugleich der Freund Ihres Hauses und der Gegenstand von den Insulten Ihres Bruders seyn könne. (Zit. n. Schlegel 1923: S. 141, Fußnote 1)

29 Schlegel 1923: S. 126.

30 Wilhelm von Humboldt hatte zwei Aufsätze über den Geschlechtsunterschied geschrieben (vgl. Schlegel 1923: S. 126, Fußnote 3).

31 Entstanden ist der Text wohl schon zur Zeit des Xenien-Kampfes (vgl. Seidel 2005: S. 599).

32 Beide Texte zit. n. Janz 1996: S. 190–191.

33 Schillers Gedicht sollte man meines Erachtens nicht per se frauenfeindlich interpretieren, schließlich erhöht es ihr Tun beträchtlich. Da es aber Geschlechterstereotype zu zementieren scheint, ist es verständlich, warum Schlegel dem Text kritisch gegenüberstand.

34 Es gibt natürlich Ausnahmen. So ist das familiäre Gespräch in der ersten Szene von Kabale und Liebe dem sozialen Umfeld weitgehend angemessen, wenngleich Schiller auch hier keine natürliche Sprache findet wie Goethe in seinem Götz von Berlichingen.

35 Vgl. z. B. Safranski 2004: S. 146 über Schillers Lesung seines in Entstehung begriffenen Fiesko.

36 Schlegel 1923: S. 202.

37 Vgl. Janz 1996: S. 193.

38 Zit. n. Gerhard 1998: S. 758.

39 Gerhard 1998: S. 765.

40 Raabe 1965: S. 796–797.

41 Dieser beginnt mit den Worten: Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern (II, 2).

42 Hofmann 2005: S. 564 vermutet gar, dass die Feiern als Ersatz für eine reale politische Aktion dienten, die aufgestellten Forderungen mithin nicht in besonderem Maße auf Verwirklichung drängten.

43 Rösenberg 1998: S. 174; so auch Voßkamp 1998: S. 263.

44 Coetzee 2001: S. 16.

45 Albert 1998: S. 774.

46 Hofmann 2003: S. 186.

47 Ebd.

48 Vgl. Koepke 2005: S. 275.

49 Zit. n. Oellers 1976: S. 480.

50 In Mann o. J.: S. 216–225. Die Zitate aus Schwere Stunde weise ich im Folgenden nicht gesondert aus. Die Kürze der Erzählung dürfte es leicht machen, sie wieder aufzufinden.

51 Zit. n. Oellers 1976: S. 390.

52 Zit. n. ebd.: S. 391.

53 Zit. n. ebd.: S. 392.

54 Vgl. Pugh 2000: S. 58–59.

55 Zit. n. ebd.: S. 59.

56 Ebd.: S. 81.

57 Zit. n. Rösenberg 1998: S. 178.

58 Zit. n. Pugh 2000: S. 62.

59 Hofmann 2003: S. 185–186 stellt in Bezug auf Schillers Idealismus klar: Dessen Idealismus – so zeigt sich – wird in der Rezeptionsgeschichte im Guten wie im Schlechten permanent missverstanden, denn er artikuliert das Bedürfnis des Menschen nach dem Ideal in einer zerrissenen Welt und behauptet nicht die ideale Verfassung der Welt im Angesicht einer zersplitterten Moderne.

60 In Oellers 1976: S. 158–162.

61 Schiller, nach seiner Ausbildung an der Karlsschule Militärarzt in Stuttgart, wurde es vom absolutistischen und gewalttätigen württembergischen Herzog Karl Eugen, in dessen Diensten er stand, nicht gestattet, das Land zu verlassen. Als Schiller dies dennoch ohne Erlaubnis tat, erhielt er prompt 14 Tage Arrest. Da er inzwischen zu einem gefeierten Theaterautor geworden war – 1782 wurden Die Räuber in Mannheim uraufgeführt – und sich versprach, in diesem Metier sein Auskommen zu finden, entschloss er sich am 23. September 1782 zur Desertion (vgl. Safranski 2004: S. 121–141).

62 Zit. n. Zeller 1983: I, S. 300.

63 Bis hier kann man Cysarz meines Erachtens sogar folgen. Denn bei einer Interpretation von Dichtung sollte es nie allein um das dichterische Werk, sondern auch um benachbarte Phänomene (Philosophie, Politik usw.) gehen.

64 Zit. n. Albert 1994: S. 51.

65 Cysarz 1928: S. 3.

66 Vgl. Pugh 2000: S. 81 und meine Ausführungen am Ende von Kap. 3.

67 Cysarz 1928: S. 3.

68 Ebd.: S. 3.

69 Ebd.: S. 4.

70 Ebd.: S. 5.

71 Ebd.: S. 6.

72 Ebd.: S. 7.

73 So auch Pugh 2000: S. 71–73. S. 73: Despite its unfashionable style and despite some political excesses, his book [von 1934] still deserves to be read more widely than it is. It would be quite wrong to equate it with such repellent contributions as Werner Deubler’s [sic] article of the same year, which is contaminated by the nationalist spirit to an incomparably greater degree. [Trotz seines überholten Stils und trotz einiger politischer Ausschweifungen verdient es sein Buch öfter gelesen zu werden, als es derzeit wird. Es wäre völlig falsch, es mit solch abstoßenden Beiträgen wie Werner Deubels Artikel aus demselben Jahr, welcher von einer nationalen Gesinnung in einem unvergleichlich größeren Grade verseucht ist, gleichzusetzen.]

74 Zit. n. Albert 1994: S. 22.

75 Ebd.: S. 23.

76 Zit. n. ebd.: S. 33; die Ergänzungen in eckigen Klammern stammen von Gabriele Stilla.

77 Zit. n. ebd.: S. 34.

78 Zu Deubels intellektuellem Absturz s. Zeller 1983: I, S. 302–304.

79 Zit. n. Ebd.: I, S. 304.

80 Albert 1994: S. 61.

81 In Oellers 1976: S. 317–323.

82 Schiller verwendet z. B. einen Chor, wie er auch in antiken Dramen auftaucht. Die Prophezeiung, die sich trotz aller Versuche, sie zu umgehen, doch erfüllt, erinnert an die Fabel von Ödipus.

83 Vgl. Ruppelt 1979: S. 19.

84 Zit. n. ebd.: S. 19.

85 Ebd.: S. 81.

86 Zit. n. ebd.: S. 81.

87 Vgl. ebd.: S. 84.

88 Zit. n. ebd.: S. 85. Dass Wilhelm Tell als unpolitischer Mensch gelesen werden sollte, weist darauf hin, dass das Politische bei den Nationalsozialisten im Verruf war. Man verstand sich selbst als Bewegung, die mit dem Bild der Politik, das die Parteien in der Weimarer Republik – im Duktus der Faschisten: November- oder Judenrepublik – für einen Großteil der Bevölkerung boten (Parteiengezänk usw.), nichts zu tun habe. Darum geißelt Goebbels in seiner Rede anlässlich der Schillerfeierlichkeiten vom 10. November auch die Sprache des Parlaments in der Zeit der Weimarer Republik. Hier sei das Wort zur Phrase des Parlaments erniedrigt worden. So berichtet es zumindest der Völkische Beobachter vom 12. November 1934. (Vgl. Zeller 1983: I, S. 194–195.)

89 So Zeller 1983: I, S. 166. Ruppelt 1979: S. 33 spricht von 18.000 Hitlerjungen.

90 Zit. n. Ruppelt 1979: S. 15.

91 Zit. n. Zeller 1983: I, S. 170–171.

92 Zit. n. der Abbildung in ebd.: I, S. 169.

93 Ruppelt 1979: S. 37–38 betont, dass diese Inszenierung in gleicher Weise auf das Ausland gemünzt gewesen sei. Denn in der ausländischen Presse war den Nazis nach den Bücherverbrennungen von 1933 vorgeworfen worden, ihre Kulturpolitik sei barbarisch. Diese durchaus zutreffende Annahme wollte man durch die von vielen kulturellen Veranstaltungen begleiteten Feierlichkeiten zerstreuen.

94 Ausschnitte in Zeller 1983: I, S. 194–195.

95 Zit. n. ebd.: I, S. 313.

96 Pugh 2000: S. 81.

97 Zit. n. Ruppelt 1979: S. 41.

98 Vgl. darüber hinaus ebd.: S. 43–45.

99 Das sieht Zeller 1983: I, S. 318 noch anders.

100 Robert d’Harcourt (1881–1965) war französischer Literaturgeschichtsschreiber und Essayist. Am 14. Februar 1946 wurde er in die Académie française aufgenommen. Das Zitat stammt aus dem Jahre 1928.

101 Zit. n. Börner 1998: S. 805.

102 Zit. n. Ruppelt 1979: S. 4. Becher und Kraus beziehen sich auf einen Ausruf aus Goethes Epilog zu Schillers Glocke (in Oellers 1970: S. 484–486), der in dem Gedicht mehrfach auftaucht. Im Gegensatz zu den politischen Vereinnahmungen Bechers erhebt Goethes Text in Erinnerung an den gestorbenen Freund keine weitergehenden Ansprüche. Der Ausruf ist klagend, nicht instrumentalisierend: Denn er war unser! Mag das stolze Wort / Den lauten Schmerz gewaltig übertönen! / Er mochte sich bei uns im sichern Port, / Nach wildem Sturm, zum Daurenden gewöhnen. Der Transformation Schillers in eine mythische Gestalt leistet dieser Text allerdings schon Vorschub.

103 Zit. n. Oellers 1976: S. 404.

104 Zit. n. ebd.: S. 405.

105 Vgl. ebd.: S. 407.

106 Zit. n. Albert 1998: S. 785.

107 Zit. n. Koepke 2005: S. 284.

108 Reich-Ranicki 1992: S. 184.

109 Ebd.: S. 183.

110 Ebd.: S. 186.

111 Zit. n. Oellers 1976: S. 468.

112 Zit. n. ebd.: S. 468.

113 Zit. n. ebd.: S. 470.

114 Zit. n. ebd.: S. 472.

115 Schon zu Lebzeiten Schillers wurden seine Stücke häufig nicht eins zu eins auf die Bühne gebracht, sondern in veränderten Fassungen präsentiert. Um allzu entstellenden Bearbeitungen zuvorzukommen, fertigte Schiller selbst Bühnenversionen seiner Stücke an (vgl. Zegowitz 2005: S. 582–585).

116 Albert 1998: S. 788.

117 Zegowitz 2005: S. 589.

118 Zit. n. http://www.coram-publico.de/meldungen2.asp?c=5005.

119 Die Neologismen stammen von mir. Für alle diejenigen, die des Lateinischen nicht mächtig sind: operal habe ich abgeleitet von lat. opus, das (Kunst-)Werk. Die präfigierten Präpositionen verweisen auf die jeweilige Form des Umgangs mit Schillers Werktext.

120 Zit. n. Oellers 1976: S. 395.

121 Jelinek 2005: S. 12.

122 Ebd.